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I. Kapitel

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Geschrei erhob sich aus Richtung der Richtstätte und riss Berthold aus seinen trüben Gedanken. Sie brachten den lahmen Franz zum Scheiterhaufen. Es war Maigeding, Gerichtstag, so wie er jedes Jahr immer am ersten Freitag im Mai abgehalten wurde. Vogt Wolfram Etzelroth war mit seinem Gefolge aus der Burg von Dreieichenhayn her angereist, um in Langen Gericht zu halten. Katharina schaute Berthold betrübt an und bat ihn mit einem Kopfnicken in Richtung des Schinderhügels, mit ihr zu kommen.

Sie gingen durch die schmale, von Fachwerkhäusern flankierte Bachgasse, die in das rotgemauerte östliche Stadttor mündete. Nach dem Durchschreiten des Tores konnte man rechter Hand den Schinderhügel sehen, auf dem bereits am Tag zuvor der Scheiterhaufen errichtet worden war. Die Sonne stand schon hoch und wärmte die Erde bereits merklich, obwohl es die ganze letzte Woche hindurch unentwegt geregnet hatte. Man hatte schon befürchtet, die Verbrennung verschieben zu müssen. Viele Langener hatten den Regen hinter vorgehaltener Hand als Zeichen Gottes und Tränen der Engel gesehen, die nicht wollten, dass der lahme Franz sterben sollte. Für viele war seine Schuld nicht bewiesen und der Prozess, den Vogt Etzelroth gegen ihn geführt hatte, äußerst zweifelhaft.

Berthold kam mit seinem lahmen Bein auf der aufgeweichten Straße nur langsam voran. Immer wieder rutschte er weg und hatte stellenweise Mühe, nicht zu stürzen. Es war im Sommer vor vier Jahren gewesen, als sein Pferd Calamus bei einem mittäglichen Ausritt durch den Wald auf einem moosigen Stein ausglitt, zu Boden ging und den damals erst Zwölfjährigen weit von sich warf. Durch den Sturz verlor Berthold die Besinnung und kam erst kurz vor Einsetzen der Dämmerung wieder zu sich, als ihn Calamus, der glücklicherweise unverletzt geblieben war, mit der Schnauze anstupste. Mit Schrecken hatte Berthold bemerkt, dass er in seinem linken Bein kaum noch Kraft und Gefühl hatte. Er brauchte lange, quälende Minuten, bis er endlich wieder im Sattel saß, um nach Hause zu reiten. Über die Monate verbesserte sich der Zustand seines Beines zwar deutlich, das Gefühl darin kam langsam wieder und Berthold konnte es, nach wochenlanger, zäher Übung, wieder etwas besser belasten. Doch trotz aller Aderlässe, Massagen und Kräuterwickel kehrte die ursprüngliche Kraft, Geschmeidigkeit und Gelenkigkeit nie wieder zurück. Ganz so, als hätte sie Berthold im Wald verloren und gegen etwas anderes, Sonderbares eingetauscht.

Denn bereits einen Monat nach dem Unfall bemerkte er eine erhebliche Schärfung seiner Sinne, die sich in Träumen und Visionen äußerte. Nichts Bestimmtes, nichts Genaues, aber eine Ahnung, immerhin. Manchmal träumte Berthold, dass ein Sturm nahte, lange bevor auch nur der leiseste Wind die Blätter der Bäume zum Rascheln brachte. Oder er spürte bereits vor dem Stall, dass ein Tier darin Schmerzen hatte. Verblüffenderweise konnte er auch das Befinden, die Ängste und Gedankenfetzen anderer Menschen durch seine Träume in sich aufnehmen, wie einen tiefen Atemzug. Er erhielt dabei keine klaren Sätze oder Worte, die er hätte niederschreiben können, aber ihn durchfluteten deutbare Bilder und Gefühle, so als würden die Visionen direkt in seinen Kopf gemalt. Berthold war diesen Ahnungen ausgeliefert, wann immer sie ihn überkamen. Er wehrte sich zwar dagegen, konnte sie aber weder kontrollieren noch verhindern. So begann er schließlich damit zu leben. Was blieb ihm auch anderes übrig? Begleitet wurden seine Ahnungen immer von einem bitteren Geschmack, wie von Galle, der sich in seinem Mund ausbreitete. Sprach er seinen Eltern oder seiner Verlobten Katharina gegenüber dann von Bitterkeit, meinte er etwas gänzlich anderes, aber sie verstanden ihn sehr wohl.

Seitdem seine besondere Gabe bekannt geworden war, ruhten auf Berthold nicht nur die Blicke seiner Eltern, denn die Nachricht davon verbreitete sich hinter vorgehaltener Hand in Windeseile. Die zweifelhafte Berühmtheit, die ihm dies einbrachte, war so gar nicht in Bertholds Sinne. Er fühlte sich bereits genug mit seinen Ahnungen bestraft, die er selbst nur als Bürde empfand. Und jetzt sollte er auch noch die Verantwortung dafür übernehmen, dass Vorhergesagtes eintraf? Das wurde ihm zuviel. Also log er oft und sagte einfach, er würde nichts sehen oder ahnen und schickte die Leute freundlich ihres Weges.

Doch trotz dieser Zurückhaltung weckte Bertholds Bekanntheit im Laufe der Zeit unweigerlich das Interesse des Dreieichenhayner Vogtes Wolfram Etzelroth. Aus Gründen, die sich Berthold nicht erklären konnte, schien ihn Etzelroth seit mehr als einem Jahr genau zu beobachten. Gerüchte von Hexerei, die offensichtlich der Vogt gestreut hatte, machten bereits im Ort die Runde. Seitdem sie Berthold zu Ohren gekommen waren, hielt er sich ganz zurück mit irgendwelchen Äußerungen zu seinen Ahnungen. Er wollte seine Eltern und sich selbst nicht in Gefahr bringen, denn Etzelroth war für sein brutales und selbstgerechtes Vorgehen weit über die Grenzen Dreieichs hinaus bekannt. Doch die Gründe für seine Behauptungen blieben zunächst im Verborgenen.

Schattenfehde

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