Читать книгу Die besten 12 Strand Krimis im September 2021 - Alfred Bekker - Страница 63
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ОглавлениеEs war ruhig geworden im Dorf. In einigen Fenstern brannte noch Licht. Ein Straßenköter heulte in der Ferne, und ein einsamer Fußgänger eilte nach Hause. Roberto richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das sogenannte Hotel. Die Amerikaner schienen drinnen zu sein. Jedenfalls stand ihr Wagen vor der Tür.
Sein eigener Jeep stand ein Stück zurück neben dem Haus. Vielleicht hatten die Mafiosi sich mit dem Jeep noch nicht befasst. Wenn es ihm gelang, an den Wagen heranzukommen, war seine Flucht einfacher. Mit dem bereits erschöpften Pferd waren seine Chancen minimal.
Roberto hatte das Pferd am Ortseingang zurückgelassen und an einem Baum festgebunden. Er hatte sonst nichts weiter bei sich, denn alle seine Sachen waren im Hotel.
Roberto huschte geduckt über die Straße. Glücklicherweise gab es hier keine Straßenbeleuchtung. Er rannte auf die Rückseite des Hotels. Den Weg in sein Zimmer kannte er ja bereits.
Geschickt wie ein Artist hangelte er sich nach oben. Das Fenster war nicht geschlossen, sodass er leicht hineinkonnte. Einen Augenblick lauschte er, aber es war nichts zu hören. Nur von unten drangen Geräusche. In der Gaststube war offenbar noch Betrieb.
Mit einem Satz sprang er ins Zimmer. Seine Augen gewöhnten sich erst langsam an die Dunkelheit, aber schon bald konnte er die vertrauten Konturen erkennen. Seine Sachen schienen unberührt. Er wusste genau, wie er sie am Tag zuvor zurückgelassen hatte.
Rasch packte er seinen Koffer und die Tasche. Er nahm sich nicht die Zeit, alles gründlich zu packen, sondern warf hinein, was er fand. Das meiste jedenfalls war verstaut.
In diesem Augenblick kamen Schritte die Treppe empor. Es waren die ihm vertrauten Stimmen von Benedetto und Stefano.
„Daran hättest du aber auch früher denken können“, sagte Stefano gerade.
„Wieso ich? Du wusstest genauso gut, dass dieser Reynolds hier sein Zimmer hat“, entgegnete Benedetto. „Ich glaube sowieso nicht, dass wir etwas finden. Das muss ein ausgekochter Bursche sein. Der ist nicht so unvorsichtig und lässt verräterische Hinweise liegen.“
„Wir werden sehen.“
Die Schritte näherten sich der Tür. Roberto ließ einen letzten Blick durchs Zimmer gleiten. Dann warf er seine Sachen nach draußen und sprang hinterher.
„Da ist einer drin!“, hörte er Stefano noch schreien, als er unten aufkam. Roberto fing den Sturz mit federnden Beinen auf, suchte seine Sachen und rannte zu seinem Jeep.
„Da ist er!“, schrie eine Stimme.
In diesem Moment krachten auch schon zwei Schüsse rasch hintereinander. Das heiße Blei fuhr unangenehm nahe neben Roberto Tardelli in die Erde. Er schlug einen Haken, ohne sich umzudrehen. Jetzt half nur noch Schnelligkeit.
Er war um die Ecke, sodass ihm die nächsten Schüsse nicht mehr schaden konnten. Im Dorf wurde es lebendig. Die Schüsse mussten sämtliche Einwohner aufgeschreckt haben.
Roberto warf seine Sachen auf den Rücksitz des Jeep und hechtete auf den Vordersitz. Mit fliegenden Fingern zerrte er den Zündschlüssel aus seiner Jackentasche und schob ihn ins Zündschloss.
Der Motor kam und erstarb wieder.
„Lass mich jetzt nicht im Stich“, beschwor Roberto den Wagen.
Er startete erneut. Der Motor lief. Er legte den ersten Gang ein und fuhr an. Der Motor spuckte zwar noch, aber der Wagen bewegte sich.
Roberto trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch, Kies spritzte hoch, und er war um die Ecke. Im Rückspiegel sah er einige Gestalten aus dem Hotel auf die Straße laufen.
Er duckte sich. Keine Sekunde zu früh. Schüsse krachten. Mit einem raschen Griff löste er die Halterung der Windschutzscheibe und klappte sie nach vorn auf die Motorhaube. Jetzt konnten die Geschosse das Glas nicht mehr zersplittern.
Wenige Sekunden später war er aus der Schussweite der Pistolen heraus. Jetzt konnte ihn nur noch ein Zufallstreffer erwischen. Roberto richtete sich wieder auf.
Aber noch war er nicht in Sicherheit. Die Gangster waren in ihren eigenen Wagen gesprungen und nahmen die Verfolgung auf. Roberto fluchte. Daran hätte er denken sollen. Es wäre ein leichtes gewesen, den Wagen unbrauchbar zu machen, und wenn es nur für ein paar Minuten war. Ein Reifen war schnell zerschnitten.
Inzwischen lief der Motor des Jeep besser, und er konnte die Geschwindigkeit erhöhen. Er sah in den Rückspiegel. Der andere Wagen war noch weit hinter ihm. Aber bei der höheren Geschwindigkeit musste er bald heran sein. Auf offener Straße hatte Roberto mit seinem Jeep keine Chance. Er musste ins Gelände, wohin ihm der andere Wagen nicht folgen konnte.
Aufmerksam suchte er die Straße rechts und links ab. Die Limousine kam näher. Die Scheinwerfer blendeten ihn bereits im Rückspiegel, denn der Fahrer hinter ihm hatte das Fernlicht eingeschaltet.
Roberto versuchte, sich an die Landschaft zu erinnern, die er bei Tageslicht mehrmals gesehen hatte.
Gerade noch rechtzeitig sah er den schmalen Weg. Er riss das Steuer herum, und der Wagen bog schleudernd von der Straße. Er schaltete in den dritten Gang, und mit durchdrehenden Rädern preschte er den steilen Weg hinauf.
Es war stockdunkel, und er sah so gut wie nichts. Seine eigenen Scheinwerfer musste er ausschalten, um den Verfolgern seinen Fluchtweg nicht zu verraten. Mehrmals schrammten die Kotflügel gegen die Felswände rechts und links.
Glücklicherweise hatte er ein stabiles Fahrzeug, dem diese Kollisionen nicht viel ausmachten. Trotzdem fuhr Roberto jetzt vorsichtiger. Von seinen Verfolgern war nichts zu sehen. Entweder waren sie vorbeigefahren oder an der Einmündung stehen geblieben.
Roberto bremste. Er musste Sicherheit haben. Er riskierte es, den Motor abzustellen und lauschte in die Nacht. Von weit her meinte er das Klappen einer Wagentür zu hören. Also waren die Gangster doch nicht auf seinen Trick hereingefallen. Sie hatten gemerkt, dass er von der Hauptstraße abgebogen war. Allerdings konnten sie ihm mit ihrem Wagen nicht folgen.
Roberto drehte den Zündschlüssel und fuhr weiter. Er hatte keine Ahnung, wohin der Weg führte. Jedenfalls ging es immer noch aufwärts. Der starke Motor des Jeep bezwang die Steigung ohne Schwierigkeiten. Die Räder mahlten über Sand und Steine.
Der Weg wurde etwas breiter. Die Felswände waren vom Weg abgerückt. Ihre Gipfel verloren sich im Himmel. Plötzlich teilte sich der Weg.
Roberto versuchte sich die verschiedenen Richtungen vorzustellen. Er musste nach Westen. Nur dort lag seine Rettung. Aber wo war Westen?
Er legte den Kopf in den Nacken und starrte in den Himmel. Wolken jagten darüber hinweg und versperrten die Sicht auf die Sterne. Es gab aber immer wieder hellere Flecken, durch die er die Sterne schimmern sah. Roberto nickte befriedigt und entschloss sich für die Abzweigung zur Linken. Er hoffte nur, dass dieser Weg nicht nur in seine Richtung führte, sondern ihn auch aus diesem Felsengewirr herausbrachte.
Eine Stunde später war er so müde, dass er beschloss, eine Pause zu machen. An einer breiteren Stelle des Weges stellte er den Wagen ab und klappte den Sitz so weit es ging nach hinten. Er kontrollierte seinen Revolver die einzige Waffe, die er noch besaß, denn sein Gewehr hatte er mit dem Pferd zurücklassen müssen.
Er schloss die Augen und war Sekunden später eingeschlafen.