Читать книгу Dreizehn Mörder: Krimi Paket 13 Romane - Alfred Bekker - Страница 34
27
ОглавлениеWir waren zusammen mit Kommissar Reichle nach Quardenburg gefahren und befanden uns nun in Frau Gansenbrinks Arbeitsraum. Dass Kommissar Reichle dabei war, hatte seinen Sinn. Er hatte schließlich lange gegen das Darkovic-Syndikat ermittelt und nach Kommissar Ortwins Tod war er vermutlich derjenige, der über die größte Sachkenntnis auf diesem Gebiet verfügte.
Lin-Tai deutete auf einen Großbildschirm. Auf dem standen eine Reihe von Namen, dazu Fotos, sofern welche verfügbar waren und bekannte Eigenschaften, Vorstrafen, Gefängnisaufenthalte und besondere Kennzeichen. „Dies sind alles Personen aus dem Darkovic-Komplex”, sagte Lin-Tai. „Natürlich ist das bei solchen Organisationen wie bei Eisbergen…”
„Sie meinen, dass neun Zehntel unter der Wasseroberfläche verborgen bleiben”, schloss Rudi.
„So ist es. Ich kann Ihnen nicht garantieren, dass diese Aufstellung vollständig ist. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass uns jemand durch die Lappen gegangen ist, habe ich relativ niedrig angesetzt. Das liegt auch an der Methode, die ich verwendet habe. Unter anderem habe ich nämlich Kontakte in sozialen Medien mathematisch ausgewertet. Oder besser gesagt: Nur mathematisch ausgewertet. Es ist doch immer wieder erstaunlich, zu welchen Ergebnissen man auf diese Weise kommt. Man muss einfach nur berücksichtigen, wer mit wem Kontakt hat und wer von wem angestellt wurde. In diesem Fall war ein entscheidendes Kriterium die Körpergröße des Mörders von Niko Darkovic, die wir auf Grund der Untersuchungen an den plastinierten Überresten seines Körpers ja ziemlich genau einschätzen können.”
Ich deutete auf den Namen von Frank Nenad, den ich anhand des dazugehörigen Bildes sofort erkannte. „Falls er auch der Mörder von Niko Darkovic, Thalmann, Antevic und Mandy Zachermann gewesen sein sollte, kann man zumindest mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Mordserie damit zu Ende ist”, sagte ich. „Zumindest dürfte dieser Täter nicht mehr in der Lage sein, weitere Morde zu begehen.”
Frau Gansenbrink sagte: „Gehen wir davon aus, dass er für Boris Darkovic unterwegs war, als er Ivan Suvin umbrachte.”
„Der einzige Fall dieser Serie, der in dieser Hinsicht zweifelsfrei geklärt ist, denn Sie waren ja schließlich dabei”, meinte Kommissar Reichle.
„Vielleicht lohnt sich trotzdem ein Blick auf die anderen, die ich in meiner Übersicht versammelt habe”, meinte Lin-Tai.
„Bitte!”, sagte ich. „Wie ich Sie kenne, haben Sie sich schon eingehender mit diesen Kandidaten beschäftigt. Natürlich nur unter streng mathematischen Gesichtspunkten.”
„Nein, auch unter ganz ordinär menschlichen Gesichtspunkten”, korrigierte mich Frau Gansenbrink. Ihre Finger glitten über die Tastatur. Die Namen wurden daraufhin mit zwei unterschiedlichen Farben eingefärbt. Genauer gesagt war nur ein einziger Name blau unterlegt, die anderen rot.
„Was hat das jetzt zu bedeuten?”
„Bei den rot unterlegten handelt es sich um Personen, die in irgendeiner Weise eine Rechnung mit Niko Darkovic offen hatten”, sagte Lin-Tai. „Da haben wir Konny Rimsoff. Der hat für Niko einen Club geleitet und sich vorher vom Türsteher hochgearbeitet. Aber Niko hat ihm den Posten des Geschäftsführers wieder weggenommen.”
„Aus welchem Grund?”, fragte ich.
„Konnte ich nicht herausfinden. Aber die Daten, zu denen ich Zugang habe, wiesen ihn dann kurz nach Nikos Verschwinden - heute wissen wir ja, dass er ermordet wurde - wieder als Geschäftsführer desselben Clubs aus. Und das ist kein Einzelfall! Es gibt hier einige Typen, die eindeutig davon profitiert haben, dass Niko nicht mehr die Organisation anführte. Manche haben richtig Karriere gemacht. Und diese hier…” Lin-Tai sorgte dafür, dass ein halbes Dutzend Namen unterstrichen wurden. ”...kümmern sich heute um die Sicherheit von Boris Darkovic.”
„Es ist leider wie schon seit Jahren: Alle möglichen Spuren zeigen in Boris' Richtung, aber wir bekommen trotzdem nie etwas Handfestes”, meldete sich Kommissar Reichle zu Wort. „Den Richter werden so ein nettes Organigramm oder ähnliche Spielereien nicht überzeugen! Dass Boris Darkovic die Spinne im Netz ist, das ist uns bekannt! Und zwar seit langem!”
Kommissar Reichle lief rot an, während er das sagte. Ich konnte seinen Ärger und seine Frustration gut verstehen. Es war oft so, dass man an die Hintermänner nicht herankam und sich über lange Zeit hinweg damit zufrieden geben musste, nur die Handlanger zu erwischen. Man durfte eben nicht aufgeben - und nicht die Geduld verlieren.
In diesem Augenblick trat Friedrich G. Förnheim in den Raum. Er klopfte nicht an. Aber Gestik und Mimik verrieten, dass er etwas Wichtiges mitzuteilen hatte.
„Wichtige Neuigkeiten!”, verkündete er. „Ich habe die ballistischen Tests noch nicht komplett abgeschlossen und es gibt noch eine ganze Reihe ungeklärter Fragen. Aber eins lässt sich mit Sicherheit sagen: Frank Nenad ist zwar der Mörder unseres Kollegen Kommissar Ortwin und dieses Informanten namens…” Er schnippste mit den Fingern, als er nicht gleich auf den Namen kam.
„Ivan Suvin”, erinnerte ihn Kommissar Reichle.
„Danke!”, sagte Förnheim. „Also zusammenfassend gesagt: Frank Nenad hat die Morde im Vergnügungspark begangen, aber mit der Waffe, die er bei sich trug, wurden definitiv nicht Reinhold Thalmann, Mirko Antevic und Mandy Zachermann ermordet. Die Fissuren an den Projektilen unterscheiden sich sehr deutlich.”
„Könnte Nenad denn damals der Mörder von Niko Darkovic gewesen sein?”, fragte ich.
„Das untersuchen Gerold und ich noch. Aber ich fürchte, dass wir das letztlich nicht klären können. Das Kaliber stimmt überein, er könnte es gewesen sein, aber genausogut könnte Niko damals auch mit der Waffe umgebracht worden sein, die der Mörder von Thalmann und den anderen benutzt hat.”
„Vielleicht müssen wir den Mord an Ivan Suvin getrennt davon betrachten”, meinte ich. „Suvin wusste vielleicht etwas über die damaligen Hintergründe…”
„Er wusste ganz bestimmt etwas darüber, sonst hätte er sich nicht mit uns getroffen und wäre dieses Risiko eingegangen!”, unterbrach mich Kommissar Reichle. „Ich kannte Kommissar Ortwin sehr gut. Ich weiß, wie er arbeitete und dass er sich nicht von Schaumschläger täuschen ließ. Wenn nicht zu erwarten gewesen wäre, dass Suvin etwas substanzielles zur Lösung des Falles beitragen könnte, hätte es das Treffen nicht gegeben.”
„Angenommen Boris Darkovic hat etwas mit dem Tod von Niko zu tun”, setzte ich meinen Gedankengang fort. „Er wollte seinen Onkel beerben und sich selbst an die Spitze der Organisation setzen. Das älteste Motiv, der Welt: Habgier und Machtstreben. Dann hätte er ein Motiv, jeden auszuschalten, der über die damaligen Vorgänge etwas weiß.”
„Er sagt also Frank Nenad Bescheid, um Suvin auszuschalten, bevor der uns etwas erzählen kann”, schloss Rudi. „Aber dann müsste Boris Darkovic etwas von Suvins Doppelspiel als Informant gewusst haben. Und das kann ich mir wiederum nicht vorstellen, denn wieso hätte er dann Suvin erst jetzt stoppen sollen? Es wäre doch viel risikoloser gewesen, ihn schon lange vorher auszuschalten.”
„Ich bin mir sicher, dass das auch geschehen wäre”, war Reichle überzeugt.
„Und abgesehen davon leuchtet mir dann auch nicht ein, wieso Boris Darkovic nicht zuerst Ivan Suvin umgebracht hat, wenn der ein so großes Risiko für ihn war und er ohnehin schon wusste, dass der ihn verrät. Stattdessen hat er aber ein paar andere über die Klinge springen lassen.”
„Und wie könnte das alles zusammenpassen?”, fragte Rudi.
„Ich denke, das sind zwei Fälle”, meinte ich.
„Zwei Waffen, zwei Killer, zwei Fälle - Ihrer Logik kann man wirklich nicht widersprechen, Harry!”, fand Förnheim.
„Ich nehme an, dass Frank Nenad auf Anweisung von Boris Darkovic gehandelt hat”, sagte ich. „Der Grund ist einfach: Der Informant ist aufgeflogen. Vielleicht hat er sich einfach zu oft mit Kommissar Ortwin getroffen oder war unvorsichtig.”
„Und wer steckt deiner Meinung nach hinter den anderen Morden?”, fragte Rudi.
Ich zuckte mit den Schultern. „Jemand, der nicht will, dass die alte Geschichte aufgeklärt wird.”
„Das könnte ebenfalls Boris Darkovic sein”, gab Kommissar Reichle zu bedenken.”
„Könnte”, gab ich zu. „Es könnte aber auch jemand anderes sein, der dabei eine entscheidende Rolle spielte.”
Lin-Tai deutete auf die Personenaufstellung auf dem Großbildschirm. „Ich schlage vor, wir wenden uns den nüchternen Fakten und der mathematisch begründeten Hypothese zu - anstatt uns in Spekulationen zu ergehen, für die im Augenblick noch niemand von uns irgendeinen Beweis vorlegen kann.”
Ich sah Lin-Tai etwas erstaunt an. „Okay, dann bin ich jetzt ganz Ohr!”
„Ich wollte Ihnen eigentlich zeigen, welche Person wir mit Sicherheit bereits aus dem Kreis der großgewachsenen, basketballtauglichen Verdächtigen ausschließen können.”
„Darf ich raten? Es ist der Kerl, den Sie blau markiert haben.”
„Sie haben recht, Harry. Aber ich wette, Sie wissen nicht, warum ich ihn blau markiert habe.”
„Was ist der Grund?”
Frau Gansenbrink lächelte verhalten. Etwas, was sie nur selten tat. Es war einfach eine stille Zufriedenheit, die sich bei ihr auch dann einstellte, wenn sie ein statistisches Problem zu ihrer Zufriedenheit gelöst hatte oder eine Computersimulation wie gewünscht funktionierte. „Also, wir haben es mit Milan Buljan zu tun, einem ehemals treuen Unterboss von Niko.”
„Das hat er mit den anderen gemeinsam und rechtfertigt noch nicht die blaue Farbe”, sagte ich.
„Er hat zehn Jahre im Knast gesessen, weil er bei einem Drogendeal festgenommen wurde. So kann man es in den Akten nachlesen. Allerdings waren die Ermittlungsbehörden damals eigentlich ziemlich sicher, dass Milan Buljan nur der Strohmann für einen anderen war.”
„Für Niko”, schloss ich.
„Natürlich!”
„Milan hat nichts gesagt?”
„Er hat alle Kooperationsangebote abgelehnt. Wenn er sie angenommen und Niko in den Knast gebracht hätte, wäre er wesentlich glimpflicher davongekommen. Nach Buljans Entlassung war der ehemalige Drogenhändler dann plötzlich sehr wohlhabend. Niemand kann es beweisen, aber das Geld stammte vermutlich von Niko. Was aber eindeutig beweisbar ist, ist dass Niko die Krankenhausrechnungen der damals schwer krebskranken Mutter von Milan Buljan übernommen.”
„Vermutlich gehörte das auch zu dem Deal”, meinte ich.
„Viel hatte Niko da nicht zu bezahlen, Buljans Mutter ist ziemlich bald gestorben. Aber alles in allem dürfte Buljan Niko sehr verbunden gewesen sein. Und er hatte ganz sicher keinen Grund, sich an ihm zu rächen.”
„Wenn er das hätte tun wollen, wäre es vermutlich das Einfachste gewesen, wenn er einfach den Mund doch noch aufgemacht hätte”, ergänzte Rudi.
In diesem Augenblick bekam Kommissar Reichle einen Anruf. „Ja, hier Kommissar Reichle, was gibt es?”, meldete er sich. „Lassen Sie hören!” Reichle hörte ziemlich angestrengt zu und nickte schließlich, ehe er das Gespräch beendete. „Gute Nachrichten”, sagte er. „Das war der Innendienst. Es gab mehrere Telefonanrufe zwischen einer Prepaid-Handynummer, von der wir wissen, dass sie Boris Darkovic gehört und dem Handy von Frank Nenad. Man kann das so interpretieren, dass Nenad seine Befehle vom großen Boss bekommen hat.”
„Ich fürchte, das wird nicht einmal für einen Durchsuchungsbefehl reichen”, meinte Rudi.
„Wo bleibt Ihr Ehrgeiz, Herr Meier?”, fragte Kommissar Reichle kopfschüttelnd. „Versuchen Sie Ihren Vorgesetzten davon zu überzeugen und wenn der sich dann in Marsch setzt, findet der auch einen Richter, der für so etwas einen Durchsuchungsbefehl unterschreibt.”