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SIEBEN

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Der Stacheldraht wich einer Mauer. Bauarbeiter mauerten unter Aufsicht von Grenzsoldaten Hohlblocksteine auf, die uns Stück um Stück die Aussicht auf den Berliner Westen nahmen. Drüben standen Filmleute und jede Menge Neugierige dicht bei der Grenze. Wir Ostler hingegen wurden zurückgetrieben, wenn wir den Absperrungen zu nahe kamen. Hüben wie drüben hielten die Leute Ferngläser vor die Augen, wie um ein paar letzte Blicke auf den Teil Berlins zu erhaschen, der bis vor Kurzem noch problemlos zu erreichen gewesen war.

Im Westen waren große Plakate aufgestellt worden, auf denen unser System angeprangert wurde. Die DDR hielt mit flotter Musik und marxistischen Parolen dagegen. Es dauerte nicht lange, und auf der Westseite tauchten Wagen mit Lautsprechern auf dem Dach auf.

Mir platzte fast der Kopf.

Ich wandte mich ab und beschloss, nicht weiter an der Grenze herumzulungern, sondern mir zu überlegen, wie mein Leben nun weitergehen sollte.

Dass ich nicht mehr bei Reitmann & Sohn würde arbeiten können, stand fest. Aber Heike konnte ich weiterhin sehen. Jeden Abend erwartete ich sie am Grenzübergang. Im Grunde war es nicht anders als vorher, nur dass sie nun in den Osten kam statt ich in den Westen. Kino und schick essen gehen war nicht mehr drin, aber immerhin waren wir zusammen. Oft saßen wir den ganzen Abend in einer düsteren Kneipe, schmusten und redeten. Wenn der Wirt zumachte, musste Heike zurück in den Westen. Aber ich wusste, dass sie tags darauf wiederkommen würde.

Jeden Morgen zog ich guten Muts in meinem Anzug los – meinem einzigen wohlgemerkt, aber aus einem Geschäft am Ku’damm – und stellte mich bei Baufirmen vor. Ich wurde von schnippischen Sekretärinnen empfangen und wartete geduldig auf unbequemen Stühlen, bis man mich zu jemandem vorließ, der über Einstellungen zu entscheiden hatte. Manchmal musste ich einen langen Fragebogen ausfüllen, was ich gehorsam und gewissenhaft tat. Dann verschwand die Sekretärin mit dem Papier und tauchte nach wenigen Minuten wieder auf, um mir mitzuteilen, derzeit bräuchten sie niemanden. Oder meine Erfahrung würde ihren Anforderungen nicht genügen.

Ich bin gelernter Maurer! Mit sechs Jahren Berufserfahrung! Damit genüge ich jeder Anforderung!, hätte ich am liebsten gerufen, aber stattdessen bedankte ich mich artig für die Mühe und ging wieder.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, warum keiner mich haben wollte.

Weil ich Grenzgänger gewesen war.

Daraufhin ließ ich meinen West-Anzug im Schrank und stellte mich in abgetragener Hose und Strickjacke bei weiteren Betrieben vor. Ohne Erfolg. Ich trug »keine Berufserfahrung« in die Formulare ein oder verschwieg meine Tätigkeit für Reitmann & Sohn, wenn ich zu einem Gespräch vorgelassen wurde. Trotzdem kein Erfolg.

»Warum sind Sie gerade jetzt auf Stellensuche, Herr Niemöller?«, wurde ich des Öfteren gefragt.

Weil die Grenze dicht ist …

Keine Grenzgänger.

Ich biss die Zähne zusammen, versuchte es weiter, wurde immer wieder abgelehnt.

Aber abends war Heike da. Ihre Zärtlichkeiten lenkten mich einerseits von der Frustration ab und machten mir andererseits Mut. Irgendwann würde es schon mit einer Stelle klappen. Dann bekäme ich eine Wohnung zugewiesen, und Heike könnte zu mir in den Osten ziehen.

Grenzgänger

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