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Zwei grundlegende Prämissen

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Entscheidenden Anteil an der geringen Anzahl kritischer Islamwissenschaftler dürften demnach zwei grundlegende Prämissen aus den Werken Theodor Nöldekes haben, die in der westlichen Islamwissenschaft fast bedingungslos geteilt werden29. Zum einen die grundsätzliche Annahme, dass es sich beim Qur’ân um das authentische Wort des Propheten Muḥammad handele. Die vorliegende Textgestalt bilde nicht nur eine mehr oder weniger geschlossene Einheit30, sondern sei auch ganz im sogenannten „klassischen Arabisch“ aufgeschrieben worden. Für die Glaubwürdigkeit der überlieferten Botschaften stünde die verlässliche mündliche Tradition.

Zum anderen die prinzipielle Anerkennung der von der islamischen Geschichtsschreibung erzählten Ereignisse als historische Tatsachen31. Durch diese Prämissen erscheinen Artikel und Bücher über den Islam ganz aus der Haltung eines Muslims geschrieben, der an der Echtheit der göttlichen Offenbarung nicht zweifelt und der die Motive für Handlungen des Propheten ohne jegliche wissenschaftliche Skepsis an der Historizität dieser erzählten Umstände und Handlungen erklären will.

So konzentrierte sich die „historisch-kritische“ Arbeit seit Nöldeke darauf, die Suren des Qur’âns bzw. auch einzelne Verse aus den Suren „verschiedenen Abschnitten des Lebens Mohammeds zuzuordnen“32. Die westliche Islamwissenschaft wurde nach dem zweiten Weltkrieg vor allem durch Philologen weitergeführt, die sich weder historisch-kritisch noch religionsgeschichtlich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Materialien befassten. Schon Rudi Paret schrieb daher in der Einleitung zu seiner Qur’ânübersetzung: „Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass auch nur ein einziger Vers im ganzen Koran nicht von Muḥammad stammen würde“33 und bezieht sich ausdrücklich auf „den großen Orientalisten Nöldeke“, der den Koran als „Werk Muḥammads“ betrachtete34. In seinem Gefolge gehen westliche Islamwissenschafter und Orientalisten wie Bobzin, Busse, Gätje, Gaube, Hitti, Hoyland, Motzki, Nagel, Neuwirth oder Suermann mehr oder weniger davon aus, dass selbst „die Gliederung der Verse wie auch die Texteinteilung in Suren auf den Propheten selbst zurückgehen“35.

Dass die westliche Islamwissenschaft bis heute weitgehend mit Nöldeke der muslimischen Tradition folgt, mag auch an dem Umstand hängen, dass die kritischen Islamwissenschaftler bisher sehr unterschiedliche Thesen zur Entstehung des Islams und des Qur’âns in ihren Publikationen vertreten haben36. Die verschiedenen Ansätze machen aber zunächst nur deutlich, dass die Forschung in Bezug zu den Anfängen des Islams selbst ganz am Anfang steht und viele Fragen noch offen sind. Diese Fragen sind auch nach der traditionellen Darstellung noch offen, mag es auch durch das verbreitete relativ geschlossene Bild, das sich über den Islam gebildet hat, nicht so erscheinen.

Noch steht die Aufgabe aus, vergleichbar den Bibelwissenschaften, einen kritischen Apparat aller Handschriften des Qur’âns zusammenzustellen37. Obwohl also bekannt ist, dass eine kritische Qur’ânausgabe bis heute nicht vorliegt, geht man noch heute vielfach davon aus „dass mit höchster Wahrscheinlichkeit alle Verse des Korans, wie er uns heute vorliegt, authentisch, d.h. von Mohammed selbst verkündet sind“38. Tilman Nagel repräsentiert in seiner jüngst erschienenen Prophetenbiographie (2008) den klassischen Konsens und hält an dem verbreiteten überlieferten Bild fest: „Mohammed empfing über den Botenengel Gabriel die göttliche Rede (…) Der Koran ist identisch mit jener Rede, sie prägte sich dem Gedächtnis ein (…) vollständig und fehlerlos“39.

Es ist schon bemerkenswert, dass die Ansätze der historisch-kritischen Arbeit in der westlichen Islamwissenschaft bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht weitergeführt worden sind. Man müsste sich nur vorstellen, nichtchristliche Religionswissenschaftler untersuchten das Christentum inklusive einer fundamentalistischen Sichtweise auf die Bibel und auf die Entstehungsgeschichte der Bibel, ohne dabei kritische Fragen zu stellen. Das wäre höchst erstaunlich.

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