Читать книгу Religion fällt nicht vom Himmel - Andreas Goetze - Страница 15

Quellen der islamischen Frühgeschichte

Оглавление

Für die Frühgeschichte des Islams und das Leben der Muslime gibt es folgende literarische Quellen49: Den Qur’ân als erste Quelle und die „verbindliche Tradition“ (arab. „sunna“) als zweite Quelle. Die Sunna meint die Sammlungen von Ḥadîṯen, sogenannten „Lehrgeschichten“, in denen die Worte und Handlungen des Propheten Muḥammad und seine Entscheidungen in vielen Fragen des Lebens zu finden sind. Als die wichtigsten Ḥadîṯ-Sammlungen gelten die von al-Buḫârî50 (nach islamischer Tradition gest. 870), Muslim (gest. 875), Tirmiḏî (gest. 892), Nasâ‛î (gest. 915) und Ibn Mâğa (gest. 886).

Als weitere wichtige islamische Quellen sind die biographischen Werke anzusehen. Als bedeutendstes Buch gilt die Prophetenbiographie von Ibn Hišâm (gest. 833), auch „Sîra“ (arab. „Biographie“) genannt, die eine überarbeitete Version einer Sîra von Ibn Isḥâq (gest. 768) sein soll (von Ibn Isḥâq gibt es keine schriftlichen Zeugnisse). Für die islamische Geschichtsschreibung wichtig sind zudem die „Geschichte der Kriegszüge“ von al-Wâqidî (gest. 822), das „Kitâbu ’l-mağâzî“, eine Sammlung der Biographien der Prophetengefährten von Ibn Sa‛îd (gest. 841)51 und die „Annalen“ von aṭ-Ṭabarî (gest. 922). Die „Annalen“ werden bis heute trotz ihres legendarischen Charakters zur Rekonstruktion der islamischen Geschichte mit der arabischen Ausbreitung von Mekka her, der Geschichte der arabischen Reiche und Kalifen herangezogen und bestimmen die islamische Traditionsliteratur bis heute52. Die Chronologie der Ereignisse inklusive der genauen Zeitangaben in al-Wâqidîs Ausführungen zu den Schlachten sind ebenfalls bis heute maßgebend und gelten als eine wichtige Ergänzung zu der Sîra53.

Alle diese Texte, auf die sich die traditionelle islamische Geschichtsschreibung stützt, stammen aus dem 9./10. Jahrhundert, also aus einer Zeit rund 200 Jahre nach dem Tod Muḥammads54. Quellen aus späterer Zeit bieten aber zunächst keinen historischen Beleg für frühere Ereignisse. Sie sagen nur etwas aus über das Zeitalter, in dem sie geschrieben worden sind, d.h. in diesem Fall, was Menschen im 9. Jahrhundert oder später über das 7. Jahrhundert dachten, aber nicht, was im 7. Jahrhundert selbst gedacht worden ist55. Für die ersten zwei Jahrhunderte fehlen zeitgenössische islamische Quellen. „Dem Historiker des Islams“ stehen wohl „eine Masse von literarischen Quellen zur Verfügung, wie sie ähnlich keine andere Zivilisation vor dem Beginn der Neuzeit hervorgebracht hat“ (wie der Islamwissenschaftler Heribert Busse euphorisch schreibt56), sie sagen aber noch gar nichts aus über den Wert der Literatur als historischer Quelle. Auch wenn ein historischer Kern („es lebte ein Mensch mit Namen Muḥammad in Mekka“) angenommen wird, bleibt zu fragen, inwiefern dieser von den Deutungen späterer Quellen so stark überlagert ist, dass verlässliche Aussagen dazu kaum herausgearbeitet werden können. So bemerkt auch die der traditionellen Linie nahestehende Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer, dass „das Leben Muḥammads und der frühen Gemeinde (…), ungeachtet aller wissenschaftlichen Skrupel, im wesentlichen doch aus den literarischen Quellen rekonstruiert (wird)“57.

Religion fällt nicht vom Himmel

Подняться наверх