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Vorwort zur 5. Auflage

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Die nun erscheinende 5. Auflage, noch einmal ganz durchgesehen und überarbeitet (Dank an die Leserschaft), zeigt, wie viele Menschen daran interessiert sind, sich mit den historischen Quellen des Islams auseinanderzusetzen und dabei das gemeinsame Erbe sowie die unterschiedlichen Entwicklungslinien wahrzunehmen. Die in dieser Arbeit leitende historisch-kritische Perspektive wurde am häufigsten kritisiert – insbesondere von Vertretern der klassischen Islamwissenschaft, die weiterhin davon ausgehen, dass die von der islamischen Historiographie erzählte Entstehungsgeschichte ein historisches Dokument sei und kein Glaubenszeugnis. Der aufgeklärte Umgang mit den Quellen bleibt so lange eine Herausforderung, so lange man meint, der Glaube brauche – wie im scholastischen Denken – den Beweis. Glaube aber, so meine Überzeugung, lebt vom Vertrauen und lässt sich nicht mit Wissen identifizieren noch durch eine bestimmte Geschichtsschreibung „beglaubigen“.

Die historisch-kritische Perspektive macht vielmehr darauf aufmerksam, dass die Quellentexte durchaus historischen Wert haben. Sie sind aber keine historischen Berichte im eigentlichen Sinn. Sie eröffnen aber die Möglichkeit, dem Wort Gottes in seiner Dynamik (wie es der ägyptische Koran- und Literaturwissenschaftler Nasr Hâmid Abû Zayd, 1943–2010 entfaltet) zu begegnen und nicht den heiligen Text als Text für Gottes Wort selbst zu halten – natürlich in der Interpretation, die der eigenen Position entspricht.

Die historisch-kritische Perspektive, verbunden mit einer spirituell-theologischen Haltung, bietet recht verstanden die Voraussetzung dafür, einen ehrlichen Dialog der Religionen auf Augenhöhe zu führen und liefert ein Instrumentarium, fundamentalistischen Verengungen in einer Religion zu begegnen, ohne den Glauben abzuwerten. Sie ist dabei nicht nur eine Methode, sondern „Wegbegleiter“ einer Spiritualität, die Glauben und Denken zu verbinden mag. Es genügt nicht, die traditionellen Lesarten einfach weiterzutradieren und Gehorsam gegenüber der Überlieferung einzufordern. Vielmehr sollte immer kritisch gefragt, welche kulturellen, gesellschaftspolitischen und theologischen Grundlagen fundamentalistische Tendenzen befördern und eine Buchstabengläubigkeit begünstigen.

In der islamischen Tradition gab es schon im 11./12. Jahrhundert eine eigenständige Aufklärung lange vor der europäischen. So liegt ein großes, heute weitgehend unausgeschöpftes Potential darin, an den aufklärerischen rationalen Strömungen in der islamischen Geistesgeschichte anzuknüpfen. Diese Aufklärungstendenzen gilt es nach Abû Zayd zu verstärken: „Wir benötigen die freie Erforschung unseres religiösen Erbes. Dies ist die erste Bedingung für eine religiöse Erneuerung. (…) Es gibt keinen Raum für sakrosankte Zufluchtsorte der islamischen Lehre“. Der Koran sei keine Ansammlung von Gesetzen, sondern ein ästhetisch zu genießender und poetisch strukturierter und damit offener Text. Nicht blinder Glaube und schlichte Nachahmung sei gefordert, sondern ein reflektierter Dialog mit den Quellen, sonst werde der Koran in ein Gefängnis gedrängt, das seinen eigentlichen Absichten und seinen produktiven Potenzialen für Kultur und Gesellschaft nicht gerecht werde.

Zahlreiche Arbeiten sind in den letzten Jahren erschienen, die ihre Anfragen an die Entstehungsgeschichte des Islams und des Korans sowie an die Überlieferungen zum Propheten Muhammad richten. Dabei wird immer deutlicher, dass die traditionelle Historiographie nicht auf nachprüfbarer historischer Überlieferung beruht, sondern vor allem eine Glaubensgeschichte darstellt. Auch innerhalb der klassischen Islamwissenschaften ist die zaghafte Tendenz zu erkennen, ihre ursprünglichen Vorstellungen über die Anfänge des Islams und die Entstehungsgeschichte des Korans zu überdenken. So erläutert Angelika Neuwirth in einem Interview: „Mohammad war sicherlich ein begnadeter prophetischer Sprecher – aber der Koran spiegelt nicht die Gedankengänge eines Einzelnen wider, sondern ist das Resultat eines 22 Jahre dauernden Diskurses zwischen einem Sprecher und seinen Zuhörern“ und erklärt den Koran als Produkt einer gemeindebildenden Kommunikation. Und nach Carlos A. Segovia gibt es gute Gründe anzunehmen, dass die Bezeichnungen Ahmed und Mohammed statt eines Eigennamens eher ein Würdetitel gewesen sind, die dem ansonsten anonymen koranischen Propheten verliehen wurden.

Der wissenschaftliche Diskurs über die Frage einer längeren Entstehungsgeschichte (sicherlich mehr als 22 Jahre) und einer vielfältigen Autorenschaft des Korans wird weitergehen. Einer der wesentlichen Aspekte dürfte dabei die Diskussion sowohl um die Unterscheidung als auch um die wechselseitigen Bezüge von geglaubter Heilsgeschichte und historischen Dokumenten sein. Dazu möge die Neuauflage dieses Buches ihren Beitrag leisten. In aller Gelassenheit für die Gläubigen: Die religiöse Erkenntnis, so der muslimische Gelehrte Abdolkarim Soroush, sei immer wandelbar: Gott habe zwar mit Muhammad den letzten Propheten geschickt, nicht aber die letzte Interpretation von Gottes Wort.

Andreas Goetze am Epiphaniasfest, 6. Januar 2018

Religion fällt nicht vom Himmel

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