Читать книгу Tiefenzone - Andreas J. Schulte - Страница 13
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ОглавлениеHotel Grand Chancellor, Hobart/Tasmanien
»Ein Kreml-Sprecher bestätigte heute Vormittag, was seit Tagen als Gerücht in Moskau die Runde macht: Die ›Lenin‹, ein russischer Eisbrecher der neuesten Generation, gilt weiterhin als verschollen. Regierungsvertreter gehen mittlerweile davon aus, dass das Schiff im Nordpolarmeer gesunken ist. Vor drei Tagen gab es den letzten Funkkontakt mit dem Schiff. Gestern wurde im Internet eine Videobotschaft veröffentlicht, die Sicherheitsexperten als glaubwürdig einschätzen.
In der Botschaft bekennt sich eine Terroristengruppe, die sich WDI-Aktivisten nennt, zu einem Sprengstoffanschlag auf die ›Lenin‹. WDI, das steht nach Aussagen der Gruppe für ›We Do It‹. Die Gruppe hat bereits einen Anschlag auf die Greenpeace-Basis in der Antarktis verübt, und sie hat die deutsch-französische Forschungsstation auf Spitzbergen überfallen und zerstört. Bei diesem Überfall wurden drei Forscher erschossen und die Forschungsstation gesprengt. Sowohl die deutsche als auch die französische Regierung hatten diesen Überfall als einen feigen terroristischen Akt verurteilt. Die internationale Staatengemeinschaft hatte beide Länder in ihren Forderungen bestärkt, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Mit ihrem aktuellen Anschlag wären die Terroristen auch für den Tod der vierzigköpfigen Besatzung verantwortlich.
Zu seinen weiteren Maßnahmen und Reaktionen auf die jüngsten Verlautbarungen will sich der Kreml in einer gesonderten Pressekonferenz äußern. Mehr dazu in unserer anschließenden CNN-Sondersendung.«
Julia starrte auf den großen Fernseher, der schräg an der Wand der Hotelbar hing, und vergaß dabei ihr Sandwich und das Glas Weißwein.
»Was für Idioten!«
Sie schaute zur Seite. Ein Mann hatte sich mit seinem Whiskyglas in der Hand zu ihr an die Theke gestellt, um den CNN-Bericht besser verfolgen zu können. Er war mittelgroß, hatte blondes, volles Haar mit einem längst herausgewachsenen Haarschnitt und sah mit seinem Dreitagebart gleichzeitig ungepflegt und verwegen aus. Ein wenig erinnerte er sie an Robert Redford in »Jenseits von Afrika«.
»Glauben Sie wirklich, dass diese Aktivisten einen Eisbrecher versenkt haben?«, fragte Julia. Bei der Frage schaute er sie an, als ob er zum ersten Mal wahrgenommen hätte, dass hier an der Bar noch ein menschliches Wesen saß.
»Jede Wette. So schwer ist das gar nicht. Man muss nur eine ausreichend große Menge Sprengstoff und einen Funkzünder an Bord schmuggeln. Alles andere erledigt sich dann von alleine. Spitzbergen und die Greenpeace-Station, okay, das waren zwei andere Nummern. Dafür muss man vor Ort sein. Aber Idioten sind sie trotzdem.«
Julia nippte an ihrem Weißwein. »Ich verstehe nicht, was das Ganze soll. Wer kann Interesse an der Zerstörung von Forschungsstationen und einem Eisbrecher haben? Die Forschungsarbeit wird doch weitergehen, und auch die Seerouten werden weiter genutzt.«
»Für die ist jede Forschung in der Arktis oder Antarktis ein Eingriff in die Natur. Das sind Fanatiker, denen kann man nicht mit Argumenten kommen. Was die Stationen leisten, interessiert die nicht, die unersetzliche Forschungsarbeit, die Menschenleben – alles unwichtig. Und jetzt sind diese Aktivisten nicht nur Mörder, sondern haben auch noch die Verschmutzung einer ganzen Region zu verantworten. Die ›Lenin‹ wurde mit Dieselmotoren angetrieben. Ich möchte nicht wissen, wie viele tausend Liter Treibstoff gerade das arktische Meer verseuchen.«
Bevor Julia etwas darauf antworten konnte, hörte sie aus dem Hintergrund eine wohlvertraute Stimme.
»Obwohl wir zurzeit in der Antarktis Sommer haben, dürften dort wohl gut und gerne im Schnitt minus dreißig Grad Celsius herrschen. Und das ist dort der Sommer. Nun, darauf werde ich vorbereitet sein. Das bin ich natürlich meinem Publikum schuldig. Die Zuschauer erwarten von Harry Gantman hundertfünfzigprozentigen Einsatz, und ich habe nicht vor, sie zu enttäuschen.«
Julia konnte Harry zwar nicht sehen, weil er in einer der schwarzen Ledersitzgruppen mit Blick auf den Hafen saß, aber seine Ausführungen waren nicht zu überhören. Der Mann neben ihr trank sein Glas aus und murmelte zwischen zwei Schlucken: »Harry Gantman, was für ein furchtbarer Angeber. Möchte bloß mal wissen, welches arme Schwein dem immer seine Texte schreiben muss. Von nichts eine Ahnung, aber eine große Klappe für drei. So blöd muss man erst mal sein, um für diesen Idioten zu arbeiten.«
Dass Harry ein furchtbarer Angeber war, konnte Julia mittlerweile unterschreiben, aber die Loyalität zu ihrem Boss war groß genug, um diese Bemerkungen nicht unkommentiert stehen zu lassen.
»Harry Gantman hat jedenfalls Woche für Woche ein Millionenpublikum, und er weiß genau, was dieses Publikum sehen will.«
Ihr Nebenmann grinste schief. »Woher wollen Sie das so genau wissen?«
Sie rutschte von dem Barhocker, trank den Rest Weißwein aus und nahm ihr Sandwich vom Teller. Den Rest würde sie in ihrem Zimmer essen. Die Müdigkeit saß ihr in den Knochen, und sie hatte keine Lust, mit einem Fremden über ihren Boss zu diskutieren.
»Weil ich das arme Schwein bin, das ihm die Texte schreibt. Ich bin so blöd, für Harry Gantman zu arbeiten. Guten Abend.«
Julia drehte sich um und verließ die Bar. In einem Wandspiegel sah sie das Erstaunen des Fremden, und das Letzte, was sie hörte, war das dröhnende Lachen ihres Bosses, der sich wahrscheinlich gerade über einen seiner eigenen Witze amüsierte.