Читать книгу Tiefenzone - Andreas J. Schulte - Страница 8
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Оглавление»Michael, ich will nicht in die Antarktis. Schick bitte jemand anders dorthin. Beispielsweise Dennis, Dennis ist ganz scharf auf Außendrehtermine. Oder die Ute, die hat mir erst neulich in der Kaffeeküche die Ohren vollgejammert, sie käme nicht zum Zug.«
»Sag mal, Julia, spinnst du jetzt komplett? Was hast du denn in den letzten Monaten nach deiner Einarbeitung gemacht?« Beller warf einen kurzen Blick auf sein Notepad und rief eine Datei auf. »Da haben wir es doch schon. Korrigiere mich, wenn ich das falsch sehe. Deine Top drei waren bislang ›Keine Falten durch Schokolade?‹, ›So starben die Dinosaurier‹ und ›Die Top Ten der besten Küchenmesser‹. Okay, du hast dich nicht beschwert, weil du wusstest, was dich als Newcomerin bei der Harry-Gantman-Show erwartet. Aber erzähl mir doch bitte nicht, dass du auf diesen Verbraucherscheiß stehst. Was ist dein aktuelles Thema? Kaffeevollautomaten. Klar, wir brauchen solche Beiträge, schon wegen der Werbekohle im Hintergrund, aber das hat doch nichts mit den Dingen zu tun, mit denen wir berühmt wurden. Wir drehen im Dschungel, wir tauchen nach verborgenen Schätzen, und wenn das verdammte Bernsteinzimmer irgendwo im Schnee vergraben liegt, fangen wir eben mit dem Schneeschaufeln an.«
Julia wischte die schweißnasse Hand an ihrer Hose trocken. »Ja, das verstehe ich alles gut, und ich fühl mich auch geehrt.«
»Toll, dann trete dieses Gefühl nicht mit Füßen. Außerdem, was du über Dennis und Ute gesagt hast, das will ich besser überhört haben. Echt jetzt, wir sind hier ein Team, da finde ich Sätze wie ›ganz scharf auf Außentermine‹ oder ›Ohren vollgejammert‹ mehr als unpassend.«
Bellers Stimme hatte zum Schluss den sonst eher flapsigen Unterton verloren. Julia spürte, wie ihr bei der Zurechtweisung das Blut ins Gesicht schoss. Sie war eindeutig zu weit gegangen und hatte bei ihrem Redaktionsleiter eine rote Linie überschritten. Harry Gantman wollte sie in seinem Team haben, und sie wehrte sich mit Händen und Füßen – so was kam gar nicht gut an.
Beller stand auf. Ein deutliches Zeichen, dass für ihn die Debatte zu Ende war. »Wir verlangen ja nicht, dass du an einem Himmelfahrtskommando teilnimmst. Du fährst mit einem professionellen Team und internationalen Pressevertretern in die Antarktis zu dieser neuen Station. Der Flug wird sogar in einem VIP-Flugzeug stattfinden, habe ich gehört. Wahrscheinlich merkt ihr erst, dass ihr im ewigen Eis seid, wenn die Maschine landet und die Bordhäppchen weggepackt werden. So, das war’s mit meiner Ansprache. Die Anweisung vom Boss liegt auf dem Tisch, niemand kann dich zwingen, deine Entscheidung. Aber ich glaube kaum, dass du hier noch einen Fuß auf den Boden bekommst, wenn du die Nummer sausen lässt.«
»Hab ich verstanden, Michael. Und – wegen eben: Ich hab das nicht so gemeint, sorry.«
Michael Beller stieß sich vom Schreibtisch ab, an dem er sich angelehnt hatte. »Okay, Julia, Entschuldigung angenommen. Und denk drüber nach, was ich gerade gesagt habe.«
Julia saß in ihrer Arbeitsnische und starrte auf die graue Holzwand. Ihr Gespräch mit Michael würde den übrigen Redakteuren Stoff für mehrere Tage Bürotratsch bieten. Laut genug waren sie ja gewesen. Jede Wette, dass jetzt schon die ersten WhatsApp-Konten heiß liefen.
Julia wischte sich über die Augen. Zumindest zitterten ihre Hände nicht mehr. Michael hatte recht, die Entscheidung lag bei ihr. Dieses Projekt konnte ihr Durchbruch in der Redaktion der Harry-Gantman-Show sein, oder sie packte ihre paar Habseligkeiten in einen Karton und ging.
Stell dich nicht so an, du dummes Huhn. Nur für so eine Chance hast du doch vor einem Jahr hier angefangen.
Julia atmete tief durch. Sie brauchte jetzt einen Kaffee. Noch lieber wäre ihr der Cocktail mit Sue gewesen, aber der musste warten.
Fünf Minuten später hatte sie ihren Kaffeebecher aufgefüllt und den Rechner wieder hochgefahren.
Sie öffnete die Datei mit ihrem aktuellen Projekt und begann zu arbeiten. Nach einer Stunde erschien selbst ihr die Panikattacke absurd und lächerlich.