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ОглавлениеInternationaler Flughafen Hobart/Tasmanien
»Wo bleibt ihr denn? Das wird aber auch Zeit.« Lässig, mit übergeschlagenen Beinen saß Harry Gantman im Abflugbereich des Flughafens. Natürlich gab es hier keine VIP-Lounge, da musste sich selbst der große Harry Gantman mit einem einfachen Schalensitz aus Kunststoff und einem Pappbecher Kaffee aus dem Automaten begnügen. Am Eingang der Halle waren laut und vernehmlich Anne Bergströms Anweisungen zu hören. Die Sicherheitschefin hielt die Pressegruppe zusammen wie ein Hirtenhund seine Schafherde.
»Bitte gehen Sie alle zum Gate 3a. Gate 3a. Bitte bleiben Sie dort, in spätestens zehn Minuten beginnt das Boarding.«
Kein Ausreißen möglich, keine individuellen Abstecher in Richtung Kiosk.
Bevor Julia auf Harrys Frage etwas erwidern konnte, rauschte Sue an ihr vorbei und baute sich vor Harry auf. Sie warf ihm die beiden Schachteln und die Mappe in den Schoß. Der hatte Mühe, mit dem Becher in der Hand alles festzuhalten.
»Sue, pass doch auf. Himmel, fast hätte ich mir den heißen Kaffee aufs Bein gekippt.«
»Sei froh, wenn es nur dabei bleibt, Harry«, zischte Sue wütend. »Ich habe in den letzten Tagen ja alles brav geschluckt, aber du treibst es wirklich auf die Spitze. Einstiegsdreh am Hafen, das Märchen kannst du anderen erzählen. Du wolltest nur ausschlafen und gemütlich deinen Kaffee trinken. Klar, wozu sich auch Arbeit machen, wenn die gute alte Sue sich doch um alles kümmert. Irrtum, Harry, ich werde mich nicht mehr um alles kümmern. Ich bin deine Regisseurin, nicht dein Kindermädchen. Leg das verdammte Armband da an, bevor die dich für vermisst erklären, und lies dir die Mappe durch, damit du wenigstens ansatzweise den Anschein erweckst, als wüsstest du, wo es hingeht.«
Sue machte auf dem Absatz kehrt und ging in Richtung Damentoiletten davon. Mit halb geöffnetem Mund staunte Harry ihr hinterher. Julia vermutete, dass in den letzten Jahren niemand mehr so mit ihm gesprochen hatte. Na toll, Sue macht unserem Boss eine Szene, und ich stehe wie ein Schulmädchen daneben. Julia spürte, wie die Verlegenheit ihr den Hals zuschnürte. Das war’s für dich, Julia. Mitgefangen, mitgehangen.
»Harry … ich, also ich …« Julia wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihr Gestammel machte es in ihren Augen auch nicht besser.
»Was? Ach, Julia, seien Sie so gut und vergessen Sie bitte alles, was Sue da gerade gesagt hat. Sie ist überarbeitet, hat wahrscheinlich schlecht geschlafen.«
Harry Gantman, der Erfinder des aufgesetzten Lächelns. Er legte die Schachteln und die Mappe auf einen Nachbarsitz, stand auf und tätschelte Julias Arm.
»Ich vertraue darauf, dass Sie sich hundertprozentig reinhängen, das hier wird ein Meilenstein in unserer Geschichte, Julia.« Harrys Stimme schmeichelte, beschwor. »Sie werden nicht immer in der Redaktion bleiben, das weiß ich jetzt schon, Julia. Sie haben das Zeug dazu, weiterzukommen, vergessen Sie das nicht. Sue wird nicht immer bei uns bleiben.«
Julia schluckte und brachte immerhin ein Nicken zustande. Sie sah Harry nach. Tief in ihr mischte sich Verlegenheit mit der Erleichterung, noch einen Job zu haben. Ein widerlicher Gefühlscocktail.
»Wo will denn Harry hin?«
Bei der Frage zuckte sie überrascht zusammen. Roy stand hinter ihr.
»Wenn er klug ist, sucht er Sue und glättet die Wogen«, sagte Julia, ohne zu wissen, ob Harry und Roy miteinander befreundet waren. Sie musterte seine Mimik, versuchte Parteilichkeit herauszulesen und tastete sich mit sorgfältig gewählten Worten auf dünnem Eis weiter. »Also, Sue hat sich gerade mit Harry, ähm, gestritten. Ich weiß auch nicht, warum sie so explodiert ist. Ich meine, dafür hätte es doch andere Anlässe gegeben. Also, glaube ich zumindest …«
Roy sah sie erheitert an, aber jetzt war da auch Tiefe und Wärme in seinem Blick. »Keine Sorge, das wird schon. Mit den beiden ist das wie bei einem Geysir. Es brodelt, und irgendwann – bumm – geht alles hoch, bevor wieder Ruhe einkehrt und es erneut anfängt zu brodeln. Hätte mir denken können, dass unser kurzer Dreh am Hafen nur Show war. Aber Harry ist der Boss. Wenn er will, dass ich Yachten filme, filme ich halt Yachten.«
»Aber ich habe Sue noch nie so aufgebracht erlebt wie eben.«
»Du warst ja auch noch nie bei einem Außendreh dabei. Harry hat übrigens deine Texte gelobt, die kleinen Pointen, die du für ihn vorbereitet hast. Mach weiter so. Sollte mich nicht wundern, wenn wir in Zukunft öfter zusammenarbeiten.« Roy zwinkerte ihr zu und schlenderte dann leise pfeifend in Richtung Gate davon.
Julia blies die Wangen auf. Zu ihrem Gefühlscocktail kam jetzt noch ein Spritzer Scham hinzu. War sie Sue in den Rücken gefallen? Nein! Trotzdem blieb das Gefühl, an Sues Stuhl zu sägen, weil sie nicht Partei ergriffen hatte.