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7. Letztbegründungen und soziale Praktiken
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Die Frage nach dem letzten Geltungsgrund des Völkerrechts wird sich wohl niemals für alle befriedigend beantworten lassen. Hier gilt, wie für alle Versuche einer Letztbegründung, das Münchhausen-Trilemma:[18] Man zieht sich am eigenen Schopf aus dem Begründungssumpf – durch Behauptung, Zirkelschluss oder den unendlichen Regress auf immer grundlegendere Gründe. Dies ändert nichts an der Existenz des Völkerrechts als sozialer Praxis in den internationalen Beziehungen. Auch die Kelsen'sche Grundnorm und der systembegründende Konsens der Konsenstheorien gehen von diesem sozialen Faktum aus: Es gibt das Völkerrecht, und Staaten messen ihm Bedeutung zu, indem sie teilweise erheblichen Aufwand und Ressourcen investieren, um völkerrechtliche Verträge auszuhandeln (oder um eine verbindliche Rechtsform bewusst zu verhindern). Auch ohne lückenloses Zwangssystem findet das Völkerrecht generell Beachtung im internationalen Verkehr. Der US-amerikanische Völkerrechtler Louis Henkin hat dies auf pointierte Weise gefasst: „It is probably the case that almost all nations observe almost all principles of international law and almost all of their obligations almost all of the time.“[19] Ein Staat, der sich als unzuverlässig bei der Einhaltung seiner Rechtspflichten erweist, wird Schwierigkeiten haben, von anderen Staaten verbindliche Zusagen zu erhalten. Dies verdeutlicht zugleich, dass Reziprozität wenn auch kein Rechtsprinzip, so doch eine wichtige Triebfeder bei der Entstehung und Entwicklung des Völkerrechts ist.[20]