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II. Von der Frühzeit bis 1945
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Die Geschichte des Völkerrechts reicht weit zurück. Mit Sesshaftwerdung der Menschen und der Gründung früher Siedlungen wurden Regeln notwendig, das Zusammenleben innerhalb der Gemeinschaften zu ordnen. Als diese zu größeren Herrschaftsverbänden heranwuchsen und miteinander Beziehungen aufnahmen, wurden entsprechend den internen Regeln auch Normen für den „internationalen“ Bereich entwickelt. Als ältester bekannter Vertrag gilt das Abkommen zwischen den Stadtstaaten Lagasch und Umma in Mesopotamien aus dem Jahr 3100 v. Chr. In dieser Frühzeit ging es insbesondere darum, Herrschaftsbereiche abzugrenzen (Grenzverträge) oder zu sichern (Bündnisverträge, Friedensverträge), aber auch darum, Wirtschaftsbeziehungen zu regeln (Handelsabkommen).
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Auch im hellenischen Kulturkreis bildeten sich durch Verträge und Gewohnheit in diesen Bereichen Normen zwischen den einzelnen Stadtstaaten heraus. Jedoch bestand trotz der vereinzelt geschaffenen Rechtsverhältnisse das Völkerrecht noch nicht als allgemein anerkannte übergeordnete Rechtsordnung. Das Römische Reich lehnte es sogar explizit ab, nichtrömische Völker als gleichberechtigte Vertragspartner anzusehen. Das ius civile galt nur im Verhältnis zu römischen Bürgern; der Verkehr mit Nichtrömern bestimmte sich nach den Regeln des ius gentium (Rn. 1).
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Auch nach dem Untergang des Imperium Romanum war die weitere Entwicklung des Völkerrechts für lange Zeit gehemmt. Dies lag u. a. daran, dass in den auf Rom folgenden germanischen Kulturen die persönlichen Rechtsbeziehungen zwischen den Fürsten maßgeblich waren. Dies hinderte die Bildung eines allgemein zwischen den Herrschaftsverbänden gültigen Rechtssystems ebenso wie der mit der Reichsidee verbundene Universalitätsanspruch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Dennoch wurden im (ausgehenden) Mittelalter von der theologischen Scholastik wichtige Grundlagen des Völkerrechts gelegt. So hat Thomas von Aquin (ca. 1225-1274) die Lehre vom gerechten Krieg weiterentwickelt und in naturrechtliche Vorstellungen einer für alle Herrschaftsverbände geltenden Rechtsordnung eingefügt.
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Mit dem Beginn der Neuzeit[23] wurde die theoretische Fundierung des Völkerrechts weiter vertieft. Die Spätscholastiker des „Spanischen Zeitalters“ (Autoren wie Francisco de Vitoria [ca. 1483-1546], Domingo Soto [1494-1560] und Francisco Suárez [1548-1617]) orientierten sich am Naturrecht und relativierten so den universellen Herrschaftsanspruch von Kaiser und Papst. Ebenso führten sie das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit von Zweck und Mitteln in das Kriegsrecht ein. Hierauf aufbauend führte der Niederländer Hugo Grotius (1583-1645) die bereits von Alberico Gentili (1552-1608) begonnene „Enttheologisierung“[24] des Völkerrechts fort, indem er dieses auf eine doppelte Grundlage stellte: das ius gentium naturalis, das er aus der menschlichen Vernunft herleitete, und das ius gentium voluntarium, das aus der Staatenpraxis entsteht. In seinem Hauptwerk „De jure belli ac pacis“ („Vom Recht des Krieges und des Friedens“) entwarf er ein völkerrechtliches Gesamtsystem, welches in seinen Grundgedanken bis heute gültig ist. Aus diesem Grunde wird Grotius bisweilen als der „Vater des Völkerrechts“ bezeichnet.[25]
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Prägend für das moderne Völkerrecht wurde dann v. a. der Westfälische Friede von 1648, der eine Neuordnung Europas auf der Basis souveräner Territorialstaaten brachte, die einander gleichberechtigt gegenüberstehen. Er leitete die Epoche des durch seine Wertneutralität gekennzeichneten „klassischen Völkerrechts“ ein, die erst mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende ging. Souveränität (im Sinne von unabgeleiteter Hoheitsgewalt) und rechtliche Gleichheit der Staaten sind Grundideen dieses „Westfälischen Systems“. Sie verbinden sich im Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten[26], der bis heute eine tragende Säule des Völkerrechtssystems ist (vgl. Art. 2 Nr. 1 UNCh).
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War das Völkerrecht in der Anfangszeit noch stark vom europäischen Konzert der Mächte dominiert, traten mit Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend außereuropäische Staaten auf die politische Weltbühne, die sich allerdings kulturell dem ius publicum europaeum verpflichtet sahen: die USA ebenso wie die im 19. Jahrhundert in die Unabhängigkeit entlassenen Kolonien in Südamerika; auch die Öffnung Japans in der Meiji-Ära orientierte sich an europäischen Vorbildern. Erst das 20. Jahrhundert hat hier, v. a. durch die Dekolonisierungen nach 1945, einen Öffnungsprozess eingeleitet.[27] Auch die Fixierung der Völkerrechtsgeschichtsschreibung auf das ius publicum europaeum wird zunehmend kritisch hinterfragt (global history approach).[28]
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Mit dem 19. Jahrhundert begann eine sprunghafte Zunahme völkerrechtlicher Vertragsschlüsse, zunächst v. a. bilateraler Art. Erste multilaterale Verträge entstanden im Bereich des humanitären Völkerrechts (Genfer Rotkreuz-Konvention 1864). Internationale Konferenzen, wie v. a. die auf Betreiben des russischen Diplomaten Friedrich von Martens initiierten Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 zeugen vom zunehmenden Bestreben, die Beziehungen zwischen den modernen Nationalstaaten auf feste völkerrechtliche Füße zu stellen.[29] In der Gründung früher internationaler Organisationen (z. B. Internationaler Telegraphenverein 1865, Weltpostverein 1874) kommt ein erstes Bemühen um internationale Kooperation zum Ausdruck.
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Der Zusammenbruch der alten Ordnung im Ersten Weltkrieg verhieß eine neue Phase in den internationalen Beziehungen: Die Völkerbund-Zeit war geprägt von den – letztlich auf tragische Weise erfolglosen – Versuchen, den Weltfrieden zu sichern (u. a. Errichtung des StIGH, Ächtung des Angriffskrieges im Briand-Kellogg-Pakt) und die zwischenstaatliche Kooperation zu vertiefen. Erst die Erschütterungen durch den Holocaust und einen weiteren Weltkrieg vermochten der Völkerrechtsentwicklung nachhaltig neue Impulse zu geben.