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III. Besonderheiten im Umgang mit dem Völkerrecht
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Der Umgang mit dem Völkerrecht stellt den am deutschen Recht geschulten Juristen vor Herausforderungen. Dies liegt vor allem an den Rechtsquellen: Weit mehr als im innerstaatlichen Recht spielen ungeschriebene Rechtsgrundsätze eine Rolle. Hier besteht die erste Aufgabe darin, die Existenz einer Rechtsnorm zu begründen und ihren Inhalt zu ermitteln. Da das Gewohnheitsrecht u. a. auf einer internationalen Praxis beruht, sollte man zu seiner Begründung über politische und (zeit-)geschichtliche Kenntnisse verfügen. Als Hilfsmittel zur Ermittlung ungeschriebener Völkerrechtsnormen (oder auch zur Auslegung völkerrechtlicher Verträge) dienen u. a. Entscheidungen internationaler oder nationaler Gerichte oder Schiedsgerichte. Auch ohne eine Präjudizienbindung wie im angelsächsischen Recht ist die Kenntnis wichtiger Gerichtsentscheidungen für die Beantwortung völkerrechtlicher Fragen unerlässlich. Aus diesem Grunde wird in diesem Buch immer wieder auf einschlägige Judikate verwiesen, die sich im Anhang in einer Auswahl zusammengestellt finden.
Bei der Konkretisierung allgemein gehaltener Normen (z. B. des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben, des gewohnheitsrechtlichen Instituts der billigen und fairen Aufteilung geteilter Wasserressourcen oder des Grundsatzes der souveränen Gleichheit in Art. 2 Nr. 1 UNCh) müssen mit Hilfe solcher Kenntnisse Antworten in einer behutsamen Mischung aus Induktion (= Argumentieren von Einzelfällen zu einer gemeinsamen Regel hin) und Deduktion (= Argumentieren von einer abstrakten Regel zum Einzelfall hin) gefunden werden (Rn. 298–301).
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Dass das Studium des Völkerrechts Fremdsprachenkenntnisse voraussetzt, dürfte kaum überraschen: Im (Studien-)Alltag wird man zwar mit deutschsprachigen Textausgaben arbeiten; bei multilateralen Vertragswerken ist das Deutsche aber nur selten eine der authentischen Sprachfassungen. Für Feinheiten der Auslegung muss man auf die authentischen Fassungen zurückgreifen (können). Gute Kenntnisse der englischen Sprache sind heute unerlässlich – schon weil die einschlägige Literatur überwiegend auf Englisch abgefasst ist. Hilfreich sind auch weitere Sprachkenntnisse, vor allem des Französischen.
Viele Begrifflichkeiten und Wendungen im Völkerrecht entstammen der lateinischen, der französischen und der englischen Sprache. Hieran kann man Epochen der Völkerrechtsentwicklung ablesen: Bis in die Zeit der Aufklärung hinein war das Lateinische die universelle Sprache von Wissenschaft und Recht. Hierauf verweisen noch heute z. B. der Begriff der consuetudo (= Gewohnheit, Übung, Praxis) oder der Grundsatz par in parem non habet imperium („ein Gleicher hat über einen Gleichen keine Herrschaftsgewalt“). Etwa vom 18. Jahrhundert an wurde das Französische die Sprache der Diplomatie und des internationalen Rechtsverkehrs. An Begriffen wie dem des domaine réservé (d.i. der den Staaten vorbehaltene Bereich innerer Angelegenheiten, in den sich kein anderer Staat einmischen darf) lässt sich dies noch heute ablesen. Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs schließlich sorgt die Dominanz der englischen Sprache auf internationaler Ebene zu einem Anwachsen der englischen Fachterminologie.
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In der Begegnung mit fremden Sprachen liegt oft auch eine Begegnung mit fremden Rechtskulturen und fremdem Rechtsdenken. Hierin liegt eine der faszinierenden Perspektiven, die eine Befassung mit dem Völkerrecht eröffnet: Es geht um ein Recht mit potentiell universellem Anspruch. Am Diskurs über das Völkerrecht nehmen Wissenschaftler und Praktiker aus der gesamten Welt teil. Das Objekt des Diskurses ist dasselbe, der jeweilige Hintergrund aber kann z. T. sehr verschieden sein, wie insbesondere die Diskussion über die Universalität der Menschenrechte zeigt (Rn. 617–619). Diese Einsicht hat die pointierte Frage provoziert, ob das internationale Recht überhaupt international ist.[21] Das Völkerrecht zwingt dazu, die Perspektive zu erweitern und lehrt, auch das eigene Recht und Rechtsverständnis von außen zu betrachten.
Vertiefende Literatur zu A.:
P. Allott, The Concept of International Law, EJIL 10 (1999), 31; C. Amerasinghe, International Law and the Concept of Law: Why International Law is Law, FS Skubiszewski, 1996, 79; ders., Theory with Practical Effects: Is International Law neither Fish nor Fowl?, AVR 37 (1999), 1; J. d’Aspremont, International Law as a Belief System, 2018; J. M. Beneyto/D. Kennedy (Hg.), New Approaches to International Law, 2012; P. S. Berman, A Pluralist Approach to International Law, YaleJIL 32 (2007), 301; S. Besson/J. Tasioulas (Hg.), The Philosophy of International Law, 2010; A. Buchanan/D. Golove, Philosophy of International Law, in: Coleman/Shapiro (Hg.) The Oxford Handbook of Jurisprudence and Philosophy of Law, 2004, 868; H. Bull, The Anarchical Society: A Study of Order in World Politics, 3. Aufl. 2007; D. Buss/A. Manji (Hg.), International Law: Modern Feminist Approaches, 2005; A. Carty, Sociological Theories of International Law, MPEPIL (3/2008); D. E. Childress (Hg.), The Role of Ethics in International Law, 2012; B. S. Chimni, International Law and World Order, 2. Aufl. 2018; J. Crawford, Chance, Order, Change: The Course of International Law, RdC 365 (2013), 9; T. Franck, The Power of Legitimacy Among Nations, 1990; M. García-Salmones Rovira, The Project of Positivism in International Law, 2013; D. Georgiev, Politics or Rule of Law: Deconstruction and Legitimacy in International Law, EJIL 4 (1993), 1; S. Hall, The Persistent Spectre: Natural Law, International Order and the Limits of Legal Positivism, EJIL 12 (2001), 269; L. Henkin, How Nations Behave, 1968; J. Kammerhofer/J. d’Aspremont (Hg.), International Legal Positivism in a Post-Modern World, 2014; H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960; H. Koh, Why Do Nations Obey International Law?, YLJ 106 (1997), 2599; M. Koskenniemi, The Politics of International Law, EJIL 1 (1990), 4; ders., From Apology to Utopia: The Structure of International Legal Argument, 2. Aufl. 2005; S. Kouvo/Z. Pearson (Hg.), Feminist Perspectives on Contemporary International Law, 2011; H. E. Lee/S. Lee, Positivism in International Law: State Sovereignty, Self-Determination and Alternative Perspectives, Asian YIL 16 (2010), 1; R. McCorquodale, Defining the International Rule of Law: Defying Gravity?, ICLQ 65 (2016), 277; H. Mosler, Völkerrecht als Rechtsordnung, ZaöRV 36 (1976), 6; S. Oeter, International Law and General Systems Theory, GYIL 44 (2001), 72; A. Orakhelashvili, Natural Law and Justice, MPEPIL (8/2007); A. Orford (Hg.), International Law and its Others, 2009; N. Rajkovic/T. Aalberts/T. Gammeltoft-Hansen (Hg.), The Power of Legality, 2016; S. Ratner, Legal Realism School, MPEPIL (7/2007); ders., The Thin Justice of International Law, 2015; M. N. S. Sellers (Hg.), Parochialism, Cosmopolitanism, and the Foundations of International Law, 2012; P. Singh/B. Mayer (Hg.), Critical International Law, 2014; B. Stark (Hg.), International Law and Its Discontents, 2015; R. Steinberg/J. Zasloff, Power and International Law, AJIL 100 (2006), 64; F. Tesón, The Kantian Theory of International Law, ColumLR 92 (1992), 53; ders., A Philosophy of International Law, 1998; J. Weiler/A. Nissel (Hg.), International Law: Critical Concepts in Law, 2011; J. Wiegandt, Internationale Rechtsordnung oder Machtordnung? Eine Anmerkung zum Verhältnis von Macht und Recht im Völkerrecht, ZaöRV 71 (2011), 31; K. Zemanek, Legal Foundations of the International System, RdC 266 (1997), 9.
Teil I Allgemeines Völkerrecht › § 1 Einführung in das Völkerrecht › B. Entwicklungsstufen des Völkerrechts