Читать книгу Klausurenkurs im Völkerrecht - Andreas von Arnauld - Страница 11
2. Politischer Charakter
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Völkerrecht ist ein zutiefst „politisches“ Recht. Während aber im deutschen öffentlichen Recht der Übergang von der Politik zum Recht sich vergleichsweise deutlich an bestimmten Formen der Rechtsakte festmachen lässt, stellt das Völkerrecht vor größere Probleme:[11] Kann man die Zuordnung von völkerrechtlichen Verträgen zum Recht noch ohne Schwierigkeiten vornehmen, so ist es mit dem sog. soft law (Entschließungen, Erklärungen auf Konferenzen u. v. m.) schon schwieriger: Es handelt sich nicht um Recht, bewegt sich aber im „Dunstkreis“ des Rechts. Auch einseitige Erklärungen können rechtlich verbindlich sein, wenn sich dies aus den Umständen der Erklärung ergibt. Vor allem aber das Gewohnheitsrecht ist schwer zu fassen: Die Grenze zwischen bloß politisch motivierter Praxis und dem Völkergewohnheitsrecht wird durch die wenig greifbare opinio iuris, die Rechtsüberzeugung der Rechtsakteure, markiert. Zusätzlich erschwert wird die Grenzziehung dadurch, dass Staaten durchaus auch wiederholt gegen eine Regel des Gewohnheitsrechts verstoßen können, ohne dass dies die Geltung dieser Norm in Frage stellen würde. Gewohnheitsrecht ist mehr als eine Verhaltensregelmäßigkeit, die ein Marsbewohner anhand bloßer Beobachtung von Häufigkeiten rein äußerlich bestimmen könnte.[12]
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Politisch motiviert und nicht zuletzt durch das faktische Kräfteverhältnis bestimmt sind auch die Reaktionen auf Rechtsbrüche. Wenn sich gerade kleine und wenig einflussreiche Staaten beklagen, im Völkerrecht gelte, dass man die Kleinen hänge, die Großen aber laufen lasse, so steckt hierin gewiss nicht selten eine bittere Wahrheit.
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Auch hier schafft das UN-System teilweise Abhilfe. Solange sich aber mächtige Staaten als ständige Mitglieder des Sicherheitsrats mit einem Veto selbst vor verbindlichen Resolutionen der Vereinten Nationen schützen können, hängt die Beachtung des Völkerrechts für diese Staaten von ihrer Bereitschaft ab, sich in die Völkerrechtsgemeinschaft einzuordnen.[13] Zwar kann auch ein mächtiger Staat nicht eigenmächtig das geltende Recht verändern; das Problem der Einhaltung der Spielregeln des internationalen Miteinander aber bleibt (vgl. Fall 14). Der Übergang von einer nach dem Ende des Ost-West-Konflikts kurzzeitig unipolaren zu einer multipolaren Weltordnung – mit aufstrebenden regionalen Führungsmächten, zunehmender regionaler politischer und rechtlicher Integration und Erweiterung der Akteure (gestärkte Rolle von Nichtregierungsorganisationen und netzbasierter Öffentlichkeit) – drängt indes die Gefahr konfrontativer Alleingänge zurück und wird die Institutionen des Völkerrechts als Grundlage des verlässlichen Miteinander mittelfristig eher stärken.