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3. Indirekter Charakter

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Die Rolle des Individuums im Völkerrecht ist eine untergeordnete: Zwar sind es Menschen, die handeln, unterlassen, dulden, und auch völkerrechtliche Regeln beziehen sich vielfach auf menschliches Verhalten; sie erfassen dieses aber meist nur mittelbar. Das klassische Völkerrecht endet an der Hülle des Staates. Es betrachtet den Staat als einheitliches Rechtssubjekt und ist „blind“ für Vorgänge im Innern des Staates (weswegen auch eine verfassungsrechtlich unabhängige Justiz für den Staat handelt und dessen völkerrechtliche Verantwortlichkeit auslösen kann).

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Dass aus dieser Perspektive der Mensch nur als Glied eines Staates in Erscheinung tritt (Stichwort: Mediatisierung des Individuums), hat weitere Folgen: Sofern er als Staatsorgan tätig ist, wird sein Verhalten dem Staat zugerechnet. Bei Privaten indes tauchen Zurechnungsprobleme auf (hierzu Fälle 5 und 6);[14] hier verlagert sich die Verantwortung des Staates primär auf die Ebene von „Überwachen und Strafen“, d. h. der Staat muss durch innerstaatlich wirksame Maßnahmen dafür sorgen, dass völkerrechtliche Standards nicht durch privates Verhalten verletzt werden. Dort, wo der Einzelne Opfer der rechtswidrigen Handlung eines anderen Staates wird, muss sein Heimatstaat dessen Anliegen im Wege des diplomatischen Schutzes aufgreifen, um die Rechtsverletzung gegenüber dem „mediatisierten“ Individuum auf die völkerrechtliche Ebene zu bringen (Fälle 5 und 9).[15]

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Auch hier zeichnet sich in Teilbereichen ein Wandel ab;[16] dort nämlich, wo Menschenrechtsverträge den Einzelnen als unmittelbaren Träger der vertraglich niedergelegten Rechte betrachten und ihn mit eigenen Durchsetzungsrechten ausstatten (z. B. Individualbeschwerde nach EMRK oder IPBPR: Fall 10) oder wo der Einzelne wegen eines Verstoßes gegen völkerrechtliche Normen (das sog. Völkerstrafrecht) vor ein internationales Gericht gestellt wird (Fall 16).

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Insgesamt lässt sich in den letzten Jahrzehnten ein Aufweichen der souveränitätsbewehrten Hülle des Staates beobachten: Menschenrechtsverträge schützen nicht allein die Fremden (so noch das klassische Fremdenrecht: hierzu Fall 9), sondern auch die Staatsangehörigen gegenüber der eigenen Staatsgewalt; das humanitäre Völkerrecht erfasst auch nicht internationale bewaffnete Konflikte; die Vereinten Nationen widmen sich verstärkt auch Krisen und Unruhen innerhalb von Staaten (Fall 15). Dies ist teils Folge der bereits beschriebenen Entwicklung hin zu einer Wertegemeinschaft, die in einen Selbstwiderspruch geriete, wenn sie Verstöße gegen ihre Werte im innerstaatlichen Bereich zuließe; zum Teil geht es auch um Prävention, d. h. um die Verhinderung von Friedensgefährdungen im Vorfeld. Da internationale Krisen ihren Ausgang heute vielfach in innerstaatlichen Konflikten nehmen, z. B. durch sich auflösende Staatsgewalt (sog. failed oder failing states: Fall 4), nimmt das Völkerrecht auch innerstaatliche Vorgänge zunehmend in den Blick.[17]

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