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1. Besonderheiten beim Aufbau

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Da ist zunächst die Frage des Aufbaus. Es gibt nicht den einen verbindlichen Aufbau für völkerrechtliche Klausurlösungen. Mehr noch als im nationalen Recht gilt, dass man nicht stur an einem Schema festhalten darf. So ist die bei Studierenden beliebte Deliktsprüfung als Grundgerüst hilfreich, aber eben nur dort, wo auch danach gefragt ist, ob ein Rechtsverstoß vorliegt.[18] Wo etwa nach Gebietsansprüchen eines Staates gefragt wird, hilft ein solcher Aufbau offenkundig nicht weiter. Ferner sind nicht stets alle Punkte eines solchen Prüfungsschemas relevant. Wenn die Aufgabenstellung sich nicht auf die sekundären Rechtsbeziehungen der Beteiligten erstreckt, wird man auch keine Punkte dafür erhalten, dass man sich zu der Pflicht zur Wiedergutmachung bei völkerrechtswidrigem Verhalten äußert (anders, wenn z. B. ganz allgemein nach der „Rechtslage“ gefragt ist). Man kennt es i. Ü. auch aus dem nationalen Recht: Wer nach den Erfolgsaussichten einer Klage gefragt wird und bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt die Prüfung damit beginnt, dass er die Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit problematisiert, „klebt“ zu sehr an einem erlernten Schema und steht unter dem Verdacht, Schwerpunkte nicht setzen zu können.

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Dass es nicht den einen Aufbau für das Völkerrecht geben kann, liegt auf der Hand, wenn man bedenkt, dass das Völkerrecht eine Rechtsordnung – und kein Rechtsgebiet – darstellt. Es kann um vertragliche Ansprüche gehen, um den Einsatz militärischer Gewalt mit oder ohne Mandat der Vereinten Nationen, um umweltrechtlich relevante Vorhaben, um Piraterie oder die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Das Völkerrecht kann sich praktisch jedes nur erdenklichen Rechts- und Lebensbereichs bemächtigen: Voraussetzung ist nur, dass die Staaten meinen, einem Problem besser begegnen zu können, wenn man sich auf zwischenstaatlicher Ebene über Wege zu seiner Lösung verständigt. In einer im Zeichen der „Globalisierung“ näher zusammenrückenden Welt liegt es in der Natur der Entwicklung, wenn immer weitere Bereiche „internationalisiert“, also gewissermaßen „vervölkerrechtlicht“ werden.[19] Diese Vielfalt sollte aber kein Grund zur Beunruhigung sein; denn im Grundansatz wird wer sich im Lösen nationalrechtlicher Fälle hinlänglich auskennt, in völkerrechtlichen Fällen viel Bekanntes wiederentdecken:

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Auch wenn das Völkerrecht gemeinhin als „Internationales Öffentliches Recht“ bezeichnet wird, ähnelt es in seiner genossenschaftlichen Struktur eher dem Zivilrecht:[20] Einander im Grundsatz gleichberechtigte Partner vereinbaren sich durch Vertrag oder Gewohnheit über die wechselseitigen Rechte und Pflichten und verpflichten sich nur soweit selbst, als sie sich freiwillig eine solche Pflicht auferlegen. Wie im Zivilrecht geht es auch im Völkerrecht vielfach um eine Prüfung vertraglicher Ansprüche und um die Verletzung vertraglicher Pflichten (z. B. Fall 2). Die Regeln über das Zustandekommen und die Beendigung völkerrechtlicher Verträge, die in der WVK vorgesehen sind, folgen dem aus dem deutschen Zivilrecht vertrauten Grundmuster „Anspruch (wirksam) entstanden? Anspruch untergegangen?“ und kennen dementsprechend rechtshindernde (wie die fehlende Vertretungsbefugnis, Zwang oder Irrtum) und rechtsvernichtende Einreden (z. B. Unmöglichkeit, Wegfall der Geschäftsgrundlage).[21] In dieser Perspektive weist auch das völkerrechtliche Delikt Parallelen zum Zivilrecht auf, nämlich zum zivilrechtlichen Deliktsrecht: Man erkennt bekannte Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme, Fragen des Schadens (haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität etwa) usw.

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Innerhalb von Vertragswerken tauchen ebenso, abhängig von dem jeweiligen Vertragsgegenstand, Denkmuster und damit Prüfungsraster auf, die aus dem nationalen Recht vertraut sind: z. B. die Prüfung von Grund- und Menschenrechtsverletzungen, die dem abwehrrechtlichen Muster im deutschen Verfassungsrecht ähneln (1. Eingriff in den Schutzbereich, 2. Eingriffsrechtfertigung: Fall 10). Wird das Organ einer Internationalen Organisation gegenüber einem Mitgliedstaat tätig, so ist zu prüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen solchen Eingriff vorlagen, ob die Grenzen der Befugnisse beachtet wurden etc. (vgl. Fälle 14 und 15): Gedankengänge, die sich innerstaatlich im Bereich der Eingriffsverwaltung finden. Im Rahmen des Völkerstrafrechts, wie es vertraglich im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs geregelt ist, findet sich glasklares materielles Strafrecht neben genuinem Strafverfahrensrecht: Die Regeln über den Erlass von Haftbefehlen nach StPO und nach dem Römischen Statut weisen weitgehende Parallelen auf (Fall 16).

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Natürlich gibt es immer wieder Besonderheiten, die man nicht übersehen darf, um nicht das nationale Recht fälschlicherweise „eins zu eins“ auf das Völkerrecht zu projizieren; die Grundstruktur völkerrechtlicher Falllösungen ist aber nicht gar so fremd, wie es zunächst scheinen mag. Nur muss man sich klar machen, dass völkerrechtliche Fälle Parallelen zu praktisch allen Rechtsgebieten des nationalen Rechts aufweisen können, nicht bloß (und noch nicht einmal in erster Linie) zum öffentlichen Recht.[22]

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