Читать книгу Die Schlangenmaske - Annabelle Tilly - Страница 11

6 Mailand, Kirche San Fedele, August 1776

Оглавление

Gianfranco Colarie saß in der dunkelsten Ecke der Kirche San Fedele und wartete auf Carla, seine Zwillingsschwester. Er wusste, wie schwierig es für sie war, der Trattoria Rosario für ein heimliches Treffen mit ihm zu entfliehen.

Mit einem Schmunzeln erinnerte er sich an das letzte Mal, als Carla bepackt wie ein Lastesel mit ramponierten Pfannen und Töpfen erschienen war. Sie hatte vorgegeben, das Kochgeschirr beim Kesselschmied flicken zu lassen.

Ungeduldig trommelte er mit seinen schmalen, langen Fingern auf seine Knie. Die Zeit drängte, auch er musste zurück zur Arbeit. Nervös fuhr er sich mit dem Handrücken über die hohe Stirn und versuchte seine widerspenstigen dunklen Locken zu bändigen. Er zupfte ein braunes Haar von der Schulter seines Jacketts. So sehr er seine momentane Arbeit verabscheute, so gut gefiel ihm seine elegante Livree.

Plötzlich wurde die große Eingangspforte von San Fedele knarrend geöffnet. Na endlich! Gianfranco beobachtete, wie Carla zum Weihwasserbecken trat, sich bekreuzigte und vor dem Altar anmutig auf die Knie sank. Wie hübsch sie heute wieder war!

Gianfranco erhob sich von der Kirchenbank und ging auf Carla zu, die ihm freudestrahlend entgegenkam. Er fuhr seiner Schwester liebevoll durch die ebenfalls widerspenstigen Locken und küsste sie zart auf die Wange. „Ich bin froh, dich zu sehen, Carla. Was musstest du dir dieses Mal für eine Ausrede einfallen lassen, um zu unserem Treffen kommen zu können?“

„Frag lieber nicht! Es geht nicht mehr lange gut mit meinen fadenscheinigen Vorwänden. Ich halte es auch kaum noch aus in dieser Kaschemme. Ach, Gianfranco, es ist so grauenvoll in dem Gasthaus. Schau nur, in was für jämmerliche Kleider sie mich gesteckt haben!“ Ärgerlich fuhr sie mit der Hand über ihren mit Flecken übersäten Wollrock. „Die betrunkenen Gäste sind kaum zu ertragen. Von denen hat keiner auch nur einen Funken Anstand im Leib!“

„Gedulde dich noch ein wenig, Carla, bald können wir ein neues Leben beginnen. Das weißt du! Sag, warum hast du gefehlt bei der letzten Versammlung?“

„Ich konnte nicht weg. Die Wirtin hat mich einfach nicht gehen lassen. Außerdem ist meine Schlangenmaske zerbrochen.“ Carla senkte bedrückt den Kopf.

„Du kannst meine haben. Ich trage keine mehr.“ Gianfranco schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: „Der Meister hat nach dir gefragt!“

Als ob sie auf dieses Stichwort gewartet hätte, zog Carla hastig einen kleinen, versiegelten Briefumschlag aus ihrem Mieder hervor. „Vor drei Tagen kam ein Mann, der unseren Ring trug, und hat mir diese Depesche für den Prinzipale übergeben. Er hat gesagt, es sei von größter Wichtigkeit!“ Gianfranco nahm den Umschlag, besah sich das Siegel und verbarg den Brief schnell unter seinem Jackett. „Carla, halt noch eine Weile durch, versprich es! Du siehst“, er deutete an die Stelle seiner Livree, wo er die Depesche hingesteckt hatte, „wie bedeutsam es ist, dass du es weiter im Rosario aushältst. Deine Tarnung ist die sicherste von uns allen! Es wird eine bessere Zeit kommen, das weiß ich. Wir werden frei sein und wir werden uns ein Leben lang nicht mehr um Geld kümmern müssen, das schwöre ich dir!“

Carla seufzte und sah ihren Bruder unglücklich an. „Gut, aber versprich mir, dass es nicht mehr lange dauert. Ich habe dieses Versteckspiel so satt.“

„Ich muss zurück in die erzherzogliche Residenz. Es fällt auf, wenn ich zu lange weg bin. Bleib du noch eine Weile in der Kirche, man darf uns unter keinen Umständen zusammen sehen. Du weißt, unser beider Leben ist verwirkt, wenn wir auffliegen.“

„Ja.“ Unbehaglich schaute sich Carla in der dunklen, kühlen Kirche um. „Trotzdem gehst du in den Palazzo Reale und ich muss zurück in diese verwahrloste Trattoria.“ Den letzten Satz hatte sie voll Bitterkeit gesagt.

Die Geschwister küssten sich zum Abschied auf die Wange. „Wir treffen uns hier in zwei Wochen wieder, wie immer. Pass auf dich auf!“

„Eins muss ich dir noch sagen“, entfuhr es Carla. In diesem Moment öffnete sich erneut die Tür der Kirche und einige ältere, schwarz gekleidete Frauen traten ein.

Gianfranco beugte sich zu Carla herab und flüsterte: „Ist es wichtig?“

Carla antwortete mit einem Achselzucken: „Nein, so wichtig ist es auch wieder nicht. Es kann bis zum nächsten Mal warten.“

„Versprich, dass du es nicht vergisst, Schwesterherz! Ich muss los!“ Mit diesen Worten verließ Gianfranco Colarie schnellen Schritts die Kirche.

Die Schlangenmaske

Подняться наверх