Читать книгу Die Schlangenmaske - Annabelle Tilly - Страница 5

Prolog Mailand, Teatro Regio Ducale, 26. Februar 1776

Оглавление

Der Vorhang fiel. Einen Moment lang herrschte Stille. Absolute Stille.

„Bravo, bravissimo!“, schrie plötzlich eine enthusiastische Männerstimme. Stürmischer Applaus brach los, Dutzende von Blumenbouquets wurden auf die Bühne geworfen. Die Stimmung in dieser Karnevalsnacht war fröhlich und ausgelassen. Es dauerte lange, bis der Beifall für die Oper La Merope von Tommaso Traetta nach und nach verebbte und sich die Sänger und Sängerinnen hinter die Kulissen zurückziehen durften.

Nur allmählich verließen die adligen und gut betuchten Zuhörer ihre Plätze im Parkett und in den Logen. Sie drängten aus dem mit zahlreichen Kandelabern hell erleuchteten Saal in die Foyers, während das einfache Publikum in den oberen Rängen über die Außentreppen direkt ins Freie strebte.

Auch Marcello, ein auffallend großer, schlanker junger Mann, hatte schüchtern hinter einer der Säulen im vierten Rang wie verzaubert der Oper gelauscht. Unschlüssig stand er da und wusste nicht, ob er ebenfalls gehen oder noch etwas bleiben sollte. Zögernd trat er an die Balustrade und blickte eine Weile fasziniert auf die große Bühne hinunter, bevor auch er sich einen Ruck gab und die Galerie verließ.

Unterdessen begannen die Musiker ihre Instrumente einzupacken und die Dienerschaft war den letzten Gästen beim Verlassen des Saales behilflich. Geschickt rückten sie Stühle und Fauteuils zur Seite, machten auf Treppenstufen aufmerksam und wurden dafür mit ein paar Münzen belohnt.

Im Hauptfoyer versammelte sich, wer in Mailand Rang und Namen hatte. Das schrille Lachen einer stadtbekannten Mätresse ließ einige der männlichen Köpfe interessiert aufblicken. Manche Zuschauer, die nicht erkannt werden wollten, verbargen ihre Gesichter hinter weißen oder goldenen Wachsmasken.

Als die hohen Türen des Theaters zur Piazza geöffnet wurden, drang ein für die Jahreszeit ungewöhnlich warmer Luftstrom ins Innere des Gebäudes. Die Kerzen flackerten und warfen verzerrte Schatten an die Wände.

Ein Diener eilte noch einmal die Stufen hinauf. Er suchte nach dem Elfenbeinstock seines Herrn, des Grafen Castello.

In einem Korso fuhren die Kutscher vor, um ihre Herrschaften zu den großen Palazzi zu bringen, in denen das Karnevalstreiben erst richtig beginnen sollte.

Mitten in der Nacht stand das Opernhaus lichterloh in Flammen. Trotz aller Versuche, das Feuer zu löschen, brannte das ganz aus Holz erbaute Theater völlig nieder. Die wahre Ursache, die zu dem verheerenden Brand geführt hatte, blieb rätselhaft. Keine der zahlreichen Spuren, die von der Miliz untersucht worden waren, brachte Gewissheit. Auch wer der Leichnam war, den man bis zur Unkenntlichkeit verbrannt am Ort des Unglücks fand, konnte nicht geklärt werden.

Man hatte eigens den Pathologen des Mailänder Spitals zur Identifizierung der menschlichen Überreste herbeigerufen. Nach Abschluss seiner gründlichen Untersuchungen konnte er nur eines mit Sicherheit sagen: Das Opfer war eine junge Frau.

Wien, Schloss Schönbrunn, März 1776

„Au, Annerl, zum Donnerwetter noch mal, bist du narrisch g’worden? Wenn du es noch einmal wagen solltest, mein Schnürleiberl so fest anzuziehen, kannst du dich nach einer neuen Stellung umsehen, am besten gleich am Zarenhof in Sankt Petersburg.“

Freifrau Anna-Magdalena von Brodkasy, die langjährige Zofe und enge Vertraute der Kaiserin Maria Theresia von Österreich, verdrehte die Augen und ließ sich vom gequälten Stöhnen der Monarchin nicht weiter beeindrucken. Sie zerrte noch einmal mit aller Kraft an den Korsettschnüren. „Majestät, wollt Ihr heute etwa in Nachthemd und Morgenmantel zur Audienz? Wir haben kein einziges Kleid mehr, das passt. Erst vor zwei Wochen ist diese schwarze Robe am Rücken geweitet worden und heute bring ich’s schier nimmer zu.“

Schnaubend nahm Maria Theresia vor den prunkvollen goldenen Spiegeln des in changierenden Blautönen gehaltenen Boudoirs Platz und betrachtete sich kritisch im halb angekleideten Zustand. „Manchmal komme ich mir vor wie eine alte Linde. Die wachsen auch Jahr um Jahr in die Breite. Jedes meiner sechzehn Kinder hat einen mehr oder weniger großen Ring um mich herum hinterlassen.“ Während sie liebevoll über ihren runden Bauch streichelte, wandte sie sich finster dreinschauend zu ihrer Kammerzofe um und befahl: „Also gut, Annerl, du wirst die Köche verständigen, dass ich Schonkost zu essen wünsche, nichts Süßes, kein Gebäck – jedenfalls heute und morgen nicht. Außerdem wirst du den Hofschneider kommen lassen, damit er Maß nimmt und mir neue Kleider macht. Und im Übrigen kannst du mir eines glauben: Ich wollte keinen Tag mit so einem flachbrüstigen, schmalhüftigen Gerippe wie dir tauschen. Also weiter, irgendwie werden wir meine Fülle schon in diese Korsage zwängen.“ Die Kaiserin holte tief Luft und Freifrau von Brodkasy schnürte mit geübten Fingern das Korsett so eng wie nur möglich zu.

Maria Theresia nutzte die tägliche Morgentoilette, um sich auf die Aufgaben des vor ihr liegenden Tages vorzubereiten.

„Annerl, es ist eine Nachricht aus der Lombardei angekommen, die mich wirklich mit Sorge erfüllt. Stell dir vor, den Mailändern ist vor drei Wochen ihre Oper abgebrannt. Meine Spitzel haben mir Ungutes berichtet. Bei dem Feuer soll es sich unter Umständen um Brandstiftung gehandelt haben. Wie mir zu Ohren kam, gibt es in der Stadt immer mehr erregte Gemüter, um es freundlich auszudrücken. Was ich jetzt am wenigsten brauchen kann, sind Unruhen in der Lombardei!“

Während die Kammerzofe begann, mit einem feuchten, parfümierten Lappen die dicken, schwabbeligen, bleichen Oberarme Maria Theresias abzureiben, fuhr die Kaiserin fort: „Jetzt wollen diese musikfanatischen Südländer sofort einen neuen Musentempel! Anscheinend können sie nicht ohne ihre übliche Zerstreuung auskommen. Lächerlich! Meine Begeisterung für die Oper und vor allem für ihr weibliches Personal hält sich, wie du weißt, mehr als in Grenzen. Hier bei mir in Wien hab ich für klare Verhältnisse gesorgt. Ich habe in der Vergangenheit nicht davor zurückgeschreckt, sowohl die Sängerinnen als auch ihre männlichen Verehrer in strengen Arrest nehmen zu lassen, wenn sie es zu bunt getrieben haben. Ich dulde kein Lotterleben in meinem Reich! Allerdings ist mir durchaus bewusst: Wenn ich die Prostitution abschaffen wollte, müsste ich die Männer abschaffen! – Genug davon. Die Mailänder sollten lieber eine neue Kirche bauen. Ich würde mich mit der Angelegenheit normalerweise gar nicht weiter beschäftigen, Annerl …“

Fast unbemerkt hatte sich die Tür geöffnet und eine junge Küchenmamsell balancierte ein großes Silbertablett mit einer Kanne heißem Kakao und einem Teller voller frischer Vanillekipferl ins Zimmer.

„Um Gottes willen, wollt ihr mich alle umbringen? Schafft mir das Sach’ aus den Augen!“ Wütend drehte sich die Monarchin wieder ihrem Spiegelbild zu und redete weiter, als habe es keine Unterbrechung gegeben: „Mein Sohn Ferdinand kann von Glück sagen, dass seine Residenz noch steht. Um ein Haar hätten die Flammen auf seinen Wohnsitz übergegriffen. Wie ärgerlich das Ganze ist! Schließlich hab ich erst vor Kurzem mit viel Geld das Teatro Regio Ducale für seine Hochzeit richten lassen. Jetzt ist das renovierte Theater – warum auch immer – abgebrannt und dann will mein Herr Sohn gleich ein neues Opernhaus. Ich möchte weiß Gott nicht schon wieder in die Staatsschatulle greifen müssen. Aber gleichzeitig wollen wir den lombardischen Hitzköpfen keine Gelegenheit bieten, sich gegen uns in Stellung zu bringen. Vielleicht lassen sich Barzahlungen umgehen, wenn ich das Grundstück, auf dem die baufällige Kirche Santa Maria alla Scala steht, zur Verfügung stelle? Mir ist aus verlässlicher Quelle zugetragen worden, dass der Mailänder Adel die nötigen Mittel wird aufbringen können, sodass es für mich nicht allzu teuer werden wird. Jedenfalls muss diese leidige Opernhausg’schicht schnell vom Tisch.“

Maria Theresia erhob sich schwerfällig von ihrem Stuhl. „Zefix, wo bleibt mein Frühstück, Annerl? Oder bedeutet Schonkost seit Neuestem, dass ich leben muss wie im Hungerturm?“

Freifrau Anna-Magdalena von Brodkasy wusste, wie sie mit der aufgebrachten Kaiserin umzugehen hatte. Ohne den Zorn ihrer Herrscherin zu fürchten, antwortete sie trocken: „Majestät, wir haben doch das zweite Frühstück gerade erst wegbringen lassen.“

„Aber irgendetwas wird es für mich in diesem Schloss ja wohl noch zu essen geben! Nichts als Ärger heute Morgen. Annerl, schick nach dem Sekretär, ich muss veranlassen, dass sich einer meiner fähigen Architekten um die Angelegenheit kümmert. Wenn’s schon a neue Oper geb’n muss, dann soll’s wenigstens ein ganz herausragender Bau werden!“

Die Schlangenmaske

Подняться наверх