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3 Mailand, Palazzo Scuosi, August 1776

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„Nein, nein und nochmals nein!“ Außer sich vor Zorn stampfte Tiziana Piermarini mit ihrem Fuß auf das gediegene Fischgrätenparkett ihres Zimmers im Palazzo Scuosi. Die lange mahagonifarbene Lockenmähne über die Schulter zurückwerfend, starrte sie ihren Vater aus großen dunkelgrünen, vor Wut blitzenden Augen an. „Nein“, schrie sie noch einmal und ihre Stimme drohte sich zu überschlagen.

„Ich befehle es dir und damit basta!“ Das Gesicht des Architekten Giuseppe Piermarini hatte sich fleckig rot verfärbt. Er atmete schwer und war sichtlich um Fassung bemüht. Er sah seine schöne tobende Tochter an und wusste, dass er sich augenblicklich zurückziehen musste, da er sonst womöglich doch noch nachgiebig werden würde.

Rasch ging er zur Tür hinaus und ließ sie geräuschvoll hinter sich ins Schloss fallen. Eine Sekunde später hörte er das Klirren von Glas. Was erlaubte sich dieses Kind? Er widerstand dem Impuls, in das Zimmer seiner Tochter zurückzugehen und sie mit einer schallenden Ohrfeige zur Räson zu bringen. Stattdessen stieg er die breite Treppe hinab in seine Bibliothek.

Tiziana schob mit dem Fuß die herumliegenden Scherben zu einem Haufen zusammen. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Warum konnte sie ihr Vater nicht einfach in Ruhe lassen? Erst vor einem Monat waren sie von Padua nach Mailand gezogen. Ihrem Vater war von der Kaiserin Maria Theresia höchstpersönlich der Titel des Hofarchitekten verliehen worden. Die Herrscherin in Wien hatte ihn mit dem Bau des neuen Mailänder Opernhauses betraut! Tiziana hatte sich natürlich sehr für ihren Vater gefreut. Aber gleichzeitig wusste sie, welche Konsequenzen das für sie selbst haben würde.

Die junge Frau ließ sich vor ihrem weißen Frisiertisch nieder und begann, ihr glänzendes Haar mit einer schweren Bürste zu entwirren. Es war noch früh am Morgen. Während sie sich im Spiegel betrachtete, merkte sie, wie der Zorn in ihr erneut hochstieg. Ihrem Vater konnte es nicht schnell genug gehen, dass sie sich endlich einen geeigneten, am besten einen adligen Ehemann an Land ziehen würde. Sie hatte nicht die geringste Lust, ihren herrischen Vater gegen einen ebensolchen Ehemann einzutauschen.

Wütend pfefferte sie die silberne Bürste auf die Frisierkommode. Nachdenklich fuhr sie mit dem Zeigefinger über den Kratzer, den die Bürste auf der blanken Oberfläche hinterlassen hatte. Die Situation war eskaliert, weil ihr Vater gerade allen Ernstes von ihr verlangt hatte, sie solle sich mit seinem verwitweten Freund, den um fünfundzwanzig Jahre älteren Conte Nicola Pocci, treffen.

„Gib ihm wenigstens eine Chance“, hatte ihr Vater sie fast angefleht. Gott sei Dank war es ihr bisher immer wieder gelungen, Giuseppe Piermarini um den Finger zu wickeln und ihm seine unzumutbaren Heiratspläne auszureden.

Tiziana war sich durchaus bewusst, dass ihre Familie zum aufstrebenden Bürgertum gehörte. Eine Heirat mit einem so vornehmen, alten Adelsgeschlecht wie den Poccis würde einen lang gehegten Traum ihres Vaters erfüllen. Damit wären sie endlich auf Augenhöhe mit den allerfeinsten Kreisen und den Auftraggebern ihres Vaters. Tiziana wusste, dass der auserkorene Bräutigam in pekuniären Schwierigkeiten steckte und sein baufälliges Schloss würde aufgeben müssen, wenn er nicht eine gute Partie mit beträchtlicher Mitgift ehelichen konnte. Sie seufzte. Es war nicht das erste Mal, dass sie in so eine Situation geraten war. Aber dieses Mal war es ihrem Vater mehr als ernst. Das spürte sie genau!

Als Architekt hatte Giuseppe Piermarini alles erreicht, was man erreichen konnte. Nur der eigene gesellschaftliche Durchbruch war ihm noch verwehrt geblieben. Der letzte Ritterschlag, der ihm dazu noch fehlte, war die Vermählung seiner Tochter mit einem Aristokraten!

Dieses Mal würde sie all ihren weiblichen Charme aufbringen müssen, um ihren Vater noch einmal umzustimmen. Tiziana band sich eine weiße Schleife ins Haar, straffte die Schultern und begab sich auf die Suche nach Giuseppe Piermarini. Sie wusste, dass ihr verwitweter Vater sie über alles liebte. Sie war sein Ein und Alles. Trotzdem oder gerade deshalb barg der gemeinsame Haushalt von Vater und Tochter viele Konflikte.

Tiziana hatte es satt, mit ihren neunzehn Jahren immer noch wie ein Kind behandelt zu werden und zum Nichtstun verdammt zu sein. Ihr größter Wunsch war es, anderen Menschen, denen es nicht so gut ging wie ihr, helfen zu dürfen. Aber nicht einmal das erlaubte er.

Erhobenen Hauptes durchschritt sie die geräumige Empfangshalle des Palazzo Scuosi, in dem sie residierten, und ging zielstrebig zu der holzvertäfelten Bibliothek.

Ihr Vater hatte neben den in Schweinsleder gebundenen Werken von Dante Alighieri eine Flasche mit einem außergewöhnlich kostbaren Marsalawein deponiert. In Situationen wie dieser diente ihm der köstliche Tropfen zur Beruhigung seines strapazierten Nervenkostüms.

Kaum hatte sie die schwere Tür zur Bibliothek geöffnet, sah sie, dass sie recht hatte: Ihr Vater saß vor einem großzügig eingegossenen Glas und Tiziana vermutete, dass es bereits das zweite war. Sie beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn sanft auf die Wange. „Papa, entschuldigt mein ungehöriges Benehmen. Ihr müsst verstehen, dass mich Eure Heiratsvorschläge jedes Mal an den Rand der Verzweiflung bringen. Es liegt mir fern, mich mit Euch zu streiten! Lasst mir noch ein bisschen Zeit. Ihr selbst habt doch meine Mutter aus Liebe geheiratet. Auch ich möchte mit dem Mann, für den ich mich entscheide, glücklich werden. Ich spüre es, der Richtige wird bald kommen!“

Die Schlangenmaske

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