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15 Mailand, Palazzo Reale, Oktober 1776

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Erzherzog Ferdinand von Habsburg und seine Gemahlin Beatrice d’Este tranken am späten Vormittag ein Tässchen heißen schwarzen Mokka im Spiegelsaal des Palazzo Reale. Wie jeden Morgen saßen sie sich in der herzoglichen Residenz an einem kleinen türkischen Tischchen gegenüber und studierten ihre persönliche Korrespondenz.

„Graf Castello fragt, ob wir ihm die Ehre erweisen und zu seinem Maskenball kommen. Die Feste in seinem Palast sind immer ganz bezaubernd. Ich werd ihm gleich zusagen. Ihr seid doch einverstanden, mein Gemahl?“

Ferdinand von Habsburg, Statthalter von Mailand, hob zerstreut den Kopf: „Was habt Ihr gesagt, Liebste?“

Die Erzherzogin lächelte ihren Gatten an.

„Wo seid Ihr nur immer mit Euren Gedanken? Jeden Morgen, wenn Ihr aus Wien die Post von Eurer Frau Mutter, der Kaiserin, erhaltet, scheint sich eine dunkle Wolke über Euer Haupt herabzusenken. Nehmt Euch ihre Worte doch nicht immer so zu Herzen.“

Der Erzherzog von Mailand schaute seine Frau kurz an und fuhr fort, den Brief der Kaiserin zu lesen. Missmutig zogen sich seine Augenbrauen zusammen.

„Das schlechte Beispiel für Eure Umgebung muss ich noch immer tadeln, die Lauheit, die Euch in vierundzwanzig Stunden nicht eine kleine halbe Stunde für die Messe oder ein geistliches Buch finden lässt. Das kommt nur davon, weil Ihr Euch nicht einteilen könnt und keine Ordnung haltet. Wie könnt Ihr da hoffen, dass Gott, dem Ihr wahrhaftig so viel verdankt, Euch weiterhin seine Gnade gewährt – wie könnt Ihr ihn bitten, dass er seine schützenden Hände über Eure Familie hält, wenn Ihr keine Viertelstunde an ihn denkt?“

Zornig trat Ferdinand mit der Stiefelspitze nach seinem braunen, kurzhaarigen Jagdhund, der eingerollt zu seinen Füßen lag. Das Tier jaulte kurz auf und zog sich mit eingezogenem Schwanz unter eine mit goldenem Gobelin bezogene Chaiselongue zurück.

„Meine Frau Mutter kann es einfach nicht lassen. Ständig muss ich ihre Vorhaltungen und Nörgeleien ertragen“, fluchte er laut. „Jetzt regt sie sich wieder auf, dass ich nicht oft genug die Kirche besuche. Manchmal frage ich mich, wer ihr in diesem Haus nicht zu Diensten ist. Bin ich nur noch von Spionen umgeben? Woher weiß sie immer über alles so genau Bescheid? Nichts bleibt von ihr unbemerkt!“ Erzherzog Ferdinand nahm die kaiserliche Depesche erneut zur Hand.

„Ich weiß ja, dass Ihr guten Willens seid, aber ich kenne auch Eure Schwächen und schlechten Angewohnheiten. Ich möchte endlich an Euch einen entschlossenen Willen sehen, einen männlichen Willen, der keine Entschuldigungen braucht, aber auch gar keine, denn ich verlange nichts von Euch, als was auch der letzte Bauer, der letzte Soldat und jedes zehnjährige Kind tut. Wenn Ihr das nicht einsehen wollt, taumelt Ihr in einen Abgrund.“

Ferdinand von Habsburg faltete die Depesche mit zitternden Händen zusammen. Die harschen Worte seiner Mutter hatten ihn wieder einmal zutiefst verletzt. Was wusste die Kaiserin, die in Schönbrunn residierte, von seinem Leben in Mailand? Gedankenverloren nahm sich der Erzherzog eine Praline mit Pistazien und Marzipan, die auf einem mit goldenen Ornamenten verzierten Porzellanteller auf dem türkischen Tisch zwischen den Mokkatässchen standen. Seine Minister verwalteten mit Fortüne die Geschicke des Landes. Die Lombardei konnte sich glücklich schätzen, denn seit mehr als einem halben Jahrhundert hatte kein Soldat mehr seine Heimat verteidigen müssen. Mit allen Nachbarn herrschte Frieden. Es bestand absolut kein Grund, ihm ständig neue Vorschriften und Vorhaltungen zu machen. Ferdinand von Habsburg erhob sich aus seinem Sessel und trat an die mannshohe Fensterfront, um in den Park zu schauen. Das Grün der Blätter beruhigte ihn. Hatte er nicht, als er mit siebzehn Lenzen seine Gemahlin vor den Traualtar führte, alles getan, was die Staatsräson verlangte? Seine Schwester Maria Amalia, die Herzogin von Parma, hatte sich dagegen den Wünschen der Kaiserin vehement widersetzt. Es gab in Europa kaum einen Hof, an dem man nicht über ihre Schreianfälle und ihr trotziges Benehmen geredet hatte, als sie heiraten sollte. Er wollte sich weiß Gott nicht beklagen. Die Wahl, die die Kaiserin für ihn getroffen hatte, war überaus glücklich gewesen. Er liebte Beatrice d’Este von ganzem Herzen. Im Sommer hatte er seinen zweiundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, war Vater von drei Kindern und wusste, wie er zu leben hatte. Er war ein gestandener Mann und kein Jüngling mehr. Er konnte auf die mütterlichen Ratschläge verzichten. Doch kaum ein Tag verging, an dem er nicht Post von der Kaiserin erhielt. Er hatte es satt, täglich lesen zu müssen, was er zu tun und zu lassen hatte.

Erzürnt ging der Erzherzog im Spiegelsaal auf und ab und zog heftig die goldene Kordel, um nach der Dienerschaft zu klingeln. Nach einem kurzen Moment öffnete sich die Tür und sein Kammerdiener erschien. Dieser verbeugte sich servil, um die Anweisungen seines Herrn entgegenzunehmen.

„Gianfranco, bring mir einen Cognac.“

Beatrice d’Este ließ den Stapel mit Briefen auf ihren Schoß sinken und sagte sorgenvoll zu ihrem Mann: „Regt Euch bitte nicht auf! Denkt an Eure Gesundheit und trinkt nicht schon vor dem Mittagsgeläut.“

Der junge Erzherzog lief unruhig hin und her.

„Was soll ich denn noch tun? Alles läuft bestens. Der Regierungsapparat und das Steuerwesen wurden, wo immer es möglich war, gestrafft und modernisiert. Wir haben so viel Geld in unseren Schatullen wie nie zuvor. Der Handel blüht. Die Seidenmanufakturen und die Spinnereien füllen unsere Kassen. Die Qualität der Stoffe sucht ihresgleichen in Europa.“

In diesem Moment trat Gianfranco Colarie heran und reichte dem Erzherzog auf einem silbernen Tablett ein gut gefülltes Cognacglas.

„Schaut Euch nur dieses wunderschöne Glas an, Beatrice. Die kunstvollen Arbeiten unserer Glasmanufakturen haben sich bis an den französischen Hof herumgesprochen. Meine Schwester Marie Antoinette schwärmt in den höchsten Tönen von den filigranen Mailänder Gläsern. Ganz Versailles soll inzwischen daraus Champagner trinken. Höchste Anerkennung ernten wir allerorts! Doch das nimmt die Kaiserin überhaupt nicht zur Kenntnis, geschweige denn die immensen Gewinne, die wir mit der Schafzucht und der Landwirtschaft Jahr für Jahr erzielen. Die Lombardei ist ein wahrer Goldesel!“

Da der Erzherzog seinem Kammerdiener den Rücken zukehrte, konnte er nicht sehen, wie Gianfranco seine Kieferknochen so aufeinanderbiss, dass die angespannte Muskulatur rechts und links in seinem schmalen Gesicht hervortrat.

„Die finanziellen Mittel, die wir nach Wien transferieren, sind mehr als beachtlich.“ Erzherzog Ferdinand trank den Cognac aus und hielt sein Glas fordernd hoch. „Gianfranco, gieß mir noch mal nach.“

Der Kammerdiener schenkte mit ausdrucksloser Miene nach.

„Warum können die Spitzel meiner Mutter nicht zur Abwechslung einmal von den Erfolgen berichten? Davon haben wir wahrlich genug vorzuweisen! Was kümmert die Kaiserin in Wien mein Lebenswandel? Wann begreift sie endlich, dass ich kein Kind mehr bin? Selbst der Opernneubau ist ihr ein Dorn im Auge. Es erstaunt mich noch immer, dass sie die Kirche Santa Maria alla Scala hat abreißen lassen, damit ein neues Opernhaus gebaut werden kann. Es grenzt geradezu an ein Wunder, dass sie von den Plänen des Architekten Giuseppe Piermarini so begeistert ist.“

Beatrice d’Este forderte den Erzherzog mit einer einladenden Geste auf, sich zu ihr zu setzen.

Gianfranco war sofort zur Stelle und rückte den Sessel einladend zurecht.

Ferdinand atmete tief durch und ließ sich in den Fauteuil neben seiner Gemahlin sinken. Noch immer wühlten ihn die zahlreichen Vorwürfe der Kaiserin auf.

„Die einzige ihrer Vorhaltungen, die ich nicht zurückweisen kann, ist, dass wir immer noch nicht die Ursache kennen, die zum Brand des Teatro Regio Ducale geführt hat. Es wird eine Unachtsamkeit gewesen sein. Man hat halt vergessen, alle Kerzen zu löschen. Ganz einfach. Meine Mutter dagegen sieht überall Verrat und Rebellion. Jetzt hat sie sogar den Verdacht geäußert, dass vielleicht die Jesuiten dahinterstecken. Warum sollten ausgerechnet diese Ordensbrüder für den Brand verantwortlich sein? Sie verdanken uns Habsburgern viel. Auch wenn ihnen nun der Wind scharf ins Gesicht bläst, bleiben sie Gottesdiener und sind sicher keine Unruhestifter. Auch glaube ich nicht, dass lombardische Aufwiegler ausgerechnet ein Theater abbrennen, um auf sich aufmerksam zu machen. Das kann niemand ernsthaft annehmen. Doch wenn tatsächlich eine solche Gruppe das Teatro Regio Ducale angezündet hätte, hätten sie sicher auch dafür gesorgt, dass alle Welt von ihrer schändlichen Tat erfährt. Wir kennen die Schuldigen nicht, trotz aller Anstrengungen. Aber irgendwann, eines schönen Tages wird jemand reden.“ Ferdinand lehnte sich zurück und beobachtete, wie der Cognac, den er in der Hand hielt, im Glas kreiste.

Mit besänftigender Stimme sagte Beatrice: „Dass die Untersuchungen unserer Miliz immer noch keinerlei Klarheit gebracht haben, ist nicht Eure Schuld. Das kann Euch die verehrte Kaiserin unmöglich vorhalten.“

„Ihr habt recht, was kümmert’s mich. Dennoch muss ich die Depesche beantworten.“ Er zeigte auf den Brief mit dem gebrochenen Siegel, den er achtlos zwischen die Mokkatassen und den Konfekt auf den Tisch gelegt hatte. Er gönnte sich einen weiteren großen Schluck Cognac, um seinen Ärger hinunterzuspülen.

„Gianfranco!“

Der Gerufene trat einen Schritt heran in der Absicht, erneut das Glas seines Herren zu füllen.

„Du bist hier vermutlich der einzige Diener, der nicht in Diensten meiner Frau Mutter steht. Ich bin Graf Castello bis zum heutigen Tag dankbar, dass er dich vermittelt hat. Jedes Wort seines herausragenden Lobes hat sich voll und ganz bestätigt. In diesem Palast wimmelt es nur so von dummen österreichischen Lakaien. Jeder Furz, der mir entfleucht, wird nach Wien gemeldet. Da bist du als stolzer und kluger Lombarde eine angenehme Ausnahme.“

Gianfranco lächelte verlegen über das unverhoffte Kompliment. Es hatte Seltenheitswert, dass Erzherzog Ferdinand so mit ihm sprach. Befriedigt registrierte Gianfranco, dass es dem Sohn der Kaiserin ernst war mit dem, was er sagte. Dabei spürte er den Ring mit dem Symbol der Schlange, den er versteckt unter seiner Livree um den Hals trug, deutlicher denn je auf seiner Brust. Während er seinen Blick wieder devot auf den Boden senkte, kam Stolz in ihm darüber auf, wie überzeugend er seine Rolle spielte.

Der Erzherzog wandte sich zu seiner Gemahlin um: „Ein Spaziergang an der frischen Luft täte mir bestimmt gut und würde zudem mein angeschlagenes Nervenkostüm etwas beruhigen. Dabei könnte ich einen Blick auf den Neubau des Opernhauses werfen. Gianfranco, du begleitest mich!“

Die Schlangenmaske

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