Читать книгу Die Schlangenmaske - Annabelle Tilly - Страница 13
8 Mailand, Palazzo Castello, September 1776
Оглавление„Verflucht, verflucht! Hölle und Verdammnis!“ Die Schlagader am Hals des Grafen Castello pochte heftig. Seine grobporige Gesichtshaut hatte sich bedenklich rot gefärbt. „Wer ist der Bastard? Wer?“ Mühsam erhob der Conte seinen schweren Körper aus dem breiten Sessel und schritt unruhig in der Bibliothek auf und ab. Ein unterdrücktes Stöhnen und die schmerzverzerrten Züge seines Gesichts verrieten, dass er schlecht zu Fuß war. „Dem Schlangenbund ist ein Spion auf den Fersen! Jetzt sind unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt.“ Der Graf deutete auf die Depesche, die Padre Rossi gerade eingehend studierte.
Der Geistliche hielt den Brief in seinen Händen und prüfte Papier und Wasserzeichen im Sonnenlicht, das schräg durch das große unterteilte Fenster in den Raum fiel.
Graf Castello musterte Padre Rossi ungeduldig und abwartend. Nachdem dieser jedoch keinerlei Anstalten machte zu antworten, war es um die mühsam aufrechterhaltene Selbstbeherrschung des Hausherrn geschehen. Laut schrie er den Mönch an: „So sagt doch endlich etwas, Padre Rossi!“
„Seid Ihr sicher, dass dieser Raum keine Ohren hat?“, fragte der asketische Mönch in gedämpftem Ton und blickte sich in der Bibliothek unsicher um.
„Seid unbesorgt, hier kann uns niemand belauschen.“ Mit einer abweisenden Handbewegung schob der Graf die Befürchtungen des Padre beiseite. „Ich muss wohl nicht betonen, dass wir alle mit gebrochenem Genick am Galgen baumeln werden, wenn man uns enttarnt. Ich darf mir die Konsequenzen gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn die verdammte Depesche Wien erreicht hätte!“
Padre Rossi zog ob des erneuten Fluchs missbilligend die Augenbrauen hoch, blieb aber weiter unbeweglich an dem langen Tisch sitzen. Mit seiner klaren, wohltönenden Stimme begann er die entscheidende Passage der Depesche vorzulesen: „Die Mitglieder des Geheimbunds der Separatisten werden stetig mehr. Sie halten regelmäßig ihre Treffen ab. Erwarte Weisung für weiteres Vorgehen. Adressiert ist das Schreiben an die Geheimpolizei in Wien“, stellte der Geistliche fest und faltete das Schreiben sorgfältig zusammen. „Ich kenne die Handschrift nicht“, murmelte er gedankenverloren. Zum Grafen gewandt sagte er in ruhigem Ton: „Das ist keine Bagatelle, fürwahr!“
„Denkt Ihr, ich hätte euch sonst gebeten, zu mir zu kommen? Ihr Jesuiten habt längst die Gunst der Kaiserin verloren. Selbst der Papst hält nicht mehr seine schützende Hand über Euren Orden. Euch traut man alles zu! Nur nichts Gutes! Aber ich, ich bin nicht irgendwer. Ich genieße höchstes Ansehen in Mailand, ich bin der letzte Repräsentant einer der einflussreichsten Geschlechter der Lombardei! Mit der Befreiung der Lombardei von den Habsburger Tyrannen wird dieser Name für immer im Gedächtnis der Mailänder bleiben. Mir zollen selbst die verhassten Habsburger Respekt. Wenn zum jetzigen Zeitpunkt bekannt wird, dass ich die Separatisten anführe, ist unsere Sache auf ewig verloren. Maria Theresia und ihr Sohn, unser Erzherzog Ferdinand, würden der Lombardei die Daumenschrauben noch mehr anziehen als ohnehin schon, und jeder Separatist, der von ihren Spionen aufgespürt wird, hat einen grausamen Tod zu erwarten.“ Mit vor Zorn zitternden Händen goss sich der Graf aus einer Kristallkaraffe ein Glas Cognac ein und stürzte es in einem Zug hinunter. Er versuchte sich zu sammeln und seine Wut zu unterdrücken, hinkte um den breiten Tisch und nahm wieder gegenüber von Padre Rossi Platz. „Keine Menschenseele darf je davon erfahren!“
Der Padre nickte und nahm die Depesche wieder auf.
„Wie kam dieser Brief überhaupt in Eure Hände?“
„Carla Colarie hat ihn von einem unserer Männer zugesteckt bekommen. Die Depesche gelangte über ihren Bruder Gianfranco zu mir.“
„Gianfranco und Carla würden nie einen Verrat begehen, dessen bin ich mir sicher.“ Padre Rossi bekreuzigte sich, wie um seine Aussage zu bestätigen.
Der Blick von Graf Castello verfinsterte sich.
„Ihr scheint noch immer nicht die Tragweite dieser Depesche verstanden zu haben. Ich will nicht wissen, wem Ihr vertraut, sondern den Namen des Denunzianten. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass es uns noch einmal gelingen wird, eine Depesche abzufangen. Versteht Ihr das?“ Ungeduldig schlug der Graf mit seinem silbernen Stock auf den Tisch. Der laute Knall ließ Padre Rossi erschreckt hochfahren.
„Die Brüder und Schwestern des Schlangenbundes wissen nicht, wer sich hinter der goldenen Maske verbirgt. Das eine oder andere Mitglied unseres Geheimbundes mag eine Vermutung haben, mehr nicht. Niemand hat Euch jemals unmaskiert gesehen, Conte. Wer der Meister ist, der die Geschicke des Schlangenbundes lenkt, weiß niemand außer Euch und meiner Wenigkeit. Unsere Vorsicht hat sich ausgezahlt!“
Die Gesichtszüge des Grafen entspannten sich ein wenig.
„Wir müssen von jetzt an noch mehr auf der Hut sein.“ Nachdenklich spielte der Conte mit dem silbernen Löwenkopf, der als Knauf seines Stockes diente. „Padre Rossi, Ihr wisst, wie sehr ich Euren Geist, Eure Klugheit und Eure Loyalität schätze. Wir wissen beide, es ist noch zu früh, um loszuschlagen. Die Zeit ist noch nicht reif für das Attentat auf Erzherzog Ferdinand. Wir werden die Lombardei nur befreien können, wenn er tot ist. Das wird die Kaiserin endlich in die Knie zwingen. Uns ist ein Spion auf den Fersen, aber noch ist nichts verloren! Allerdings müssen wir handeln. Wir können die Depesche nicht ignorieren. Es gibt nur eine vernünftige Möglichkeit: Wir stellen dem Denunzianten eine Falle! Schart unsere besten Männer um Euch. Nehmt meinetwegen Silvio den Gaukler, auf ihn ist Verlass und er versteht sich wie kaum ein anderer auf den Umgang mit den verschiedensten Charakteren. Gianfranco und Carla Colarie sind unserem Bund treu ergeben, verschwiegen und absolut verlässlich. Vielleicht reichen auch schon die drei, vielleicht sollten wir gar nicht mehr ins Vertrauen ziehen. Falls doch, kennt Ihr die Leute, die in Frage kommen, besser als ich. Plant einen Hinterhalt, damit wir dem Verräter das Handwerk für immer legen.“ Die Adern an den Schläfen des Grafen waren während seiner Rede wieder beängstigend hervorgetreten. „Wenn wir den Übeltäter gefasst haben, breche ich ihm jeden Knochen einzeln, das schwöre ich!“
Dem Padre schoss durch den Kopf, dass die goldene Viper in der Krypta genauso mit der weißen Ratte verfahren war. Beeindruckt von der Macht und der Brutalität, die der Graf ausströmte, antwortete er: „Ihr erlaubt, dass ich die Depesche an mich nehme? Vielleicht enthält sie einen versteckten Hinweis, den wir jetzt noch nicht sehen können. Ich werde sie in aller Ruhe noch einmal eingehend studieren. Irgendeinen Fingerzeig muss uns der Brief doch geben können.“
Mit der Spitze seines Stocks schob Graf Castello die auf dem Tisch liegende Depesche zu Padre Rossi hin. „Ich verlass mich auf Euch. Haltet mich auf dem Laufenden!“