Читать книгу Die Schlangenmaske - Annabelle Tilly - Страница 17
12 Mailand, Casa Daphne, September 1776
ОглавлениеGiuseppe Piermarini streckte sich mit einem Glas kalten Champagner in der Hand zufrieden auf dem schwarzen Kanapee aus. Wollüstig betrachtet er die junge nackte Hure, die sich im Schein der Kerzen gerade lasziv einen ihrer Strümpfe über die schlanke Fessel zog. Gönnerhaft steckte er ihr zwei Münzen zu.
„Komm noch einmal her, Clodette. Du bist wirklich jede Lira wert, die du von mir bekommst.“
„Danke, Signore architetto. Ihr seid ein wahrer Kenner und Kavalier. Euch zu bedienen ist mir immer ein großes Vergnügen.“ Die junge Frau nahm ein kleines Silbertablett, auf dem süße Gabriellini arrangiert waren, und setzte sich neben den Architekten. Sie nahm einen Keks zwischen ihre weißen geraden Zähne und beugte sich zu dem Liegenden herab. Ihre langen weizenblonden Haare streiften seinen Unterarm. Er spürte, wie sich sein Glied wieder zu regen begann. „Selbst so etwas Banales wie der Verzehr von Dolci ist mit dir ein erotisches Vergnügen.“ Giuseppe Piermarini trank erneut einen Schluck von dem Champagner und spülte damit die klebrigen Reste des süßen Gebäcks hinunter. „Nippe ruhig auch einmal an meinem Champagner, Mädchen!“ Aufmunternd schob er das filigrane Glas in ihre Richtung und zog sie auf seinen Schoß. „Erzähl mir noch ein bisschen von dir und deiner Arbeit. Ich sage dir, du kannst dich glücklich schätzen, in diesem vornehmen Haus dienen zu dürfen. Ich habe viele Städte besucht. Glaube mir, ein nobles Etablissement wie dieses Bordell sucht seinesgleichen. Es steht Mailand gut zu Gesicht, ein Haus wie dieses innerhalb seiner Stadtmauern zu haben.“
Clodette hob träge ihre schweren Augenlider und sah für eine Sekunde auf das Geld in ihrer Hand. „Wenn ihr schon viele Hurenhäuser von innen gesehen habt, was interessiert euch dann noch an meinem Metier?“ Als Clodette sah, dass Piermarini nur mit den Schultern zuckte, fuhr sie fort: „Jeder unserer Gäste kommt mit anderen Bedürfnissen und Wünschen zu uns. Der eine will Zärtlichkeit und Liebe, weil er unter einem Dach mit einer immerzu geifernden Alten leben muss. Die jungen Freier wollen wissen, wie es geht, und zugeritten werden. Der Nächste findet seine Lust im Schmerz. Der vierte, der sich vor lauter Macht und Reichtum in seinem Palazzo langweilt, liebt es, sich erniedrigen zu lassen oder andere zu erniedrigen. Jeder findet bei uns Erfüllung und Befriedigung.“
„Dir scheint wahrlich nichts Menschliches fremd zu sein! Es wäre mir schon etwas wert, wenn du mir noch mehr verraten würdest.“
Piermarini nahm wahr, wie Clodette kurz zögerte, ehe sie die Hand aufhielt. „Wenn Ihr meine Handinnenfläche noch einmal füllt, will ich euch einen kleinen Einblick gewähren.“
Ohne zu zögern richtete sich der Architekt auf. „Hier, nimm diese Münze. Die sollte deine Lippen öffnen und deine Pflicht zu Schweigen für ein paar Minuten vergessen lassen.“
Clodette erhob sich und ergriff die Hand ihres Freiers. „Folgt mir!“
Sie führte ihn zu einem schwarzen Vorhang aus Samt. Zu Piermarinis Erstaunen befanden sich in der Wand eingelassen zwei kleine Löcher auf Augenhöhe. „Auf der anderen Seite der Wand, im angrenzenden Raum, befindet sich ein Gemälde, das den jungen Amor in seiner ganzen Pracht darstellt. Psst. Psst. Ihr schaut jetzt durch Amors Augen!“
Voller Erregung trat Piermarini näher an das versteckte Guckloch heran. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen an die Perspektive gewöhnt hatten. Zuerst bemerkte er einen riesigen golden gerahmten Spiegel, der die ganze rechte Wand neben einem Eisenbett ausfüllte. Er sah erstaunt, wie ein großer Mann, der ihm den Rücken zugedreht hatte, ein unter ihm liegendes, junges Mädchen mit der flachen Hand ins Gesicht schlug. Piermarini hörte das Wimmern der Frau, sehen konnte er sie nicht. In dem Moment drehte sich der Mann um. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt. Der Architekt wich wie vom Donner gerührt zurück! Er kannte den Mann. Es war sein alter Freund Conte Nicola Pocci. Sein zukünftiger Schwiegersohn!