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Entwicklung der Psychiatrie

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Unter dem Einfluss von Medizinern und Psychiatern, insbesondere von Ph. Pinel (1745–1826) und seinem Nachfolger E. D. Esquirol (1772–1840), entwickelte sich Anfang des 19. Jahrhunderts die Lehrmeinung, dass es sich bei der sogenannten ›Idiotie‹ um eine ›Geisteskrankheit‹ handele. ›Idiotie‹ galt als somatisch bedingt, durch äußere Einflüsse kaum veränderbar und bedurfte psychiatrischer Behandlung. So beschrieb Esquirol ›Idiotie‹ (in Abgrenzung zur Verwirrtheit):

»Der Zustand des Verwirrten kann sich ändern, der des Idioten bleibt immer derselbe. Dieser hat viele kindliche Züge. Beide haben keine, oder beinahe keine Empfindungen; aber der Verwirrte zeigt in seiner Organisation und selbst in seiner Intelligenz etwas von seiner vergangenen Vollkommenheit, der Idiot dagegen ist Alles, was er war; er ist Alles, was er in Bezug auf seine primitive Organisation sein kann« (Esquirol 1838 in Lindmeier & Lindmeier 2002, 75).

Weiter führt Esquirol an, dass es zu verschiedenen Abstufungen in der intellektuellen Entwicklung kommen könne. Er unterscheidet je nach Sprachvermögen in Grade des ›Blödsinns‹, an deren Ende der dritte Grad der ›Idiotie‹ stehe, bei dem keine Worte geäußert werden können (vgl. ebd.). Während die Psychiater anfänglich noch Widerspruch von den Anstaltstheologen und -pädagogen ernteten, verfestigte sich die Psychopathologisierung der ›Idiotie‹ Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend. Mit der Veröffentlichung von E. Kraepelins (1856–1926) Lehre von den allgemeinen psychischen Entwicklungshemmungen, den Oligophrenien (1915), bekam der ›Schwachsinn‹ seinen Namen und seine Einteilungskriterien nach intellektueller Leistungsfähigkeit in ›Debilität‹, ›Imbezillität‹ und ›Idiotie‹ wurden entwickelt. Damit war eine psychiatrische Definition und Klassifikation geschaffen, welche die ›defektorientierte‹ und ›minderwertige‹ Sichtweise auf diese Menschen zementierte und auch Einzug in die Pädagogik hielt (vgl. ebd.).

Die Folge der Psychiatrisierung des ›Schwachsinns‹ führte dazu, dass Menschen mit sogenannter ›Geistesschwäche‹ fast zwangsläufig in Anstalten aufgenommen wurden bzw. behördlicherseits ein Anstaltszwang erwirkt werden konnte (ebd., 395). Infolge weiterer Klassifizierungen und Spezialisierungen innerhalb der psychiatrischen Anstalten wurden weitere Grenzziehungen in ›schwerabnorm‹ bzw. ›idiotisch‹ getroffen. Für diese Menschen blieben nur die Pflegeabteilungen der Anstalten, in denen es ausschließlich medizinisches Personal gab.

Pädagogik bei zugeschriebener geistiger Behinderung

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