Читать книгу Pädagogik bei zugeschriebener geistiger Behinderung - Anne Goldbach - Страница 7
ОглавлениеVorbemerkung der Autorinnen
Wir möchten dem Buch ein paar wenige, uns aber wichtige Bemerkungen voranstellen. Sie sind für uns von Bedeutung, weil sie unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und Positionen im Buch durch die Standortgebundenheit und Situiertheit der Autorinnen nachvollziehbar machen und gleichzeitig die zu Grunde gelegten Überlegungen für den Versuch von diskriminierungssensibler Sprache im Buch erläutern.
Standortbestimmung der Autorinnen
Wir vier Autorinnen dieses Buches verstehen uns allesamt als Frauen ohne Behinderungserfahrungen. Unsere unterschiedlichen Biografien sind jedoch geprägt durch viele Erfahrungen des Miteinanders mit Menschen mit Behinderungserfahrungen. Unsere Gedanken dürfen Sie/dürft ihr insgesamt als eine Zusammenführung von Gedachtem, Gelesenem und auch Erlebtem verstehen.
Unsere Autorinnen-Standpunkte sind in der Schreibweise als autoreferenziell zu verstehen. Wir sind somit immer selbst Teil des Prozesses der Wissensproduktion, und dementsprechend ist auch das hier Lesbare vor dem Hintergrund unserer – z. T. sehr unterschiedlichen – Wissens- und Erfahrungskonstruktionen zu verstehen.
Wenngleich wir die Perspektive von Personen mit Behinderungserfahrungen – bedingt und geprägt durch Freundschaften und kollegiale Verbundenheit, die wir in der Zusammenarbeit in Forschung1 und Lehre2 erfahren – mitdenken und versuchen, an vielen Stellen sichtbar/kenntlich zu machen, ist das Buch dennoch als primäres Abbild einer privilegierten Außenperspektive zu verstehen.
Gümüşay (2020) definiert es als Privileg bestimmter Personen(gruppen), als »Unbenannte« leben zu dürfen: Das heißt, nicht auf eine Kategorie begrenzt und ›verkollektiviert‹ zu werden und hinter einem Gruppenetikett zu verschwinden (wie bspw. »Geflüchtete« als kollektiv »Benannte«). Dieses Privileg trifft auch auf uns Autorinnen zu, da wir in der Regel nicht auf ein Merkmal reduziert und dadurch in unserem Sein begrenzt werden und uns somit dieser Erfahrungshintergrund fehlt.
Bedeutung von Sprache und besondere Zeichensetzungen
»Es darf bei der Wahl unserer Worte nie nur um konservatorische Belange gehen, es muss eine Rolle spielen, welche Ideologien, welche Ungerechtigkeiten sie stützen. In diesem Sinne geht es bei gerechter Sprache gerade nicht um Partikularinteressen – sondern darum, dass Sprache sich wandeln darf, um sich an Menschenrechten, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Chancengleichheit zu orientieren« (Gümüşay 2020, 126; Hervorhebung i. O.).
Wir verstehen Sprache im Sinne einer materialistischen Sprachkritik als gesellschaftlich und historisch verortet und sind uns darüber im Klaren, dass eine »möglichst inklusive Benennung […] noch nichts an der Verfasstheit der Gesellschaft« (AFBL 2018, 205) ändert. Dennoch möchten wir – neben einer fachbezogenen gesellschaftskritischen Positionierung – die Perspektive der Wirkmacht von Sprache zur Stabilisierung gesellschaftlicher Zustände einbeziehen und als kritikwürdig beleuchten.
Wir verwenden in unseren Ausführungen hauptsächlich das generische Femininum mit einem *Sternchen (z. B. Forscherinnen*), wobei wir das *Sternchen als Kritik am hegemonialen binären Geschlechterverständnis3 verstehen. Durch diese sprachliche Setzung möchten wir zum einen dem Umstand Rechnung tragen, dass die Perspektiven von Frauen sowie sich als nicht-binär verstehenden Personen, wie Inter- und Transpersonen, nach wie vor in der Wissenschaft deutlich unterrepräsentiert sind. Dieser Zustand wird seit jeher beispielsweise von den Akteurinnen* der Frauen- und Geschlechterforschung und den Queerstudies kritisiert. Zum anderen versuchen wir, möglichst diskriminierungssensibel zu agieren, wohl wissend, dass sich gerade um die Frage der ›richtigen‹ Ausdrucksweise vielfältige Debatten ranken, die sich auf unterschiedliche Theorieansätze beziehen: »Über die Umsetzung im geschriebenen wie gesprochenen Text gibt es keine Einigung: Binnen-I, Schrägstrich, -x, Sternchen, generisches Femininum und/oder Unterstrich, für alle Varianten gibt es Verfechterinnen« (AFBL 2018, 203) – und jede dieser Varianten birgt die Gefahr, dass sich Einzelpersonen oder Personengruppen nicht angesprochen bzw. repräsentiert fühlen.
Für Begrifflichkeiten, welche in historischen oder auch aktuellen Zusammenhängen diskriminierende oder diskreditierende Qualität entfalten sowie ein Hinweis auf Benachteiligung oder Diskussionswürdigkeit sind oder vergangene wie gegenwärtige Dilemmata aufzeigen, nutzen wir ›einfache Anführungszeichen‹ zur Kenntlichmachung (z. B. angeborener ›Schwachsinn‹, ›hegemonialer Diskurs‹, ›Kategorisierungsfalle‹). Die Verwendung (historischer) Originaltermini erscheint jedoch stellenweise hoch relevant, um die Wirkung im jeweiligen zeitlichen (Entstehungs)Zusammenhang aufzuzeigen4.
Grundsätzlich teilen wir die Sehnsucht von Kübra Gümüşay »nach einer Sprache, die Menschen nicht auf Kategorien reduziert. Nach einem Sprechen, das sie in ihrem Facettenreichtum existieren lässt. Nach wirklich gemeinschaftlichem Denken in einer sich polarisierenden Welt6 « (2020, Klappentext).5
Saskia Schuppener, Helga Schlichtung, Mandy Hauser, Anne Goldbach
Leipzig, im Januar 2021
1 An der Universität Leipzig besteht seit 2007 im Arbeitsteam, welchem wir als Autorinnen angehören, eine Tradition in der Realisierung Partizipativer und Inklusiver Forschung, im Rahmen derer Menschen mit Behinderungserfahrungen die Forschungsarbeit bereichern.
2 Seit Mai 2019 arbeiten in unserem Kolleginnen*team im Institut für Förderpädagogik sechs Menschen mit Behinderungserfahrungen, die ihre Expertise perspektivisch als hauptamtlich Lehrende im Hochschulkontext einbringen: http://www.quabis.info/ (03.04.2020).
3 Ausnahmen gibt es in der Darstellung historischer Zusammenhänge, wenn beispielsweise bestimmte Berufsgruppen nahezu ausschließlich bzw. überwiegend durch Männer repräsentiert wurden (z. B. Ärzte und Psychiater im Nationalsozialismus).
4 Es bleibt anzumerken, dass Sprache zum Themenfeld Behinderung auch gegenwärtig häufig noch paternalistisch ist (vgl. Krauthausen 2020).
5 Mit ihrem Buch »Sprache und Sein« bereichert Kübra Gümüşay in beeindruckend poetischer und politischer Art und Weise den aktuellen Diskurs um eine respektvolle, diskriminierungssensible Sprache. Sie lädt ein und macht Mut zu einem gemeinsamen Denken und freien Sprechen und dem Mitgestalten einer Gesellschaft, »in der alle gleichberechtigt sprechen und sein können« (183) und »einander Entwicklung zu[…]gestehen« (181).