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2.2 Feststellung des individuellen Bedarfs bei Pflegebedürftigkeit und Behinderung

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Leistungen zur Pflege erhält, wer pflegebedürftig ist. Pflegebedürftig ist eine Person, die auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate »körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen« (§ 14 Abs. 1 Satz 2 SGB XI) kann und deswegen auf die personale Hilfe anderer Personen angewiesen ist.

Zur Ermittlung von Pflegebedürftigkeit werden Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten in sechs Bereichen begutachtet (§ 14 Abs.2 SGB XI):

1. Mobilität,

2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten,

3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen,

4. Selbstversorgung,

5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen sowie

6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte.

Darüber hinaus sind bei der Begutachtung Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten in den Bereichen außerhäusliche Aktivitäten und Haushaltsführung festzustellen (§ 18 Abs. 5a Satz 3 Nummer 1,2 SGB XI), vor allem, um den individuellen Pflegeprozess besser planen zu können (Udsching, 2018). Beeinträchtigungen bei der Haushaltsführung werden von den Leistungen zur Pflege erfasst, Beeinträchtigungen außerhäuslicher Aktivitäten ohne häuslichen Bezug jedoch nicht (Wingenfeld und Büscher, 2017).

Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten Menschen mit körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen, deren gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft infolge des Ergebnisses der Wechselwirkung von Umweltfaktoren (einstellungs- und umweltbedingten Barrieren) und Beeinträchtigungen erheblich bedroht oder gehindert ist (§ 2, Abs. 1 SGB IX in Vbg. mit § 99 SGB IX) und bei denen Teilhabeziele mit Leistungen voraussichtlich erreicht werden können (§ 13 Abs. 2 SGB IX).

In der Bedarfsermittlung in der Eingliederungshilfe ist die fehlende Fähigkeit zur Selbstständigkeit (Beeinträchtigung der Fähigkeiten) erste Voraussetzung für die Prüfung, ob durch eine Gestaltung von Umwelt (Variation von Umweltfaktoren (Schuntermann, 2005)) eine gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht oder erleichtert werden kann (§ 90 Abs 5 SGB IX). Gestaltung von Umwelt heißt: Hinzufügen von Förderfaktoren und/oder Beseitigung von Barrieren. Leistungen bei Pflegebedürftigkeit können Förderfaktoren sein.

D. h., der Bedarfsbegriff bei den Leistungen bei Pflegebedürftigkeit ist deutlich enger gefasst als der Bedarfsbegriff bei den Leistungen der Eingliederungshilfe. Dies zeigt auch eine nähere Befassung mit der Ermittlung des individuellen Hilfebedarfs nach § 118 SGB IX im Vergleich mit den sechs Bereichen nach § 14 SGB XI.

Tab. 2.1: Beeinträchtigung der Selbstständigkeit und Fähigkeiten (Pflegebedürftigkeit) und der Aktivität nach § 118 SGB IX


Beeinträchtigung der Selbstständigkeit und Fähigkeiten in Modul …… nach § 14 Abs. 2 SGB XISchädigung körperlicher Funktionen und Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit nach den Lebensbereichen der ICF

Die Gegenüberstellung beinhaltet auf beiden Seiten die Beschreibung der bedarfsbegründenden Beeinträchtigungen der Aktivität, d. h. Beeinträchtigungen der Fähigkeit, eine den jeweiligen Bereichen zugeordnete Handlung selbst ausführen zu können; gleichwohl gibt es Unterschiede:

Bei Pflegebedürftigkeit ist eine selbstständige Ausführung einer Handlung auch dann gegeben, wenn die einzelnen Aktivitäten mit der Anwendung oder dem Gebrauch von Hilfsmitteln durchführt werden können. »Dementsprechend liegt eine Beeinträchtigung von Selbstständigkeit nur vor, wenn personelle Hilfe erforderlich ist. Unter personeller Hilfe versteht man alle unterstützenden Handlungen, die eine Person benötigt, um die betreffenden Aktivitäten durchzuführen« (Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e. V. (MDS) und GKV-Spitzenverband, 2019, S. 36).

In der Eingliederungshilfe genügt es zur Feststellung eines Bedarfs, wenn zu der Beeinträchtigung der Aktivität noch die Beeinträchtigung der Teilhabe hinzutritt.

Trotz dieses Mangels einer fehlenden Beachtung von Teilhabe wird in der Tabelle deutlich, dass die Ermittlung des Bedarfes in der Eingliederungshilfe wesentlich breiter und umfassender aufgestellt ist als die Ermittlung von Pflegebedürftigkeit. Dies zeigt sich auch in den Raumbezügen, die bei der Pflegebedürftigkeit wiederholt explizit dargelegt werden. So wird beispielsweise im Modul »Mobilität« nicht die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeit im Fortbewegen als solche beurteilt, sondern lediglich das Fortbewegen innerhalb des Wohnbereiches. Ebenso ist das Erkennen von Personen im Modul »kognitive und kommunikative Fähigkeiten« auf das Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld beschränkt. Die ICF kennt eine solche Beschränkung auf den eigenen Wohnbereich oder das nähere häusliche Umfeld nicht.

Pflegebedürftigkeit ist demnach ein Teil der Bedarfsermittlung in der Eingliederungshilfe: »Behinderung und Pflegebedürftigkeit sind daher nicht deckungsgleich. Ein Mensch mit Behinderung ist nicht zwingend auch pflegebedürftig im Sinne von SGB XI, andererseits ist ein pflegebedürftiger Mensch im Sinne von SGB XI in der Regel auch an der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt. Pflegebedürftigkeit ist daher ein Teil vom weitergehenden Begriff Behinderung, sodass pflegebedürftige Menschen im Grunde auch teilhabeberechtigt22 im Sinne von SGB IX sind« (Kuhn-Zuber, 2018b, S. 870).

Pflege von Menschen mit geistigen Behinderungen

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