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2.4 Einrichtungen oder Räumlichkeiten nach § 43a SGB XI in Verbindung mit § 71 Absatz 4 SGB XI und Wohngruppen nach § 38a SGB XI

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§ 43a SGB XI regelt die Finanzbeziehungen zwischen den Pflegekassen und den Trägern der Eingliederungshilfen in den Fällen, in denen Berechtigte mit Pflegebedürftigkeit und Behinderung in stationären Einrichtungen leben, in denen »die Teilhabe am Arbeitsleben, an Bildung oder die soziale Teilhabe, die schulische Ausbildung oder die Erziehung von Menschen mit Behinderung im Vordergrund des Einrichtungszwecks« stehen (§ 43a Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Diese Regeln gelten auch für Pflegebedürftige »in Räumlichkeiten im Sinne des § 71 Abs. 4 Nummer 3, die Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen« erhalten.

Wie diese Räumlichkeiten genau abgegrenzt werden können, ergibt sich zum einen aus dem Gesetz und zum zweiten aus einer Richtlinie der Pflegekassen (§ 71 Abs. 5, Satz 1 SGB XI).

Damit die Regelungen des § 43 a SGB XI gelten, müssen die Räumlichkeiten drei Bedingungen erfüllen:

a) Der Zweck des Wohnens und die Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe steht im Vordergrund und

b) das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz findet Anwendung, d. h. die Verträge zwischen Leistungserbringern und Bewohnern sind so ausgestaltet, dass mit der Überlassung von Wohnraum auch die Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe verbunden ist, die Verträge also gekoppelt sind, und

c) der Umfang der Gesamtversorgung muss regelmäßig einen Umfang erreichen, der weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entspricht.

Alle drei Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein, d. h. wenn eine der Bedingungen nicht zutrifft, handelt es sich nicht um eine Einrichtung oder Räumlichkeit nach § 71 Abs. 4 Nummer 3 SGB XI, sondern um eine eigene Häuslichkeit.

Die am 18.12.2019 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales genehmigten Richtlinien beschreiben die Zielsetzungen der gesetzlichen Regelung in bemerkenswerter Klarheit:

»Um die bisherigen, an der Wohnform orientierten Leistungsansprüche im SGB XI auch unter der personenzentrierten Neugestaltung der Eingliederungshilfe aufrechterhalten zu können, erfasst die Regelung […] Räumlichkeiten, die dadurch geprägt sind, dass die Bewohnerinnen und Bewohner die Überlassung des Wohnraums sowie die Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe und gegebenenfalls darüber hinaus erforderliche Leistung zur Pflege oder Betreuung in einer Weise erhalten, die sich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung so darstellt, dass die Versorgung durch Leistungserbringer umfassend organisiert wird und die Mitbestimmungsmöglichkeiten vergleichbar wie in einer stationären Einrichtung eingeschränkt sind« (GKV-Spitzenverband 18.12.2019, Hervorhebung durch den Autor).

In den Richtlinien wird ausgeführt, dass bei Einrichtungen, die am 31.12.2019 vollstationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe gewesen sind »in der Regel davon auszugehen ist, dass der Umfang der Gesamtversorgung dem in einer vollstationären Einrichtungen entspricht, sofern und soweit sie nach dem 31.12.2019 im Wesentlichen die gleichen Leistungen wie zuvor bringen«. Bei bisher ambulanten Wohnformen wird davon ausgegangen, »dass der Umfang der Gesamtversorgung nicht der Versorgung einer vollstationären Einrichtungen entspricht« (GKV-Spitzenverband, 18.12.2019, S. 5). Allerdings sind jeweils nach dem 31.12.2019 eintretende Änderung bei der Beurteilung des Sachverhaltes zu berücksichtigen.

Die Regelungen im Einzelnen:

• Zu a): Leistungen der Eingliederungshilfe sind Leistungen

– zur medizinischen Rehabilitation

– zur Teilhabe am Arbeitsleben

– zur Teilhabe an Bildung

– zur sozialen Teilhabe

• Zu b): Das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz »ist anzuwenden auf einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem volljährigen Verbraucher, in dem sich der Unternehmer zur Überlassung von Wohnraum und zur Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen verpflichtet, die der Bewältigung eines durch Alter, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung bedingten Hilfebedarfs dienen« (§ 1 Abs. 1, Satz 1 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz).

• Zu c): Der Umfang der Gesamtversorgung muss regelmäßig einen Umfang erreichen, der weitgehend der Versorgung einer vollstationären Einrichtung entspricht. Dies hat zur Folge, dass »zeitweise und geringfügige Abweichungen nicht dazu führen, dass Wohnformen […] aus dem Anwendungsbereich der Regelungen herausfallen« (a. a. O., S. 6). Der Umfang der Gesamtversorgung entspricht einer Versorgung in einer vollstationären Einrichtung, »wenn ein oder mehrere miteinander vertraglich, wirtschaftlich, organisatorisch oder tatsächlich verbundene Leistungserbringer Unterkunft und Verpflegung, Leistungen der Eingliederungshilfe, die räumliche und technische Ausstattung sowie gegebenenfalls allgemeine Pflegeleistungen zur Verfügung stellen« (a. a. O., S. 5).

1. Unterkunft und Verpflegung: In einer Wohnung im Sinne von § 42 a Abs. 2 Satz 2 SGB XII erfolgt eine Versorgung mit Wasser, Energie sowie Entsorgung von Abwasser und Abfall, der Wohnraum und die Gemeinschaftsräume werden gereinigt, Haushalt und Bettwäsche werden bereitgestellt, instand gehalten und gereinigt, persönliche Wäsche wird gewaschen sowie kleinere Schäden instand gesetzt, Speisen und Getränke werden zubereitet und bedarfsgerecht und zeitlich individuell bereitgestellt. Dies erfolgt auf der Grundlage von Verträgen zwischen Leistungserbringern und Leistungsberechtigten.

2. Räumliche und sächliche Ausstattung: »Dies umfasst die Bereitstellung, Instandhaltung und Instandsetzung von Wohnraum, Gemeinschafts- und Funktionsräumen einschließlich Inventar«, wobei es unbeachtlich ist, dass Leistungsberechtigte eigenes Mobiliar in die Räumlichkeiten einbringen (a. a. O., S. 7).

3. Regelmäßige Unterbringung und Versorgung: Dies erfolgt an mindestens fünf Tagen in der Woche und grundsätzlich ganztägig für 24 Stunden. »Die Menschen mit Behinderungen werden zudem unter ständiger Verantwortung geeigneten Personals der Leistungserbringer unterstützt« (a. a. O., S. 7).

4. Inanspruchnahme: Die tatsächliche Inanspruchnahme der vorgehaltenen Leistungen ist unerheblich. Maßgeblich ist das »vertraglich verpflichtende Vorhalten und Vergüten eines entsprechenden Leistungsangebots, dass im Bedarfsfall in Anspruch genommen werden kann« (a. a. O., S. 7).

Zur Prüfung der Voraussetzungen werden nach den hier zitierten Richtlinien die angebotenen Leistungen herangezogen. Weitere Prüfgrundlagen sind die Vereinbarungen nach §§ 123 SGB IX sowie das Konzept der Leistungserbringer. Ergänzend sollen die zwischen Leistungserbringern und Leistungsberechtigten geschlossenen Verträge über die vertraglichen Leistungen sowie die Inhalte der jeweiligen Teilhabe- bzw. Gesamtpläne herangezogen werden (a. a. O., S. 7).

Das im SGB XI verankerte institutionelle Gegenmodell zur oben skizzierten stationären Vollversorgung mit den damit verbundenen Beschränkungen von Selbstbestimmung und Teilhabe stellen die ambulant betreuten Wohngruppen nach § 38a SGB XI dar. Deren wesentliche Merkmale sind, dass die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich eine Person beauftragen, »unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen« (§ 38 a Abs. 1 Satz 1 Nummer 3 SGB XI), und dass eine Vollversorgung nicht stattfindet, »sondern die Versorgung in der Wohngruppe auch durch die aktive Einbindung ihrer eigenen Ressourcen und ihres sozialen Umfeldes (der Bewohnerinnen und Bewohner) sichergestellt werden kann«. Wer in einer solchen Wohngruppe lebt, erhält zu den übrigen Leistungen bei Pflegebedürftigkeit einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 214 € monatlich.

18 Sind die Leistungen identisch oder sieht es nur so aus? Wenn es nur so aussieht, sind die Leistungen unterscheidbar, aber man kann es nicht sehen?

19 Es gibt sie, um mit Luhmann zu sprechen, als Einheit der Differenz von Verrichtung und Zweck (bspw. Luhmann, 2017).

20 Gefördert werden soll die Selbstbestimmung und die Teilhabe, nicht die Leistungsberechtigten.

21 Daneben gibt es Maßnahmen zur Erhaltung der Pflegebereitschaft und Entlastung der Pflegepersonen.

22 Das heißt nicht, dass auch Ansprüche auf Leistungen der Eingliederungshilfe bestehen.

23 »Auch mit dieser Aufzählung ist keine Zuordnung zu Leistungen der Pflegeversicherung, der Hilfe zur Pflege oder der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen intendiert. Durch das neue Pflegeverständnis wird die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nicht von ihren Leistungspflichten entbunden (Wingenfeld und Büscher, 2017, S. 20).

24 https://www.duden.de/rechtschreibung/eigenstaendig; https://www.wortbedeutung.info/eigenst%C3%A4ndig/; zuletzt geprüft am 10.07.2021

25 Die identische Größe der Kästchen »Eingliederungshilfe« und »Leistungen für Pflege« soll die Gleichrangigkeit der beiden Leistungssysteme ausdrücken, nicht einen gleichen Umfang der Hilfen.

Pflege von Menschen mit geistigen Behinderungen

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