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Die Psychotechnik als Ergänzung des Taylorismus
ОглавлениеZur Zeit Taylors etablierte sich die Disziplin der Angewandten Psychologie, die ihre Wissenschaft in die Dienste der Organisationen und der Gesellschaft stellte. Ein prominenter Psychologe, der zur Zeit Taylors lebte, war Hugo Münsterberg (1863–1916). Münsterberg popularisierte den Begriff der sog. »Psychotechnik«, der eigentlich 1903 von William Stern geprägt wurde (Bungard & Lück, 1997). Münsterberg betrachtet die Psychotechnik als die Wissenschaft von der praktischen Anwendung der Psychologie auf Kulturaufgaben, z. B. von Gesundheit, Wirtschaft, Recht, Erziehung, Kunst und Wissenschaft. Die Psychotechnik als Technik betont jedoch das Instrumentarium, dessen man sich bedienen kann, um nicht nur die Naturkräfte, sondern auch die sozialen Kräfte zu beherrschen (Bungard & Lück, 1997).
Die Psychotechnik hat schwerpunktmäßig die psychologische Auswahl (die Psychodiagnostik) für und die Anpassung des individuellen Arbeiters an den Arbeitsprozess zum Gegenstand (Kieser, 1999c). Kieser (1999c) beschreibt die Psychotechnik als Fortsetzung des Taylorismus mit den Mitteln der Psychologie. Der Begriff der Psychotechnik setzte sich in fast allen Ländern durch, jedoch nicht in den USA, in denen der Begriff der »Applied Psychology« vorherrschte. Der Begriff der Angewandten Psychologie hat sich inzwischen ebenfalls in Deutschland etabliert und den der Psychotechnik ersetzt (Bungard & Lück, 1997). Münsterberg wird somit gerne als derjenige Psychologe angesehen, der die Angewandte Psychologie als Einzelwissenschaft etablierte (Bungard & Lück, 1997).
Münsterberg war Professor in Harvard aber auch Austauschprofessor (1910/11) an der Berliner Universität mit der Lehrmeinung, den »hilflosen Dilettantismus« des Scientific Managements bei der Behandlung psychologischer Probleme durch den Ansatz der Psychologie der individuellen Differenzen zu ersetzen. Mit Hilfe experimenteller Methoden sollten die individuellen psychischen Merkmale des einzelnen Arbeiters, wie z. B. Ermüdbarkeit, Belastbarkeit, Ausbildung von Geschicklichkeit etc. erfasst werden, um sie bei der Gestaltung von Arbeitsprozessen wirkungsvoller zu berücksichtigen (Kieser, 1999c).
Münsterberg entstammt einer angesehenen deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie aus Danzig (Bungard & Lück, 1997). Er studiert 1982/83 in Genf und Leipzig Medizin. Durch Kontakte zu Wilhelm Wundt in Leipzig kommt Münsterberg mit der Philosophie und der Psychologie in Kontakt. 1885 promoviert Münsterberg in Philosophie, 1887 in Heidelberg auch in Medizin. Nach dem Studium lässt sich Münsterberg in Freiburg als Privatdozent nieder (1887-1891), wo er sich habilitiert und ein privates psychologisches Labor einrichtet. Es erfolgt 1891 die Ernennung zum außerplanmäßigen (also unbesoldeten) Professor und er hofft auf eine ordentliche Professur, die er wahrscheinlich auch aus antisemitischer Ablehnung der Universitäten heraus nicht erhält. William James ruft ihn 1892 als Professor an die Harvard Universität mit der Aufgabe, das psychologische Laboratorium zu leiten und die höhere Ausbildung der Psychologie zu verantworten (Bungard & Lück, 1997). Münsterbergs Veröffentlichungen sowie Berichte von amerikanischen Studierenden, die bei Münsterberg in Freiburg studierten, waren für seinen Ruf nach Harvard ausschlaggebend. Er baute in Harvard ein psychologisches Labor nach Vorbild des Leipziger Institutes auf und forschte zu verschiedenen grundlagenorientierten und angewandten Fragestellungen. 1895 kehrt er nach Deutschland zurück, erneut mit der Hoffnung auf eine Professur, die ihm aber auch diesmal nicht angeboten wird. 1897 siedelt Münsterberg endgültig in die USA über und gibt das Freiburger Institut auf.
Beispiele für Münsterbergs Methoden zur Psychodiagnostik sind 1910 die ersten Eisenbahnertests (eignungsdiagnostische Untersuchungen zur Auswahl von Lokführern) oder die Auswahl von Telefonistinnen für die Bell Telephone Company. Die industrielle Psychotechnik setzt sich in vielen Industrieunternehmen durch: 1926 werden bei ca. 110 Industrieunternehmen im deutschen Reich psychotechnische Untersuchungen mit dem Schwerpunkt in Eignungsuntersuchungen durchgeführt (Bungard & Lück, 1997).
Viele der heute im Human Resource Management ( Kap. 4), der Arbeitswissenschaft und Ergonomie als selbstverständlich erachteten Methoden der Personalauswahl und der individuumsbezogenen Arbeits- und Arbeitsplatzgestaltung gehen auf die Ideen und Methoden von Hugo Münsterberg zurück.