Читать книгу The Sixth Birthday - Arnd Frenzel - Страница 15

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Kurz nach ihrem Aufbruch in den Tunnel ist ein Wächter hinzugekommen. Ohne miteinander gesprochen zu haben, bewegen sich die beiden weiter und erreichen nach 5 Minuten den richtigen Ausstiegspunkt nach oben.

Die Beine von Alexa werden weich, denn vor ihr befindet sich eine Leiter und am Ende ist ein rundes Loch, dieses führt tatsächlich nach draußen, aber noch kann sie nichts erkennen.

»Nur noch die Leiter nach oben und dann durch das Loch«, sagt der Wächter trocken und verschwindet aus ihrem Sichtfeld.

Ganz alleine steht sie jetzt unter dem Ausgang und schaut auf die Sprossen. Sie muss nur die Stufen erklimmen und ihr Ziel ist erreicht. Aber ihr Körper verweigert seinen Dienst, alles zittert und noch mehr Aufregung kann sie nicht ertragen. Der Tunnel ist auf beiden Seiten leer, niemand ist zu sehen und von oben dringt eine Stimme zu ihr herunter.

»Alexa? Kommst du?« Erschrocken blickt sie nach oben und erkennt den Kopf einer jungen Frau. Die hält ihr eine Hand entgegen, als ob sie ihr damit helfen möchte. Diese Geste bringt Alexa zurück in die Wirklichkeit und sie steigt langsam die Stufen hinauf.

Oben angekommen ist erst einmal nichts Spannendes zu entdecken, denn die beiden befinden sich in einer Holzhütte ohne Fenster. Genauer kann Alexa es nicht beschreiben, in einer Ecke stapeln sich alte Gleise und überall stehen Kanister und leere Eimer herum. Etwas weiter hinten befindet sich aber ein geöffneter Ausgang und der führt wirklich nach draußen.

Marie steht neben ihrer Schülerin und kann sich das Grinsen nicht verkneifen.

»So erging es mir damals auch, das erste Mal ist einfach umwerfend, aber du wirst dich schon daran gewöhnen. Lass uns vorher aber noch den Ausgang verriegeln, nicht das den noch jemand findet.«

Eine runde Metalltür verschließt das Loch nach unten und obendrauf wird alles mit Gerümpel verdeckt. Alexa ist ein wenig irritiert, sie hatte wirklich mehr Sicherheit erwartet und nicht nur ein einfaches verstecken.

Dieser Gedanke wird aber schnell wieder vergessen, denn die beiden durchschreiten jetzt die Tür und stehen endlich im Freien.

Die Einflüsse, die gerade auf die 16-Jährige einprasseln, sind unbeschreiblich. Sie hatte nur noch sehr vage Erinnerungen daran, es ist einfach zu lange her und die Bücher und Bilder zählen nicht, darin kann man die Freiheit nicht fühlen.

Der Himmel ist völlig klar, unzählige leuchtende Sterne befinden sich daran und im Hintergrund liegt die beleuchtete Skyline von New York. Ein gewaltiger Anblick, der sich in die Erinnerung einbrennen wird. Flugzeuge fliegen durch den Abendhimmel, sie leuchten in verschiedenen Farben und machen die Szene noch viel schöner. Nach den ersten riesigen Einblicken nimmt Alexa langsam die nähere Umgebung wahr.

Sie befinden sich auf einem alten Güterbahnhof, der wie ihre Station schon lange aufgegeben wurde. Etliche Schienen liegen in ihrer Umgebung, darunter auch ein paar neuere, Züge fahren hier also noch. Die nächste Aufmerksamkeit bekommen die vielen Bäume, dass grün ist unbeschreiblich, aber Marie setzt dem Traum ein Ende.

»Komm mit, wir brauchen einen ruhigen Platz, um alles Weitere zu klären. Ich möchte nicht, dass uns hier jemand entdeckt und dann auf dumme Gedanken kommt.«

Alexa schätzt Marie auf Mitte 20, sie hat blonde schulterlange Haare und ein sehr freundliches Gesicht. Sie fühlt sich sofort zu ihr hingezogen, denn ihre offene Art ist etwas Neues.

Mit einer flotten Geschwindigkeit erreichen die beiden ein anderes verlassenes Gebäude und setzen sich dort auf ein altes Holzgestell, wo Marie Alexa eine kleine Plastikschachtel herüber reicht. Verdutzt wird diese angenommen und an der Seite geöffnet. Im Inneren befinden sich gummiartige Pupillen und Alexa schaut fragend auf.

»Das sind Kontaktlinsen«, kommt von Marie »aber warte bitte, ich helfe dir eben, das erste Mal ist immer recht schwierig.« Nach ein paar leichten Handgriffen befinden sie die Teile in Alexas Augen und verdecken die lila Farbe.

»Jetzt sind deine Augen braun, das passt voll zu deinem Teint. Aber keine Sorge Alexa, sie machen dich nicht hässlicher«, lacht Marie und betrachtet dabei ihre Schülerin.

»Kontaktlinsen? Das ist verdammt cool. Mit so etwas habe ich nicht gerechnet. Also erkennt mich keiner mehr? Sehe ich jetzt aus wie ein echter Mensch?«

»Alexa, du bist ein echter Mensch und lass dir nie etwas anderes einreden. Solange du dich normal verhältst, wird deine wahre Abstammung keiner erkennen, aber du musst dich darauf konzentrieren. Schluss jetzt damit, du hast sicher viele Fragen und ich werde sie so gut es geht beantworten. Dank David haben wir ein großes Zeitfenster erhalten und können alles in Ruhe besprechen. Weißt du eigentlich, dass David dich sehr mag? Er erwartet wirklich Großes von dir.«

»David mag mich?« Schreit Alexa fast. »Das kann nicht dein Ernst sein.«

Skeptisch schaut sie zu Marie herüber, so richtig kann sie das nicht nachvollziehen. Oder ist das der Grund, warum sie kaum Stress bekommt?

Marie holt eine Karte aus ihrer Tasche und rollt sie aus, mit einem Finger deutet sie auf eine Stelle.

»Schau mal, hier befinden wir uns gerade und dort ist unser Ausgang gewesen. Sind dir die wichtigsten Punkte auf der Karte bekannt?« Ein Nicken von Alexa reicht ihr aus.

»Super, hier hinten befindet sich die Stelle, wo du heute Abend deinen ersten Handel abschließen wirst. Es ist einer unserer typischen Tauschpunkte und es sollten keine Schwierigkeiten auftreten. Unser Handelspartner hat bisher noch keine Probleme bereitet, auch ist die Tauschmenge nicht groß.«

»Was genau tausche ich denn?« Alexa ist ein neugieriges Mädchen, das liegt in ihrer Natur.

»Das kann ich dir auch nicht sagen. Ich habe hier nur dieses kleine Päckchen, das deponierst du gleich in der Nähe eines Baumes und ziehst dich wieder zurück. Dann wartest du den Austausch ab und bringst das neue zurückgelassene Päckchen mit zu mir. Das sollte nicht schwer sein und auch ein Anfänger problemlos bewältigen können.«

Ein vorbeifahrender Zug zwingt ihnen eine Pause auf und Alexa lässt sich alles noch einmal durch den Kopf gehen. Marie wartet einfach ab, bis die Geräusche wieder erträglich sind.

»Marie, kannst du mir vielleicht sagen, was wir sind? Du bist jetzt schon so lange hier draußen, irgendetwas musst du doch erfahren haben.« Die Frage der Schülerin überrascht die Mentorin, für einen Augenblick schaut sie zu Boden und richtet dann ihre Aufmerksamkeit wieder auf Alexa.

»Ich kann dir leider nichts darüber sagen und das tut mir wirklich leid. Auch kein anderer kann dir da weiterhelfen, nicht mal der Rat hat darüber Kenntnis. So wurde mir das jedenfalls immer gesagt.«

Enttäuscht ist Alexa über die Antwort nicht, sie hatte schon damit gerechnet, woher sollte Marie das auch wissen.

»Dann die nächste Frage.« Alexa nutzt die Gelegenheit vollkommen aus, denn heute könnte sie endlich mal ein wenig mehr erfahren. »Warum hassen uns die Menschen?«

Ihre Mentorin setzt sich etwas bequemer hin und nach einer kurzen Denkpause versucht sie es mit einer einfachen und verständlichen Antwort.

»Sie hassen uns nicht wirklich, aber sie fürchten uns, weil wir anders sind. Viele Menschen haben uns mittlerweile vergessen oder einfach nur verdrängt, was uns natürlich zu Gute kommt. Die Furcht existiert aber dennoch, welche auch von einem ganz bestimmten Ereignis abhängt. Viele Kinder werden von der Regierung verschleppt, kurz nach ihrer Verwandlung werden sie aus ihren Familien gerissen und kommen niemals zurück. Außerhalb von New York gibt es eine Forschungsstation, dorthin werden auch heute noch alle abgeholten Kinder gebracht und angeblich untersucht. Was dort aber wirklich geschieht, kann keiner genau sagen. Das ist auch der Grund, warum viele Eltern ihren Nachwuchs in den Untergrund schicken. Eine Wahl gibt es nicht und mit der Übergabe der Kinder an die Schleuser machen sie sich strafbar, trotzdem wurden es im Laufe der Jahre immer mehr, die diesen Weg gewählt haben.« Der nächste Zug braust vorbei und Marie legt eine Pause ein, die beide dafür nutzen, den Nachthimmel zu beobachten.

»Vor etwa 5 Jahren hat sich im Untergrund eine Bewegung gebildet und die Forschungsanstalt wurde angegriffen. Sie wollten die Kinder befreien, aber es ging furchtbar schief. Auf beiden Seiten gab es hohe Verluste und so etwas setzt sich in den Köpfen fest.«

»Hatte unsere Station auch etwas damit zu tun?« Alexa fühlt sich gerade ein wenig unwohl. Die Informationen sind ihr völlig neu und schwer zu verarbeiten.

»Ein paar von uns sind angeblich mitgegangen, aber der Hauptteil kam von einer anderen. Deren Station wurde kurz nach ihren misslungenen Angriff gefunden und vollständig zerstört. Soldaten wurden dafür eingesetzt, denn die damalige Regierung wusste sich nicht anders zu helfen. Es heißt, dass alle getötet wurden, auch die Kinder, es war ein richtiges Massaker. Daher gibt es in New York nur noch zwei Untergrundstädte und direkte Kontakte wurden komplett verboten.«

Alexa versteht die Geschichte nicht wirklich, solche Dinge wurden in der Schule nicht besprochen, daher fragt sie Marie weiter aus.

»Aber das ist gerade mal 5 Jahre her. Was war denn davor? Hätten wir nicht in Frieden zusammen leben können?«

Ein neuer Zug rattert über die Gleise und Marie lässt sich mit ihrer Antwort Zeit.

»Auch davor haben sie uns schon gefürchtet und teilweise sogar gejagt, aber sie konnten nie etwas gegen uns unternehmen. Doch dann kam das FOPE, es wurde direkt nach dem Angriff auf die Labore gegründet und die Mitglieder sollen alle vom Militär sein. Sie gehen sehr gewissenlos mit der Sache um, für sie sind wir nichts weiter als Vieh. Nur ein toter Ausgestoßener ist ein Guter. Ich glaube, die hassen uns wirklich und stellen daher die größte Gefahr für unser Überleben dar.«

»Ich finde das alles sehr traurig, es hätte doch nie so kommen müssen«, sagt Alexa darauf, ihr sieht man die Niedergeschlagenheit wirklich an. Ihre Worte meint sie völlig ernst, was sicher damit zusammenhängt, dass sie ihre Eltern nicht suchen darf. Ihre nächste Erkundung bezieht sich auch eher auf eine Ablenkung, um die Situation wieder aufzulockern.

»Eine Frage habe ich noch Marie, warum hast du nicht wie alle anderen schwarze Haare?«

Ihre Gesprächspartnerin beginnt zu lachen, mit so etwas hat sie jetzt nicht gerechnet.

»Liebe Alexa«, antwortet sie fröhlich. »Hier oben gibt es eine Menge toller Dinge und meine Haare habe ich mir blond gefärbt. Es existieren auch noch andere Farben, aber ich wollte sie genau so.«

Alexa kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, solche tollen Sachen gibt es hier oben? Sie hat über die Oberwelt eine Menge gelesen und auch gelernt, aber über solche Themen weiß sie nichts. Marie wechselt ihre Stimmung wieder und wird plötzlich ernst.

»Es wird jetzt Zeit für deinen Aufbruch mein Liebes und hier ist dein Päckchen. Verstecke es einfach an dem Baum mit dem roten Kranz, du kannst ihn nicht verfehlen. Danach musst du dich gedulden, die werden schon auftauchen, sollten dich aber nicht entdecken. Direkt nach der Übergabe kommst du hier her, da warte ich auf dich.« Marie zeigt ihr eine neue X-Markierung auf der Karte.

»Warum kommst du nicht mit?« Fragt Alexa noch vor dem Aufbruch.

»Hier handelt es sich um deine Aufgabe und die ist nur für dich bestimmt, ich helfe aus der Ferne.«

Alexa hätte eigentlich noch so viele Fragen, aber es bleibt keine Zeit. Sie bedankt sich herzlich bei Marie und begibt sich auf ihren Weg. Der Einfachste läuft an den Schienen entlang, so kann sie ihre Geschwindigkeit voll ausnutzen, ohne dass es jemanden auffällt…

The Sixth Birthday

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