Читать книгу Berliner Miniaturen - Attila Schauschitz - Страница 10
ОглавлениеGunter Demnig
Stolpersteine
Barbarossastraße
Stolpern in Berlin
Dass die authentische Jahreszeit Berlins der Herbst ist, steht hier als Axiom. Der Weg vom grünen Gewand des Laubes zu der Nacktheit des Winters. Die Zeit, da es unablässig regnet. Wenn in den Nebenstraßen das seltsame Licht und die besondere Farbe der Stadt aufleuchten. Das Geheimnis Berlins ist der Katzenkopfstein. Nicht die schwarz glänzende, sondern die verschwommene, in Braunschattierungen flimmernde Straße. Straßenlaternen zeichnen Lichthöfe in die dunklen Töne hinein, die Schaufenster bilden Pfade. Und der Gehsteig schlägt Wellen.
Ansonsten liegen auf der Straße ungewöhnlich viele Menschen auf den Knien. Die Stadt pocht von Hammerschlägen. Der Berliner Straßenarbeiter wird nicht in den Dampf von Teer gehüllt, sondern passt winzige Katzenkopfsteine in hoffnungslosem Eifer einander an.
Es gilt auch noch jener Gehweg als genehm, in dessen Mitte sich ein Streifen von großen und breiten oder kleineren und quadratischen Steinplatten befindet. Wichtiges Kriterium ist, dass der Belag holprig und uneben ist, sodass das Stolpern wahrscheinlich wird. Schuhe mit spitzem Absatz sind hier fehl am Platz. Straßen mit betoniertem Gehsteig sind sofort zu verlassen, sie haben in dieser Landschaft keine Daseinsberechtigung.
Auf dem Gehweg können auch das persönliche Gewissen und das nationale Selbstbewusstsein stolpern, wenn sie durch die Zeit zu sauber gefegt wurden. Vor den Hauseingängen liegen zehnmal zehn Zentimeter große Kupferplatten. Auf ihnen Namen und Jahreszahlen: geboren, gewohnt, verschleppt, ermordet. Viele kleine Grabmale für die Opfer des Nationalsozialismus vor ihrem letzten Wohnsitz.
Der Initiator des Projektes, Gunter Demnig, erhielt im Jahr 2000 in Köln die erste offizielle Genehmigung, auf öffentlichem Boden Stolpersteine verlegen zu dürfen. Diese Steine in deutschen Städten, besonders in Berlin, wo es inzwischen etwa viertausend gibt, sind nur denjenigen nicht bekannt, die niemals vor ihre Füße blicken. Ein Sonderfall ist München, wo dank dem Widerstand des Stadtrates und der jüdischen Gemeinde solche Erinnerungssteine nur auf privaten Grundstücken liegen dürfen. Die Entscheidung geht wohl auf das nicht sehr tiefsinnige Argument Charlotte Knoblochs, der ehemaligen Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, zurück, die es »unerträglich« fand, dass auf den Namen ermordeter Juden mit Füßen »herumgetreten« werde.
Die Stolpersteine fanden inzwischen in ganz Europa Verbreitung, von Norwegen bis Ukraine, und ihre Zahl hat sich auf siebenunddreißigtausend erhöht. Damit wurden sie zum größten dezentralen Denkmal für die Verfolgten des Nationalsozialismus. In dieser Hinsicht gibt es auch etwas Erfreuliches aus Ungarn zu berichten – wenngleich es auch länger zurückdatiert. Die erste Ausstellung über das Projekt wurde in Budapest 2007 unter der damaligen sozialliberalen Regierung eröffnet. Ungarn, das sonst abgeneigt ist, sich seiner Vergangenheit in der Zeit der Judenverfolgung zu stellen, gehörte mit Österreich zu den ersten Ländern nach Deutschland, in denen Stolpersteine verlegt wurden.