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Anne Poirier, Patrick Poirier

La Fontaine de Gorgo, 1987

Henriettenplatz

Das Gorgo-Mädchen

Bloß das nicht, versteinert zu werden! In der Tiefe sitzt immer die Angst. Schwindelig, als ob vom Wirbel gedreht. Man sollte vor diesem Mädchen Angst haben, und hat man doch nicht. Ehemals hatte man mehr Angst. Nicht so sehr vor der Diktatur. Etwas mehr vor den Eltern. Am meisten aber vor dem kleinen Gál.

Wenn man nach dem Unterricht in der Grundschule hörte, »sie warten draußen auf dich«. Beziehungsweise nur er: der kleine Gál. Der kleine Gál, der nach der Schule auf dem Weg nach Hause ständig hinter dir ist. So lauft ihr eine Weile auf den Straßen der Josefstadt, des 8. Bezirks von Budapest, bröckelnder Fassaden entlang. Du vorne und hinter dir der kleine Gál. Merkwürdigerweise kommt er immer nur bis zur Bezirksgrenze, der Üllői Straße, niemals rüber in die Franzenstadt, den 9. Bezirk. Er kommt, kommt, und in einem beliebigen, aber unvermeidlichen Moment (freilich noch vor der Üllői Straße), tritt er dir in den Hintern. Es ist ein billiger Vergleich, und doch, der kleine Gál war wie das Schicksal. Nur hat das Schicksal keinen großen Bruder, mit dem du Freundschaft schließt, und der dann den Kleinen anherrscht, lass ihn doch endlich in Ruhe.

Vor der Medusa muss man keine Angst haben. Sie guckt eher milde, mit ihrem rechten Auge bestimmt. In ihm zeigt sich das Meer des Leidens. Denn, Kenner der griechischen Mythologie dürfen dies überspringen, was geschah eigentlich? Des Gorgo-Mädchens Schicksal war Poseidon. Und Athene? Nicht genug, dass der sexistische Poseidon Medusa verführt, nach heutiger Auffassung vergewaltigt. Und dann nur deshalb, weil es in ihrem Tempel passierte, verwandelt Athene die Haare der Medusa in Schlangen, und entstellt sogar ihre Schwester. Sie verleiht ihr einen Blick, der jeden zu Stein werden lässt. Medusa wird schließlich von Perseus getötet, da oben ist seine Hand, wie er in ihren abgeschlagenen Kopf greift. Die kleine Pointe der Geschichte, der dem Rumpf entsprungene Pegasos, ist auf der Rückseite der Skulptur zu sehen.

Die Arbeit von Anne und Patrick Poirier wurde 1987 am Henriettenplatz, am Ende des Kurfürstendammes, aufgestellt. Ein schöner Platz könnte es sein, wenn ihn der rasende Verkehr nicht in zwei Hälften schnitte. Medusa, der Obelisk und die die Bushaltestelle schmückende »dorische« Kolonnade von Heinz Mack, könnten sich zu irgendetwas zusammensetzen. In diesem Bild könnten wir sitzen, wir wären im Bilde, würden aus ihm herausschauen, heraus aus dem Bild in unseren Köpfen, und uns vorstellen, dass wir im zusammengesetzten Bild des kleinen Platzes sitzen, wenn es ihn gäbe.

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