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Micha Ullmann

Bibliothek, 1994

Bebelplatz

In der Tiefe

Musikalischer Ton oder mathematische Gleichung dürfte so klar und einleuchtend sein wie diese Komposition. Kleine, quadratische Glasplatte auf dem Boden in der Mitte des Bebelplatzes. Darunter ein heller Raum, 7x7 Meter, mit leeren Regalen entlang den Wänden. Sie bieten Platz für zwanzigtausend Bücher. Für jene zwanzigtausend, die dort von erregten Studenten mit erhitzten, roten Gesichtern am 10. Mai 1933 ins Feuer geworfen wurden. Auf der Bronzeplatte neben dem Glas steht die Prophezeiung Heinrich Heines aus dem Jahre 1820: »Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.«

Unter den zahlreichen Denkmälern, die in Berlin an den Holocaust erinnern, erlebte keine ein so ruheloses Schicksal wie Micha Ullmans Bibliothek. Im Hintergrund stand – wie so oft bei der Zerstörung des Stadtbildes – das Zusammenspiel von Politik, Bürokratie und Privatkapital. Vergeblich sah der Künstler nicht nur das Werk, sondern »den ganzen leeren Bebelplatz« und »die Leute, die nach unten schauen« als das Denkmal an, es war vermutlich genau diese Leere, die manche Vermarktungsexperten genervt hatte: ein Platz im Stadtzentrum, der nur einen spirituellen Sinn, aber keine profitable Funktion hat.

Der erste Eingriff fällt von außen kaum auf. Nur Abstiege markieren auf der Oberfläche, am Rande des Platzes, dass unten, um das Mahnmal herum, eine Tiefgarage gebaut wurde. Schließt man sich jedoch der Deutung Micha Ullmans an, wonach es beim Denkmal um »das Grab einer Bibliothek« handelt, lassen sich die Aushebung der Erde, die um die Bibliothek zirkulierenden Abgase und das Gerassel der Motoren kaum anders als Grabschändung verstehen.

Die zweite Idee zur Nutzung des Bebelplatzes war nicht einfach rücksichtslos, sondern pervers: Auf dem Platz wurde 2008 ein Zelt aufgebaut, um eine heitere und ausgefallene Modemesse, Fashion Week genannt und von Mercedes-Benz verantwortet, zu veranstalten. Das Denkmal als Störfaktor war im Zelt mit Seilen abgesperrt und beraubte damit der Modeschau wertvolle Quadratmeter.

»Die Schauen im Juli 2008 waren ein großer Erfolg und die zentrale Lage hat dazu beigetragen. Ich bin sicher, dass sich die positive Entwicklung des Events hier fortsetzt«, feierte Wirtschaftssenator Harald Wolf von der Linkspartei das Ereignis. Die Freude des Senators durfte nicht länger als bis Januar 2010 dauern. Nach mehreren Veranstaltungen der Modemesse richteten bekannte Persönlichkeiten im Dezember 2009 eine Petition an das Abgeordnetenhaus. Der Künstler forderte in einem Brief: »Lasst diesen Ort in Ruhe.« Ihr Protest wurde nach einer öffentlichen Anhörung vom Erfolg gekrönt. Nach einem letzten Aufmarsch der besten Klamotten zog die Messe auf die Straße des 17. Juni um.

Es blieb nur noch eine Frage offen, wie das Lifestyle-Magazin LesMadssie empört formuliert hatte:»Wie soll jemals eine steigende Akzeptanz gegenüber Mode entstehen, wenn diese in Deutschland noch immer nicht als Kulturgut betrachtet wird?!«

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