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Findling

1912

Im Schwarzen Grund

Der Findling

Am Anfang war der Stein. Der Stein der Kunst. Man zeichnete darauf, bemalte, bewunderte und betete ihn an. Zu Recht steht also auch dieser hier am Anfang, stellvertretend für alle Kunstwerke Berlins im öffentlichen Raum. Ein Stein, der nichts sagen will und doch viel bedeutet.

Im hiesigen Sand, wo man sonst nur Kartoffeln und Spargel findet, wurde jeder Stein als ein kleines Wunder betrachtet und geschätzt. Bereits der Name Findling weist auf etwas Unerwartetes und Überraschendes hin. Die Berliner wussten ihn sich auch zu Nutze zu machen: Seit 1763 hatte jeder Brandenburger Bauer, der in die Stadt kam, zwei Feldsteine für den Bau von Straßen und Häusern in seinem Wagen mitzubringen.

Dieser Findling mit einem Gewicht von fünfzig Tonnen tauchte 1912 im Süden der Stadt, in Dahlem, beim Bau der U-Bahn auf. Zunächst konnte er nicht einmal mit 16 Zugochsen bewegt werden. Mittels Flaschenzügen und Rundhölzern wurde er schließlich in zwei Wochen vierzig Meter weiter, zu seinem heutigen Standort geschleppt.

Beträchtlichere Findlinge in Berlin sind denkmalgeschützt. Ihre kunsthistorische Bedeutung lässt sich kaum bestreiten. Es ist zum Beispiel anzunehmen, dass dieses Exemplar die BalloonFlower von Jeff Koons inspirierte. Nur wurde die aus dem Findling strömende wilde Sexualität durch die künstlerische Bearbeitung zu einer erotischen Ausstrahlung gemildert. Offenkundig ist auch die Verwandtschaft der Form mit dem Houseballvon Claes Oldenburg, und nicht einmal die Mobilität von diesem stellt einen Widerspruch dar, wenn man in Betracht zieht, dass die Unbeweglichkeit der Findlinge in historischem Maßstab nur eine Scheinbare ist.

Erstens wanderten sie, als solche noch Moränen genannt, während der Eiszeit aus Skandinavien und dem Baltikum hierher. In Fachkreisen ist es außerdem ein offenes Geheimnis, dass die Findlinge sich immer noch bewegen, sich gegebenenfalls auf den Weg machen. Man hält es allerdings für eine allzu kühne Deutung, dass eine Art Sehnsucht nach menschlicher Gesellschaft der Grund dafür wäre.

In diesem Zusammenhang soll die neueste Geschichte des seit je von Legenden umwobenen Dahlemer Findlings wie folgt zurückgegeben werden. Man beruft sich dabei auf einen Gast einer benachbarten Kneipe. Er saß dort einsam und dachte gerade über die Vergänglichkeit der Zeit nach, als zu später Stunde der Findling in den Raum dröhnte und ihm Fragen nach dem Preis der hiesigen Schnäpse stellte. Nach jeder Antwort zuckte er zusammen und rollte schließlich mit überraschender Geschwindigkeit hinaus. Am nächsten Tag stand er wieder auf seinem gewohnten Platz. Seitdem hat man aus ihm kein Wort mehr herausbekommen.

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