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Gloria Priotti

Endspiel, 1980

Auguste-Viktoria-Klinikum

Rubensstraße 125

Fußmonolog

Vielen Dank, es geht uns bestens, besonders weil wir noch Beine haben, von denen nicht etwa deshalb so wenig übrig geblieben sind, weil sie uns unterhalb des Knies abgesägt worden waren. Von da aufwärts existierten wir nur in der Fantasie, wir vertrauen darauf, dass man uns sich vorstellt. Das war eine gute Idee, so geworden zu sein, wie wir nun sind; es würde sich kaum lohnen, uns weiter zu verstümmeln, wie so viele unserer Gefährten in den Straßen und Plätzen der Stadt.

Wir haben ohnehin keine Erwartungen mehr. Wie viel wurde dagegen von uns, modernen Kunstwerken, erwartet! In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als der öffentliche Raum mit fröhlichen Gestalten der Welt der Familie und der Arbeit – Menschen mit Menschen, Menschen mit Tieren und auch noch das Perverseste, Tiere mit Tieren – bevölkert war, erhoffte man sich von uns, »Harmonie, Glück und Würde« ins Leben der Menschen zu bringen. Nun, gerade das war es, wofür wir, die weder die Wirklichkeit kopieren noch nützlich oder moralisch,sondern nur frei und ohne äußere Einflüsse sein wollten, ganz sicher nicht geeignet waren.

Unser stürmischer Ausbruch aus den Museen erfolgte zu Beginn der siebziger Jahre, als die Zeit reif genug schien, die Städte mit ihrer öden Architektur und ihren vom Wirtschaftswunder betäubten Bewohnern durch zeitgenössische Kunst zu beleben und wachzurütteln. Ich möchte festhalten, dass das Ganze nicht unsere, sondern deren Idee war, die sich unser angenommen hatten: Kunsthistoriker, Kunstmanager, Kunstliebhaber, Politiker.

Martin Neuffer, Hannovers Oberstadtdirektor ließ 1970 die Forderung laut werden, die Menschen massenhaft mit moderner Kunst zu konfrontieren und eine Stadt zu schaffen, »die mit Kunstwerken aufgefüllt ist wie mit Bäumen«. Mit dieser Maßnahme hatte er sich »beträchtliche Auswirkungen auf das emotionale Verhalten der Bevölkerung« versprochen, und er sollte auch nicht enttäuscht werden: Nach dem Aufstellen der Plastiken von Niki de St. Phalle wurden die Zeitungsredaktionen mit Leserbriefen überschüttet, achtzehntausend Aufgebrachte unterstützten mit ihren Unterschriften den Protest, und die Beschädigung der Skulpturen war an der Tagesordnung.

Es gab auch Konzeptionen, die raffinierter waren und nach denen zeitgenössische Kunstwerke, einmal in den öffentlichen Raum gestellt, als Gärmittel für die Geburt eines neuen Menschentypus herhalten sollten. Kunst sei dazu prädestiniert, »die Sicherheit einer konventionellen Erfahrungswelt immer wieder zu irritieren« und »zur Standortbestimmung und Modifizierung des eigenen Bewusstseins und der eigenen Verhaltensweisen beizutragen«. Das Kunstwerk sollte nicht weniger als – Verzeihung, aber ich zitiere ja bloß – »zum Initiator von praktischer Selbsttätigkeit und kritisch-emanzipatorischer Bewusstwerdung des Individuums werden«, und seine »humane Funktion bestünde gerade in der Sichtbarmachung des Spannungsfeldes zwischen der gegenwärtig existierenden und der Visualisierung einer möglichen zukünftigen Wirklichkeit«, um »auf diese Weise Kritik zu stimulieren und fraglose Anpassung zu verhindern«.

So klang der Optimismus der 70er Jahre. Nach der unfreundlichen Aufnahme der Kunstwerke im öffentlichen Raum ließ sich die Frage in den 80ern nicht mehr umgehen: Haben zeitgenössische Werke draußen überhaupt etwas zu suchen, beziehungsweise kann es eine moderne Kunst geben, die mit den Bewohnern einer Stadt friedlich auskommt?

Berliner Miniaturen

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