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V. (Nr. 10.) An Nebridius

Geschrieben im Jahre 389.

An Nebridius.

Inhalt. Nebridius hatte sich ernstlich beklagt, daß Augustinus offenbar einem gemeinsamen Zusammenleben aus dem Wege gehe. Augustinus begründet seine Einsamkeit auf dem Landgute Cassiciacum, weist auf die inneren Freuden des Verkehrs mit Gott hin und lädt schließlich Nebridius ein, zu ihm zu kommen, obwohl er bezweifelt, daß dessen Mutter hierzu ihre Einwilligung geben werde.


1.

Niemals hat eine deiner Bemerkungen in mir einen solchen Aufruhr der Gedanken hervorgerufen wie jene Stelle in deinem letzten Briefe, wo du gegen uns die Klage erhebst, daß wir offenbar zu wenig Sorge für ein gemeinsames Zusammenleben trügen. Ein schwerer Vorwurf, und ließe er sich begründen, ein verhängnisvoller! Aber da offenbar ruhige Überlegung mit Sicherheit lehrt, daß wir hier besser als in Karthago oder in dessen Umgegend unserem Entschlusse gemäß leben können, so weiß ich wirklich nicht, mein lieber Nebridius, wie ich es mit dir machen soll. Soll man dir etwa das bequemste Fahrzeug schicken? Daß du dich ohne Gefahr einer Tragbahre bedienen kannst, bezeugt unser Lucinianus12. Aber ich glaube, daß deine Mutter, die schon deine Abwesenheit nicht ertragen konnte, da du noch gesund warst, sie jetzt, da du kränklich bist, noch viel weniger werde ertragen können. Oder soll ich selbst zu euch kommen? Aber meine hiesigen Freunde können nicht mit mir kommen, und sie zu verlassen, halte ich für Unrecht. Denn du kannst zwar mit deiner eigenen Seele in Frieden leben; aber sie auch so weit zu bringen, macht Mühe genug. Oder soll ich häufig hin- und herreisen und bald bei dir, bald bei ihnen sein? Aber das wäre weder ein Zusammenleben noch ein Leben gemäß meinem Entschlusse. Denn der Weg ist nicht gering, sondern so weit, daß man nicht mehr sagen kann, man habe die ersehnte Ruhe gefunden, wenn man gezwungen ist, ihn öfters zurückzulegen. Dazu kommt noch ein körperliches Unwohlsein, das mich, wie du weißt, hindert zu leisten, was ich will, wenn ich mich nicht gänzlich hüte, mehr zu wollen, als ich kann13.


2.

Sein ganzes Leben lang an Reisen zu denken, die man nicht in Ruhe und Frieden machen kann, geziemt sich also nicht für einen Menschen, der an jene letzte Reise denkt, die Tod genannt wird und an die man, wie du wohl weißt, allein denken sollte. Gott hat zwar einigen wenigen, die er zu Kirchenvorstehern bestimmt hat, verliehen, dieser letzten Reise mit Starkmut gewärtig zu sein, ja sogar sich nach ihr zu sehnen, ebenso verliehen, die Mühseligkeiten anderer Reisen freudig auf sich zu nehmen. Aber nach meiner Meinung erhalten weder jene, die sich zu einem solchen Amte aus Ehrgeiz drängen, noch jene, die als Privatleute ihre Freude an einem übergeschäftigen Leben finden, dieso große Gnade, inmitten des Weltlärms und trotz zerstreuender Gesellschaften und Gespräche jene Vertrautheit mit dem Tode zu gewinnen, die wir wünschen müssen; denn nur in der Ruhe wäre es diesen und jenen gelungen, wie Gott zu werden. Sollte dies unrichtig sein, so bin ich, um nicht zu sagen der törichteste, so doch jedenfalls der feigste unter allen Menschen. Denn wenn mir nicht einige Ruhe und Muße zuteil wird, so kann ich jenes echte Glück weder kosten noch lieben. Ich bedarf also, glaube mir, einer großen Entfernung vom Geräusch der vergänglichen Dinge, damit nicht eine Furcht in mir entstehe, die nur in Herzenstätigkeit, Verwegenheit, eitler Ehrbegierde oder unbesonnener Leichtgläubigkeit ihren Grund hat. Dadurch erlange ich dann auch jene wahre Freude, die mit keiner anderen Freude auch nur annähernd zu vergleichen ist.


3.

Wenn ein solch zurückgezogenes Leben für die menschliche Natur nicht paßt, woher kommt es dann, daß es bisweilen solche Beruhigung mit sich führt? Warum geschieht das um so häufiger, je öfter man im Kämmerchen seiner Seele Gott anbetet? Warum verbleibt dann jene Ruhe auch bei den täglichen Handlungen, wenn man dieses innere Heiligtum verläßt, um an sie heranzugehen? Warum fürchten wir mitunter den Tod nicht, wenn wir von ihm sprechen, sehnen uns aber nach ihm, wenn wir Ruhe haben? Dir sage ich dies, denn nicht jedem möchte ich es sagen, ja dir sage ich es, dessen Geist sich so häufig, wie ich wohl weiß, gen Himmel schwingt; wirst du, da du so oft erfahren hast, welch süßes Leben es ist, wenn die Seele der irdischen Liebe abstirbt, wirst du etwa in Abrede stellen, daß das ganze Leben der Menschen von Furcht befreit werden könne und daß man erst dann mit Recht ein Weiser zu nennen sei? Oder willst du eine solche Gemütsverfassung in Anspruch nehmen, die, wie dir die Überlegung sagt, dir nur zuteil wird, wenn du dich in dein Innerstes zurückziehst? Unter diesen Umständen bleibt nur übrig, daß auch du dich gemeinsam beratest, auf welche Weise wir beisammen leben können. Denn wie du es mit deiner Mutter halten mußt, die dein Bruder Victor gewiß nicht verläßt, weißt du viel besser als ich. Anderes will ich nicht schreiben, um dich von diesem Gedanken nicht abzuwenden.

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