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XVIII. (Nr. 31.) An Paulinus und Therasia
ОглавлениеGeschrieben im Jahre 396.
Die geliebtesten und verehrtesten, wahrhaft heiligen, von Gottes Gnade überfließenden und vortrefflichen Geschwister Paulinus und Therasia grüßt Augustinus im Herrn.
Inhalt. Therasia war die Gemahlin des Paulinus, mit der er sich vor seiner Priesterweihe vermählt hatte. Sie blieb bei ihrem Manne, lebte aber nur als Schwester mit ihm. Augustinus berücksichtigt sie im Verlaufe des Briefes nicht weiter, außer daß er von dem Beispiele für beide Geschlechter spricht, das dieses heiligmäßige Ehepaar gebe. Nach längerer Erklärung der herzlichsten Freundschaft teilt Augustinus mit, daß er Mitbischof des Valerius von Hippo geworden sei, und sucht den Paulinus zu bestimmen, daß er nach Afrika komme. Er sendet ihm seine drei Bücher „Vom freien Willen“ und empfiehlt ihm den Romanianus und andere. Siehe Brief XV dieser Sammlung.
1.
Zwar hätte ich sehr gewünscht, daß mein Brief, mit dem ich auf euer erstes Schreiben antwortete (wenn in der Tat ein Brief von mir die Antwort auf einen von euch genannt werden kann), möglichst bald in die Hände eurer Liebe käme, damit ich trotz meiner Abwesenheit doch schnell auf irgendeine Weise bei euch sein könnte; doch hat mir mein Zögern den Gewinn eines neuen Briefes von euch eingetragen. Wie gütig ist der Herr, der oft unsere Wünsche nicht erfüllt, um uns zu geben, was wir vorziehen würden! Denn anderes hättet ihr nach Empfang meines Briefes geschrieben, und anderes habt ihr jetzt geschrieben, weil ihr ihn noch nicht in Händen hattet. Die Freude, die wir beim Lesen eures letzten Briefes empfanden, hätten wir sicher entbehren müssen, wenn nach unserem Wunsch und entschiedenem Willen unser Brief ohne Verzug zu eurer Heiligkeit gelangt wäre. Nun aber haben wir die doppelte Freude, sowohl euren gegenwärtigen Brief zu besitzen als auch auf eine Antwort hoffen zu dürfen. So kann man uns keine Schuld beimessen, sondern die freigebige Güte des Herrn hat getan, was sie für unsere Sehnsucht am ersprießlichsten hielt.
2.
Die heiligen Brüder Romanus und Agilis, die sozusagen ein mit Gehör und Stimme begabter anderer Brief von euch sind und uns eure Gegenwart in höchst angenehmer Weise ersetzen, jedoch so, daß wir nach euch nur um so größeres Verlangen tragen, haben wir mit großer Freude im Herrn aufgenommen. Denn von welcher Seite oder wann oder wie wäre es euch je möglich oder könnten wir es je verlangen, daß ihr uns schriftlich so vieles mitteiltet, als wir aus ihrem Munde vernommen haben? Dazu kam, was kein Papier wiedergeben kann, daß die Freude der Erzähler sich auch in ihrem Antlitze und in ihren Augen abspiegelte, so daß wir mit unaussprechlicher Freude euch in ihre Herzen eingeschrieben lesen konnten. Noch einen Vorzug hatte dieser Brief: ein beschriebenes Blatt Papier mag noch so viele gute Dinge enthalten, so hat es doch selbst davon keinen Vorteil, obwohl es zum Nutzen anderer entfaltet werden kann. Dieser Brief von euch aber, die Seele der Brüder nämlich, zeigte sich offenbar, als wir im Gespräche mit ihnen lasen, um so glücklicher, je mehr in ihm über euch geschrieben stand. Darum suchten wir an seinem Glücke teilzunehmen, fragten sorgfältig nach allem, was euch betrifft, und schrieben ihn in unser Herz hinein ab.
3.
Eben deshalb haben wir es auch bedauert, daß sie uns sobald verließen, um wieder zu euch zu kommen.Denn erwäget, ich bitte euch, in welchen Widerstreit der Gefühle wir dadurch kamen.Da sie euch eifrig Gehorsam zu leisten begehrten, sollten wir sie schnell ziehen lassen; aber je eifriger sie es begehrten, desto mehr stellten sie uns euer Bild vor Augen.Denn sie gaben dadurch zu erkennen, welche Anziehungskraft euer Herz besitzt. Je gerechter also ihre Forderung war, sie ziehen zu lassen, um so weniger waren wir geneigt, ihr zu entsprechen. O wie unerträglich wäre dieser Widerstreit, wenn wir nicht trotz dieses Abschiedes beisammen blieben, wenn wir nicht Glieder einesLeibes wären, nicht ein Haupt hätten, nicht dieselbe Gnade über uns ausgegossen wäre, wenn wir nicht ein Brot genössen, auf einem Wege wandelten, imgleichen Hause wohnten“103. Denn warum sollen nicht auch wir diese Worte gebrauchen?Ihr erkennt ja wohl, daß sie eurem Briefe entnommen sind. Warum sollten sie mehr euch eigen als mir sein, da sie doch nicht bloß wahr sind, sondern auch unserer Vereinigung mit dem selben Haupte entströmen?Insoweit sie aber etwas enthalten, was euch eigentümlich verliehen ist, liebe ich sie gerade deshalb um so mehr, ja so sehr, daß sie den Weg zu meinem Herzen belagern und kein Wort vom Herzen auf die Zunge kommen lassen, ehe nicht diese Worte gesprochen sind, und zwar möglichst unverfälscht, da es ja eure sind. Heilige, gottgeliebte Brüder, mit uns Glieder eines Körpers, wer sollte zweifeln, daß wir von einem Geiste beseelt sind, wofern er die Liebe kennt, die uns verbindet?
4.
Doch möchte ich gern wissen, ob ihr die körperliche Trennung geduldiger und leichter ertraget als wir. Wenn das der Fall ist, so muß ich gestehen, daß mir diese Geistesstärke an euch nicht gefällt, es sei denn, ihr habt weniger Grund, nach uns Verlangen zu tragen, als wir nach euch.Ich wenigstens wäre mit mir nicht zufrieden, wenn ich die Geduld besäße, die Entfernung von euch erträglich zu finden; denn dann würde ich ein Wiedersehen mit euch nur lässig betreiben. Was kann aber törichter sein, als etwa aus Stärke gleichgültig zu werden? Wie sehr mich aber die Sorge für die Kirche in Anspruch nimmt, kann eure Liebe daraus entnehmen, daß der ganz heiligmäßige Vater Valerius — wie sehr er euch mit uns grüßt und wie sehr er nach euch Verlangen trägt, werden euch die Brüder berichten —, nicht zufrieden, mich zum Priester geweiht zu haben, mir noch die schwerere Bürde der bischöflichen Würde auflud. Seine große Liebe und das inständige Bitten des Volkes brachten mich zum Glauben, daß es der Wille des Herrn sei, und daher fürchtete ich mich sehr, diese Würde auszuschlagen, besonders da gewisse Beispiele der jüngsten Vergangenheit mir alle Entschuldigungen benahmen104. Zwar ist das Joch Christi an und für sich „sanft und seine Bürde leicht“105; wenn mich aber wegen meiner Herzenshärte und Schwachheit diese Fessel schmerzt, diese Last mich drückt, so würde ich sie doch, wenn eure Gegenwart mich tröstete, unbeschreiblich leichter und erträglicher finden. Ihr aber lebet, wie ich höre, was solche Sorgen anbetrifft, frei und ungehindert106. Deshalb ist es wohl keine Unbescheidenheit, wenn ich euch bitte, anflehe, auffordere, nach Afrika zu kommen, das noch mehr durch den Durst nach solchen Männern als an seiner berühmten Trockenheit107 leidet.
5.
Gott weiß es, daß ich nicht bloß um meiner persönlichen Sehnsucht willen, auch nicht bloß wegen jener, die euren frommen Entschluß108 durch uns oder durch die allgemeine Stimme kennen gelernt haben, sondern auch wegen all der anderen, die nichts hören oder das Gehörte nicht glauben, doch aber, was sie erfahren, zu beurteilen vermögen, den dringenden Wunsch hege, ihr möget in dieses Land kommen. Obwohl ihr nämlich Werke des Eifers und der Barmherzigkeit verrichtet, so „sollt ihr doch auch euer Licht vor den Menschen in unseren Gegenden leuchten lassen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater preisen, der im Himmel ist“109. Die Fischer verließen auf den Ruf des Hernn ihre Schifflein und ihre Netze und freuten sich noch in der Erinnerung, alles verlassen zu haben und dem Herrn nachgefolgt zu sein110. Denn in Wahrheit verachtet nur der alles, der nicht nur verachtet, was er haben konnte, sondern auch, was er haben wollte. Was man wünscht, sehen freilich nur Gottes, was man besitzt, sehen auch der Menschen Augen. Aber sonderbarer Weise fesselt, wenn man auch überflüssige und irdische Dinge liebt, doch mehr das, was wir besitzen, als das, was wir erstreben. Warum doch ging jener Jüngling, der den Herrn um Rat gefragt hatte, wie er das ewige Leben erwerben könne, traurig hinweg, als er hörte, er müsse, wenn er vollkommen sein wolle, all das Seinige verkaufen und es unter die Armen verteilen, dann allerdings werde er im Himmel einen Schatz besitzen? Doch aus keinem anderen Grunde, als weil er, wie das Evangelium sagt, großen Reichtum besaß111. Denn etwas anderes ist es, das, was fehlt, sich nicht verschaffen zu wollen, etwas anderes, sich von dem zu trennen, was man bereits besitzt. Auf jenes verzichtet man wie auf eine Speise, dieses wird abgeschnitten wie ein Glied. Wie groß und wie wundervoll ist also die christliche Liebe, die auch zu unseren Zeiten darauf achtet, daß durch das Evangelium mit Freude geschehe, was der Reiche aus dem Mund des Herrn mit Traurigkeit vernommen hat!
6.
Obwohl ich unmöglich es mit Worten aussprechen kann, was ich im Herzen trage und gern aussprechen möchte, so versteht ihr doch bei eurer Klugheit und Frömmigkeit, daß dies nicht euer Ruhm, also kein Menschenlob ist, sondern daß durch diese Worte der Herr in euch gepriesen wird. Denn ihr seid sehr sorgfältig vor dem Feinde auf der Wacht und bemüht euch mit allem Eifer als Jünger Christi, demütig von Herzen und sanftmütig zu sein. Ist es doch nützlicher, mit Demut irdischen Reichtum zu behalten, als ihn mit Stolz preiszugeben. Weil ihr also wohl erkennet, es sei dies nicht euer Ruhm, sondern der Ruhm des Herrn, so sehet ihr auch, wie armselig und geringfügig ist, was ich gesprochen habe. Denn vom Lobe Christi habe ich gesprochen, das nicht einmal Engelszungen gebührend verkündigen können. Diesen Ruhm Christi möchten wir auch unser Volk schauen lassen und in einem Ehepaar beiden Geschlechtern ein Beispiel vorstellen, wie man den Stolz mit Füßen treten müsse und an der Vollkommenheit nicht verzweifeln dürfe. Vielleicht könnt ihr ein größeres Werk der Barmherzigkeit üben, wenn ihr eure Tugenden mit demselben Eifer der Verborgenheit entreißt, mit dem ihr euch bemüht habt, sie zu erwerben.
7.
Den Knaben Vetustinus, der selbst den Gottlosen Mitleid einflößt, empfehle ich eurem Wohlwollen und eurer Liebe. Die Veranlassung seines Unglückes und seiner Wanderschaft werdet ihr von ihm selbst vernehmen. Über seinen Vorsatz, Gott dienen zu wollen, wird sich nach Verlauf einiger Zeit, wenn er ein reiferes Alter erlangt und die Furcht überwunden hat, besser urteilen lassen.
Da ich deine warme Liebe für mich kenne und deshalb bei dir keinen Widerwillen gegen das Lesen befürchte, so schicke ich deiner Heiligkeit und Liebe drei Bücher. Möchte nur der Verfasser der darin behandelten Frage einigermaßen gewachsen sein! Sie handeln nämlich „Vom freien Willen“112. Ich weiß, daß der Bruder Romanianus diese Schriften gar nicht oder nicht vollständig besitzt; doch habe ich durch ihn alle meine Schriften, so weit sie von allgemeinem Interesse sind, wegen deiner Liebe zu mir nicht überbringen, sondern zur Prüfung bezeichnen lassen. Denn er hatte sie bereits alle und trug sie mit sich; doch übersende ich durch ihn Abschriften aus erster Hand. Ich glaube, deine Heiligkeit hat mit dem Scharfblick des Geistes, den dir der Herr verliehen, schon herausgefunden, was dieser Mann Gutes in seinem Herzen trägt und woran es ihm noch infolge seiner Schwäche fehlt. Du wirst, wie ich hoffe, gelesen haben, mit welchem Eifer ich ihn und seinen Sohn deiner Menschenfreundlichkeit und Liebe anempfohlen habe und welch inniges Band mich mit beiden verknüpft. Möge ihnen also der Herr durch dich zu Hilfe kommen! An ihn muß man sein Flehen richten; denn deine Bereitwilligkeit ist mir bekannt.
8.
Von den Brüdern habe ich erfahren, daß du gegen die Heiden schreibst. Wenn wir irgendeinen Anspruch an dein Herz haben, so sende das Buch unverzüglich zur Lektüre. Denn dein Herz ist in solchem Grade das Orakel des Herrn, daß wir ohne Zweifel die erfreulichsten und klarsten Antworten auch auf die weitschweifigsten Einwürfe durch dich empfangen werden. Deine Heiligkeit hat sicherlich auch die Bücher des heiligsten Vaters Ambrosius. Ich vermisse die sehr, die er gegen einige sehr törichte und hochmütige Leute, die behaupten, Christus habe aus den Schriften Platons geschöpft, mit aller Sorgfalt und Ausführlichkeit geschrieben hat113.
9.
Der heiligste Bruder Severus, unser ehemaliger Mitschüler, jetzt Bischof der Kirche von Mileve114, der den Brüdern in seiner Stadt wohlbekannt ist, grüßt eure Heiligkeit gleich uns mit schuldiger Ehrfurcht. Auch alle Brüder, die mit uns dem Herrn dienen, grüßen euch und sehnen sich nach euch. Ihre Sehnsucht nach euch ist so groß wie ihre Liebe zu euch und ihre Liebe so groß wie eure Güte. Das Brot115, das wir senden, wird reich gesegnet werden durch die Liebe und das Wohlwollen, mit dem ihr es in Empfang nehmet. Möge der Herr euch auf ewig vor dieser Welt bewahren, geliebteste, verehrteste, gnädigste Geschwister, die ihr mit Gottes überfließender Gnade reichlich begabt seid.