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XIII. (Nr. 22.) An Bischof Aurelius
ОглавлениеGeschrieben im Jahre 392.
An den Bischof Aurelius.
Inhalt. In Afrika hatte sich der Mißbrauch eingeschlichen, an den Gräbern der Verstorbenen Gastmähler zu halten; das führte gelegentlich zu schwerer Unmäßigkeit33.* Augustinus dringt nun in den Bischof von Karthago, den Primas von Afrika, diesem Unfug entweder durch ein Konzil oder durch eigene Autorität, jedoch auf milde Weise entgegenzutreten. Da der Mißbrauch in ganz Afrika herrsche, so könne keine andere Kirche als Karthago mit der Abstellung den Anfang machen. Weiter handelt er von der Ehrsucht der Kleriker und der ihnen nötigen Demut. — Da Aurelius erst 391 Bischof von Karthago wurde, das 393 unter ihm abgehaltene Konzil aber bereits die Mahlzeiten in der Kirche verbietet34, so muß dieser Brief um 392 geschrieben sein.*
I. 1.
Da ich trotz langer Unschlüssigkeit die Art und Weise nicht finde, in der ich den Brief deiner Heiligkeit beantworten sollte — denn die Zuneigung meines Herzens, die von selbst entstanden, aber durch die Lektüre deines Briefes zur hellen Glut angefacht wurde, beherrscht alles in mir —, so übergebe ich mich Gott, auf daß er gemäß meiner Kräfte in mir wirke und ich so das schreibe, was für uns beide sowohl in Hinsicht auf den Eifer für den Herrn und die Sorge für die Kirche als auch mit Rücksicht auf deinen Vorrang und meine Unterordnung das Rechte ist. Vor allem, wenn du glaubst, daß mein Gebet dir helfe, so mache ich hiegegen nicht nur keine Einwendung, sondern lasse es mir gefallen. Denn da du dies glaubst, so wird mich unser Herr erhören, wenn auch nicht wegen meiner, so doch wegen deiner Gebete. Daß du es gütigst aufgenommen, daß unser Bruder Alypius35 in unserer Genossenschaft geblieben sei, damit er den Brüdern, die die Sorgen dieser Welt vermeiden wollen, ein Vorbild sei, dafür bin ich so dankbar, daß ich es mit Worten nicht auszudrücken vermag. Der Herr vergelte dies deiner Seele! Die ganze Genossenschaft von Brüdern, die bei uns sich zu entfalten beginnt36, liegt dir also so warm am Herzen, daß du für uns trotz der weiten räumlichen Trennung eine Sorgfalt geübt hast, wie nur derjenige tun kann, der dem Geiste nach im vollen Sinne gegenwärtig ist. Darum beten wir aus allen Kräften, daß der Herr mit dir die dir anvertraute Herde schützen und dich nie verlassen wolle, sondern „als Helfer dir beistehe zur rechten Zeit“37 und durch dein bischöfliches Amt seiner Kirche jene Barmherzigkeit zuteil werden lasse, um die ihn Geistesmänner mit Weinen und Seufzen anflehen.
2.
Wisse also, heiligster und mit vollster Liebe zu verehrender Herr, daß wir nicht daran verzweifeln, viel mehr zuversichtlich hoffen, es könne unser Herr und Gott durch das Ansehen der Stellung, die du bekleidest und die du, wie wir vertrauen, nicht dem Fleische, sondern dem Geiste nach übernommen hast, durch das Schwert strenger Konzilsvorschriften und durch deine eigene Strenge viele fleischlichen Lüste und Krankheiten heilen, an denen die Kirche von Afrika in vielen ihrer Glieder leidet und die sie nur in wenigen beseufzt. Denn während der Apostel an einer Stelle mit kurzen Worten drei Gattungen von Lastern, aus denen unzählbare andereLaster hervorgehen, als verabscheuungswürdig und hassenswert bezeichnet, wird doch nur eine dieser Gattungen, nämlich die an zweiter Stelle genannte, in der Kirche mit aller Strenge bestraft; die beiden anderen Gattungen aber, die erste und letzte nämlich, erscheinen den Leuten erträglich, und so kann es nach und nach dahin kommen, daß man sie kaum mehr für Laster ansieht. Das auserwählte Gefäß spricht nämlich: „Wandelt nicht in Fraß und Völlerei, nicht in Hurerei, nicht in Zank und List; sondern ziehet an den Herrn Jesus Christus und pfleget des Leibes nicht zur Erregung der Lüste“38.
3.
Von diesen drei Gattungen werden also Hurerei und Unzucht für ein so großes Verbrechen gehalten, dass keiner des Kirchendienstes, ja nicht einmal der Gemeinschaft der Sakramente für würdig erachtet wird,der sich mit dieser Sünde befleckt hat. Und zwar mit vollem Rechte. Aber warum wird allein diese Sünde so schwer bestraft? Werden doch Schmausereien und Trinkgelage in solchem Grade für erlaubt und gestattet angesehen, daß sie auch zu Ehren der heiligen Märtyrer nicht bloß an Festtagen (und wer sollte das nicht für betrübend halten, der dies mit geistigen Augen sieht?), sondern täglich stattfinden.Wäre dieser Mißbrauch nur schändlich und nicht auch gottesräuberisch, so könnte er nach unserer Ansicht nur unter aller Anspannung der Kräfte der Geduld ertragen werden. Doch wie verhält sich damit die Schriftstelle, in der derselbe Apostel viele Laster und darunter auch die Trunkenheit aufzählt und zum Schlusse sagt: „man solle mit solchen nicht einmal Brot essen“?39 Wenn wir dies aber auch dulden müßten in bezug auf Verschwendung, Vergeudung des Vermögens und bei Gastmählern, die innerhalb der häuslichen Mauern abgehalten werden, und wenn wir auch mit solchen den Leib Christi empfangen, mit denen Brot zu essen uns verboten ist, so werde doch wenigstens von den Gräbern der heiligen Märtyrer, von den Stätten der Tempel, von den Häusern des Gebetes so große Schmach ferngehalten. Denn wer möchte verbieten, daß zu Hause geschehe, was an heiligen Orten Verehrung der Märtyrer heißt?
4.
Wenn Afrika zuerst den Versuch machte, diese Mißbräuche abzuschaffen, so würde es von den übrigen Ländern nachgeahmt zu werden verdienen. Da aber im größten Teile Italiens und in allen oder fast allen anderen Ländern jenseits des Meeres solche Mißbräuche entweder nie vorgekommen sind oder aber, wenn sie aufkamen oder gar schon längere Zeit in Übung waren, durch die Sorgfalt und Strenge heiliger, wahrhaft des künftigen Lebens gedenkender Bischofe unterdrückt oder ausgerottet sind, wie können wir da noch zögern, diese Unsittlichkeit abzustellen, besonders da uns ein so allgemeines Beispiel vor Augen gestellt ist? Wir haben nun zwar einen Mann aus jenen Gegenden zum Bischof, wofür wir Gott großen Dank schuldig sind. Indessen ist er so bescheiden und mild, so klug und eifrig im Herrn, daß bei ihm, auch wenn er aus Afrika wäre, sofort aus der Heiligen Schrift die Überzeugung entstehen müßte, es sei die Wunde zu heilen, die eine zügellose und ausgelassene Gewohnheit geschlagen hat. Aber das Übel ist so schlimm, daß es offenbar nur durch das Ansehen eines Konzils vollständig gehoben werden könnte. Soll aber eine Kirche mit der Heilung des Übels den Anfang machen, so wäre es höchste Anmaßung, beibehalten zu wollen, was die Kirche von Karthago abgestellt hat, wie es jetzt Verwegenheit scheint, ändern zu wollen, was in der Kirche zu Karthago Sitte ist. Konnte man sich aber für eine solche Reform einen besseren Bischof wünschen als den, der schon als Diakon diesen Mißbrauch verabscheute?40
5.
Was aber damals zu beklagen war, das ist jetzt abzuschaffen, nicht mit Härte, sondern, wie geschrieben steht, „im Geiste der Milde und Sanftmut“41. Dein Brief, ein Beweis der wahrhaftesten Liebe, flößt mir solches Vertrauen ein, daß ich mit dir wie mit mir selbst zu reden wage. Nicht mit Härte also, nicht in rauher und gebieterischer Weise soll nach meiner Ansicht dieser Unfug abgestellt werden, sondern mehr durch Belehrung als durch Anordnung, mehr durch Ermahnung als durch Drohung. Denn so muß man mit der großen Menge umgehen, Strenge ist hingegen bei den Sünden einzelner in Anwendung zubringen. Wenn wir aber drohen, so muß es mit Schmerz geschehen, indem wir auf die nach der Heiligen Schrift bevorstehende Strafe hinweisen, damit man nicht uns wegen unserer Gewalt, sondern Gott um unserer Worte willen fürchte. So werden zunächst die Geistlichen und die, die ihnen nahestehen, zur Einsicht kommen; durch ihr Ansehen und ihre überaus liebreiche und eindringliche Ermahnung wird dann auch der Widerstand des übrigen Volkes gebrochen werden.
6.
Da aber diese Trinkgelage und verschwenderischen Gastmähler auf den Friedhöfen von dem fleischlich gesinntenund unwissenden Volke nicht bloß für Verehrung der Märtyrer, sondern auch für einen Trost der Verstorbenen gehalten werden, so können die Leute, wie mir scheint, auf folgende Weise eher von diesem schändlichen Unfug abgebracht werden. Man verbietet ihnen zwar diesen gemäß der Heiligen Schrift; die Opfergaben für die Seelen der Entschlafenen42 jedoch, die, wie wir fest glauben, etwas helfen, läßt man an ihren Gräbern bestehen, allerdings nicht zu reichlich, und reicht sie ohne Schaustellung und mit aller Bereitwilligkeit denen dar, die darum bitten, verkauft sie jedoch nicht. Will jemand frommen Gefühles eine Summe Geldes opfern, so soll er es persönlich den Armen spenden. So brauchen die Leute offenbar nicht die Gräber der Ihrigen zu vernachlässigen, was nicht geringes Herzeleid verursachen könnte, und in der Kirche werden nur Gedächtnisfeiern begangen, die mit Ehrbarkeit und Frömmigkeit vereinbar sind. So viel vorläufig über die Schmausereien und Trinkgelage.
II. 7.
Was soll ich aber von Streitsucht und Überlistung sprechen, da schwere Laster dieser Art in unserem Stande, nicht unter dem Volke vorkommen? Die Mutter dieser Krankheiten ist aber der Stolz und die Begierde nach Menschenlob, die oft auch zur Heuchelei führt. Diesem Laster aber kann man nur dadurch entgegenarbeiten, daß man, wie so häufig die Stellen in den göttlichen Büchern es verlangen, Furcht und Liebe Gottes einflößt. Doch muß auch derjenige, der dies tut, sich selbst als Meister der Geduld und Demut erweisen, indem er weniger für sich in Anspruch nimmt, als ihm entgegengebracht wird; jedoch darf er von denen, die ihn ehren, ebensowenig alles als gar nichts annehmen, sondern was er an Ehre und Lob empfängt, das muß er in Empfang nehmen, nicht wegen seiner selbst, da er ganz vor Gott wandeln und das Menschliche verachten soll, sondern wegen derer, für die er nicht Sorge zu tragen vermag, wenn er allzusehr herabgewürdigt ist. Darauf bezieht sich das Wort: „Niemand verachte deine Jugend“43, das derselbe ausgesprochen hat, der an einer anderen Stelle sagt: „Wenn ich den Menschen gefallen wollte, so wäre ich Christi Diener nicht“44.
8.
Es ist etwas Erhabenes, sich über Ehre und Menschenlob nicht zu freuen, sondern sowohl allen überflüssigen Prunk abzuschütteln, als auch das, was in dieser Beziehung als notwendig beibehalten wird, ganz zum Nutzen und Heil derer zu verwenden, von denen man geehrt wird. Nicht umsonst heißt es: „Gott wird die Knochen der Menschen, die gefallen wollen, zermalmen“45. Denn was ist krankhafter, was so ohne alle Standhaftigkeit und Kraft, die durch Knochen versinnbildet werden, als ein Mann, der durch hämische Nachrede außer Fassung gebracht wird, obwohl er weiß, daß das Gerede unwahr ist? Kein Schmerz würde wegen solch nichtiger Veranlassung das Innere der Seele zerwühlen, wenn nicht Lobbegierde die Knochen zermalmte. Bei dir setze ich Geisteskraft voraus. Darum sage ich eigentlich für mich, was ich hier mit dir bespreche; doch beliebt es dir offenbar, mit mir die Schwierigkeiten zu erwägen. Denn nur wer diesem Feinde den Krieg erklärt hat, fühlt dessen Kraft; denn wenn es auch für manchen leicht ist, verweigerten Lobes zu entbehren, so ist es doch schwer, sich an ihm nicht zu ergötzen, wenn es gespendet wird. Und doch muß unser Herz so sehr in Gott versunken sein, daß wir, falls das Lob unverdient ist, es immer zurückweisen; man könnte sonst zur Ansicht kommen, es sei etwas an uns, was wir nicht an uns haben, oder es sei unser Eigentum, was doch Gottes ist, oder man könnte loben, was uns zwar nicht abgeht, ja was wir vielleicht im Überfluß haben, was aber keineswegs Lob verdient. Dahin gehören alle Güter, die wir mit den Tieren oder mit gottlosen Menschen gemeinsam besitzen. Wenn wir aber mit Recht und Gottes wegen gelobt werden, so sollen wir denen Glück wünschen, die an wahrhaft Gutem Gefallen finden, aber nicht uns selbst, weil wir den Menschen gefallen, sondern insofern wir vor Gott so beschaffen sind, wie das Lob der Leute es voraussetzt, und dies nicht uns, sondern Gott zugeschrieben wird, von dem alle Gaben kommen, die mit Recht und in Wahrheit gelobt werden. Das sage ich mir selbst alle Tage vor, oder vielmehr derjenige sagt es mir, von dem alle heilsamen Ermahnungen stammen, mögen sie sich nun in der Heiligen Schrift vorfinden oder sich im Innern der Seele bemerkbar machen. Dennoch ist der Kampf mit dem Gegner heiß, und oft werde ich in ihm verwundet, da ich mir die Freude über das empfangene Lob nicht nehmen kann.
9.
Wenn auch, was ich jetzt geschrieben habe, für deine Heiligkeit nicht notwendig ist — du mögest nun in dieser Beziehung noch mehr und Nützlicheres erwägen oder bei deiner Heiligkeit einer solchen Arznei überhaupt nicht bedürfen —, so hat es doch wenigstens den Zweck, daß du hierdurch meine Verkehrtheit kennen lernest und erfahrest, in welcher Richtung du um meiner Armseligkeit willen zu Gott beten sollst. Dies mit allem Eifer zu tun, darum flehe ich durch die Menschheit dessen, der das Gebot gegeben hat, daß einer des anderen Last trage. Vieles habe ich aus meinem Leben und von meinem Verhalten zu beweinen, was nicht auf brieflichem Wege zu dir gelangen soll: keine andere Vermittlung soll zwischen meinem und deinem Herzen sein als mein Mund und dein Ohr. Wenn aber der uns so verehrungswürdige und von uns allen von ganzem Herzen geliebte alte Saturninus, von dessen wahrhaft brüderlicher Zuneigung und Hingebung gegen dich ich bei meiner Anwesenheit Zeuge war, bei guter Gelegenheit uns mit seinem Besuche beglücken wird, so wird bei seiner Heiligkeit und seinem geistlichen Eifer meine Besprechung mit ihm nur ein Gespräch mit dir ganz oder doch beinahe ersetzen. Mögest du ihn mit uns darum ersuchen und es uns auswirken, das flehe ich mit so dringenden Bitten, daß sie sich gar nicht in Worte kleiden lassen. Denn die Leute zu Hippo fürchten es allzusehr, wenn ich mich so weit von hier entferne, und wollen mir nicht so viel trauen, wie ich euch46.
Daß durch deine Vermittlung und Freigebigkeit den Brüdern47 ein Grundstück geschenkt worden sei, haben wir schon vor dem Empfange deines Briefes durch unseren heiligen Bruder und Mitknecht Parthenius erfahren und auch viel anderes von ihm gehört, was wir mit Freude vernahmen. Der Herr wird verleihen, daß auch das übrige, was wir noch ersehnen, in Erfüllung gehe.