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ОглавлениеIV. (Nr. 9.) An Nebridius
Geschrieben im Jahre 389.
An Nebridius.
Inhalt. Augustinus erwidert auf die Frage des Nebridius, in welcher Weise die Geisterwelt den Menschen Gedanken und Träume eingeben könne. Er will die Frage nicht lösen, sondern nur ihre Lösung vorbereiten. Vorzüglich wird auf den innigen Wechselverkehr zwischen Leib und Seele hingewiesen.
1.
Obwohl du sonst mein Herz durch und durch kennst, so weißt du vielleicht doch nicht, wie sehr ich wünschte, deiner Gegenwart mich erfreuen zu dürfen. Doch wird mir sicherlich Gott diese große Gunst zur rechten Zeit gewähren. Ich habe dein gefälliges Schreiben gelesen, in dem du dich beklagst, daß du einsam seiest, verlassen sogar von deinen Freunden, mit denen doch das Leben am angenehmsten ist11. Was soll ich dir hierauf antworten, als was du ohne Zweifel ohnehin tust? Ziehe dich in dein Inneres zurück und erhebe dein Herz nach Kräften zu Gott! Dort triffst du dann auch uns mit größerer Sicherheit, nicht vermöge körperlicher Vorstellungen, deren wir uns jetzt bedienen müssen, wenn wir uns erinnern wollen, sondern vermöge der Erkenntnis, daß unsere Vereinigung unabhängig von der Örtlichkeit ist.
2.
Da ich nun deine Briefe durchging, auf die ich ohne Zweifel schon geantwortet habe, zumal du so wichtige Fragen in ihnen angeregt hast, machte mir jener Brief nicht wenig zu schaffen, in dem du fragst, wie es denn geschehe, daß uns von höheren Mächten und bösen Geistern Träume und Gedanken eingegeben werden. Es ist dies in der Tat eine wichtige Angelegenheit, und es wird dir gemäß deiner Einsicht auch sofort klar sein, daß die Antwort hierauf nicht in einem Briefe, sondern in mündlicher Unterredung oder in einer eigenen Schrift erfolgen kann. Doch will ich versuchen, vorher einige Hauptgedanken über diesen Gegenstand deinem Scharfsinne zu unterbreiten, damit du entweder selbst die notwendigen Folgerungen ziehst oder wenigstens nicht an der Möglichkeit verzweifelst, zu einer wahrscheinlichen Lösung dieser Frage zu gelangen.
3.
Nach meiner Meinung nämlich hat jede Gemütsbewegung Einfluß auf den Körper. Sind die Gemütsbewegungen heftiger, so machen sie sich auch durch die Sinne, die mitunter so träge, so langsam sind, bemerkbar, z. B. wenn wir Zorn, Trauer oder Freude empfinden. Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß auch Gedanken, die sich sonst nicht im Körper bemerklich machen, dennoch durch Vermittelung der Geister in Luft und Äther Einfluß auf ihn gewinnen können, da diese sehr scharfe Sinne haben, so scharfe, daß die unserigen im Vergleiche mit den ihrigen kaum Sinne zu nennen sind. Die Spuren also, die eine Gemütsbewegung gewissermaßen im Körper zurückläßt, können auch dauernd werden und so einen gewissen Zustand begründen. Werden diese Spuren nun heimlich berührt und gereizt, so erzeugen sie in uns Gedanken und Träume, nach dem Willen dessen, der sie berührt und gereizt hat; und dies geschieht mit erstaunlicher Leichtigkeit. Zwar haben ja auch wir mit unseren irdischen und höchst schwerfälligen Leibern in gewissen Künsten, z. B. im Spielen musikalischer Instrumente, in der Seiltänzerei oder in anderen unzählbaren Gaukeleien, beinahe unglaubliche Leistungen aufzuweisen; die Annahme aber ist keineswegs ungereimt, daß jene mit einem ätherischen oder Luftleibe versehenen Geister mit noch viel größerer Leichtigkeit in unseren Leibern, die sie von Natur aus zu durchdringen vermögen, alles, was sie wollen, in Bewegung setzen, ohne daß wir es merken, aber doch so, daß wir dabei etwas erleiden. Wir spüren es ja auch nicht, inwiefern uns der Überfluß an Galle zu öfterem Zorne antreibt; und doch veranlaßt dazu uns eben diese überschüssige Galle, die durch unser Zürnen entstanden ist.
4.
Willst du uns dieses Gleichnis nicht so im Vorbeigehen gelten lassen, so erwäge es in deinen Gedanken, so viel du kannst; zürnt man doch immer, wenn dem Geiste sich ein Hindernis darbietet, zu tun und zu vollbringen, was ihn gelüstet. Zorn ist also nach meiner Meinung ein heftiges Verlangen, hinwegzuräumen, was sich dem leichten Vollbringen unserer Handlungen entgegenstellt. Darum zürnen wir häufig nicht nur über Menschen, sondern über die Feder, z. B. beim Schreiben, und zerreißen und zermalmen sie; ebenso verfahren auch die Spieler mit den Würfeln, die Maler mit den Pinseln, kurz jeder mit dem Werkzeuge, das ihm nach seiner Ansicht ein Hindernis in den Weg legt. Die Ärzte versichern nun, daß durch häufige Zornesausbrüche sich die Galle vermehre. Die Vermehrung der Galle aber bewirkt wiederum, daß wir leichthin und fast ohne Grund in Zorn geraten. So dient, was der Geist durch seine Erregung am Körper bewirkt hat, andererseits dazu, auch ihn wieder in Erregung zu versetzen.
5.
Diese Fragen ließen sich sehr ausführlich behandeln und durch viele tatsächliche Belege zu einem sicheren, vollkommenen Abschlusse bringen. Stelle aber diesen Brief mit jenem zusammen, den ich dir vor kurzem über die Phantasiegebilde und über die Erinnerung geschrieben habe, und erwäge ihn recht sorgfältig! Denn aus deiner Antwort schien mir hervorzugehen, daß du ihn nicht ganz verstanden hast. Wenn du also mit dem Briefe, den du jetzt empfängst, das vergleichest, was dort gesagt ist von einer gewissen natürlichen Kraft der Seele, in ihren Gedanken einen beliebigen Gegenstand sich zu vergrößern oder zu verkleinern, so wäre es auch denkbar, daß körperliche Gestalten, die wir nie gesehen haben, in Gedanken oder in Träumen uns vor die Seele treten.