Читать книгу Ausgewählte Briefe - Augustinus von Hippo - Страница 14

Оглавление

IX. (Nr. 14.) An Nebridius

Geschrieben im Jahre 389.

An Nebridius. Inhalt. Nebridius hatte gefragt, warum die Sonne so sehr von den übrigen Gestirnen sich unterscheide. Augustinus erwidert durch den Hinweis auf die Verschiedenheit der Individuen in derselben Gattung und weist schließlich der Sonne eine ähnliche Stellung unter den Gestirnen an, wie sie Christus unter den Menschen einnehme. Dies führt ihn darauf, auch die Frage des Nebridius kurz zu beantworten, ob Christus nur die menschliche Natur im allgemeinen oder die Natur eines jeden einzelnen Menschen angenommen habe.


1.

Ich ziehe es vor, deine letzten Briefe zu beantworten, nicht als ob ich deinen früheren Anfragen keine Aufmerksamkeit schenken wollte oder als ob sie mir geringere Freude gemacht hätten, sondern weil mir ihre Beantwortung größere Schwierigkeiten macht, als du vermutest. Du hast zwar verlangt, ich solle dir einen längeren Brief senden, worunter du einen sehr langen verstehst; doch haben wir nicht so viel Muße, als du meinst und wir immer — du weißt es! — gewünscht haben und noch wünschen. Frage nicht, warum es sich so verhält. Leichter könnte ich erklären, was mich hindert, als warum es mich hindert.


2.

Du verlangst in deinem Briefe zu wissen, woher es wohl komme, daß du und ich, obwohl wir zwei gesonderte Wesen sind, in so vielen Stücken das gleiche tun, während die Sonne nicht das gleiche tut wie die übrigen Gestirne; du wünschest, ich möchte den Grund hiervon angeben. Also — wir tun das gleiche; auch die Sonne tut vieles gemeinsam mit den übrigen Gestirnen. Sie tut es nicht, wir auch nicht. Du gehst, und ich gehe; sie bewegt sich, und die Sterne bewegen sich auch. Wir beide wachen; Sonne und Gestirne leuchten. Wir halten miteinander eine Erörterung, Sonne und Gestirne ihren Kreislauf, obwohl geistigeTätigkeiten dem, was wir sinnlichwahrnehmen, durchaus nicht zu vergleichen sind. Wenn du aber, wie billig, Geist mit Geist vergleichest, so ist mehr das gleiche Denken und Sinnen oder andere Tätigkeiten, wofern wir sie lieber erwähnen und sie als geistige gelten lassen ,ins Auge zu fassen, und dann sind die Gestirne ebenso wie die Menschen zu beurteilen. Übrigens kann auch bei körperlichen Bewegungen, wenn du nach deiner Gewohnheit sie sorgfältig beachtest, nie von zweien das gleiche geschehen. Oder tun wir beide wohl dasselbe, wenn wir gemeinschaftlich spazieren gehen? Das kannst du bei deiner Besonnenheit sicher nicht meinen. Notwendig geht der von uns, der hierbei nördlicher geht, dem anderen voran oder hinter ihm, ohne daß man es merkt.Wenn ich jedoch nicht irre, so achtest du mehr auf die geistige als auf die sinnliche Tätigkeit. Wenn wir von Norden nach Süden gehen, so kann doch unsere Bewegung ebensowenig die gleiche sein wie unser Pulsschlag ,unsere Gestalt oder unser Gesichtsausdruck, mögen wir auch noch so eng uns aneinander halten und uns aufdenselben glatten Marmor oder auf dasselbe glatte Elfenbein stützen. Setze die Söhne des Glaucus an unsere Stelle, es ändert sich gar nichts. Zwillinge, mögen sie auch noch so ähnlich sein, haben doch ebenso ihre eigenen ihnen eigentümlichen Bewegungen, wie sie auch allein, jeder für sich, geboren werden mußten.


3.

Aber, so kannst du einwenden, das wird nur durch begriffliches Denken bemerklich; der Unterschied zwischen der Sonne und den Gestirnen aber ist auch für die Sinne unleugbar und augenscheinlich. Wenn du mich zwingst, das Größenverhältnis zu berücksichtigen, so weißt du, wieviel es hier auf die Entfernung ankommen soll und wie jene Augenscheinlichkeit sich in große Ungewißheit verliert. Aber ich will keine Sinnestäuschung in dieser Beziehung annehmen, da ich an eine solche keineswegs glaube. Denn wessen Sinne haben sich über die Größe jenes Nävius getäuscht, der einen Fuß größer war als der bisher größte, der sechs Fuß maß? Mir scheint, du habest dich zu sehr darauf verlegt, einen ihm gleichen aufzuspüren, und du habest, da dein Suchen erfolglos geblieben, nun von unserem Briefe solche Länge verlangt. Wenn nun auf Erden ausnahmsweise solche Riesengestalt sich findet, dann dürfen wir uns wohl über eine ähnliche Erscheinung am Himmel nicht wundern. Wenn es dir aber Bedenken macht, daß außer der Sonne kein anderes Gestirn den Tag erhellt, so bedenke doch bitte: Hat sich nicht auch der Mensch, den Gott als seinen Sohn anerkannte, in ganz anderer Weise als etwa die übrigen Heiligen und Weisen den Menschen in ganz besonderer Herrlichkeit offenbart? Vergleichst du ihn mit anderen Weisen, so ergibt sich ein viel größerer Unterschied als der, der zwischen Sonne und den Sternen besteht. Achte recht sorgfältig auf diesen Vergleich! Es wäre bei deinem ausgezeichneten Scharfsinne nicht unmöglich, daß wir hier im Vorübergehen eine von dir über die Menschheit Christi aufgeworfene Frage beantwortet haben.


4.

Du fragst ferner, ob jene höchste Wahrheit und Weisheit, jenes Urbild aller Dinge, durch das alles geschaffen wurde und das unsere Religion als den Sohn Gottes erklärt, nur die menschliche Natur im allgemeinen oder die Natur eines jeden einzelnen Menschen angenommen habe. Das ist eine Frage von nicht geringer Wichtigkeit. Indessen scheint mir, daß nur die menschliche Natur überhaupt, nicht gerade deine oder meine Natur, den Menschen ausmache, daß aber im Laufe der Zeit die menschliche Natur in verschiedenen Menschen in verschiedener Weise zur Geltung gekommen sei. Da aber diese Sache sehr schwer zu erklären ist, so weiß ich nicht, durch welches Gleichnis sie erhellt werden könnte, wenn wir nicht zu den in unserer Seele ruhenden Begriffen unsere Zuflucht nähmen. So ist in der Geometrie die Natur eines Winkels oder eines Vierecks immer dieselbe. So oft ich also einen Winkel zeigen will, habe ich es immer mit einer und derselben Natur des Winkels zu tun. Auch könnte ich kein Viereck zeichnen, wenn ich nicht dabei auf die Beschaffenheit der vier Winkel achtete. So ist jeder Mensch mit der einen Natur erschaffen, durch die man ihn als Menschen erkennt. Zum Begriff eines Volkes aber gehört zwar auch die eine menschliche Natur, aber nicht die eines einzelnen Menschen, sondern die der Menschen überhaupt. Wenn also Nebridius, wie es ja auch in Wirklichkeit ist, ein Teil dieses Ganzen ist und jedes Ganze aus Teilen besteht, so müßte wohl Gott, der Weltenschöpfer, auch die Natur der einzelnen Teile annehmen. Da diese aber die Natur aller Menschen ist, so bezieht sie sich nicht auf jeden einzelnen Menschen, obwohl alles auf wunderbare Weise im Zusammenhange steht17. Doch du wirst wohl mit größerer Ruhe hierüber nachdenken. Begnüge dich inzwischen mit dem, was ich geschrieben; denn ich habe beinahe schon die Länge des Nävius übertroffen.

Ausgewählte Briefe

Подняться наверх