Читать книгу Ausgewählte Briefe - Augustinus von Hippo - Страница 20

XV. (Nr. 27.) An Paulinus

Оглавление

Geschrieben im Jahre 395.

Seinen wahrhaft heiligen und ehrwürdigen Herrn, den mit vorzüglichem Lobe in Christus zu preisenden Bruder Paulinus begrüßt Augustinus im Herrn.

Inhalt. Paulinus, der spätere Bischof von Nola, war 393 zu Barcelona zum Priester geweiht worden und hatte sich 394 nach Mailand zum heiligen Ambrosius begeben. Wahrscheinlich befand er sich noch in dieser Stadt, als Augustinus gegen 395 den folgenden Brief an ihn schrieb. Er enthält Versicherungen der innigsten Freundschaft, eine Anempfehlung des Überbringers des Briefes und seines Sohnes und schließlich ein Versprechen, für Paulinus eine Lebensbeschreibung des Alypius zu verfassen.


1.

O guter Mann und guter Bruder! Du warst meiner Seele entschwunden. Zwar sage ich ihr, sie soll es dulden, daß du noch meinen Augen entzogen bist, aber sie gehorcht mir kaum, ja gar nicht. Oder duldet sie etwa deine Abwesenheit? Warum peinigt mich dann die Sehnsucht nach dir in meiner innersten Seele? Denn wenn ich körperliche Schmerzen litte, die die Seelenruhe nicht stören, so könnte man mich mit Recht sie ertragen heißen. Da ich es aber nicht mit Gemütsruhe trage, dich nicht zu sehen, so ist es unerträglich, vom „Ertragen“ zu sprechen. Da du aber ein so hervorragender Mann bist, so wäre es vielleicht noch unerträglicher, wenn man deine Abwesenheit ertragen könnte. Es ist also gut, daß ich dies nicht mit Gleichmut ertragen kann; denn könnte ich dies, so würde man mich vielleicht nicht mit Gleichmut ertragen. Seltsam ist, aber trotzdem wahrhaft diese meine innere Empfindung: ich empfinde Schmerz, daß ich dich nicht sehe, und doch tröstet mich gerade mein Schmerz. Deshalb mißfällt mir die Geistesstärke, mit der man die Abwesenheit guter Menschen, wie du einer bist, erträgt. Denn wir sehnen uns ja auch nach dem künftigen Jerusalem, und je ungeduldiger unsere Sehnsucht nach ihm ist, um so geduldiger ertragen wir alles um seinetwillen. Wer kann sich also nicht freuen, wenn er dich sieht, wer somit auch nicht Schmerz empfinden, wenn er dich nicht sieht? Ich kann keines von beiden, und wenn ich es könnte, wäre es ein abscheuliches Können; es freut mich, daß ich es nicht kann, und in dieser Freude liegt einiger Trost. In meinem Schmerze tröstet mich also weniger die Stillung als vielmehr die Erwägung des Schmerzes. Tadle mich bitte nicht mit deinem heiligen Ernste, den du vor mir voraus besitzest, und behaupte nicht, mein Schmerz, dich noch nicht zu kennen, sei unbegründet, da du mir doch das Innerste deines Herzens, das ist dich selbst, zu schauen gegeben habest. Denn nimm doch den Fall an, ich hätte dich irgendwo in deiner Geburtsstadt auf Erden als meinen Bruder und Freund und als einen so ausgezeichneten Mann im Herrn kennen gelernt: meinst du wohl, ich würde dann keinen Schmerz empfinden, wenn es mir nicht auch gestattet wäre, dein Haus kennen zu lernen? Wie sollte es mir nun nicht leid tun, dich noch nicht von Angesicht zu kennen, da doch dieses das Haus deiner Seele ist, die ich wie meine eigene kenne?


2.

Denn ich habe deinen Brief gelesen, der von Milch und Honig fließt und die Einfalt deines Herzens offenbart, in der du den Herrn suchst, indem du in Liebe seiner gedenkest; Ehre und Lob bringt er dem Herrn dar. Gelesen haben ihn auch meine Brüder, und sie werden nicht müde, sich zu freuen über die so unaussprechlich reichlichen und herrlichen Gaben Gottes, die du besitzest. Alle die ihn gelesen haben, reißen andere zur Bewunderung hin, denn sie wurden selbst hingerissen, da sie ihn lasen. Wie süß ist der Wohlgeruch Christi, und wie unaussprechlich atmet er aus deinem Briefe! Da dieser Brief einen Blick in dein Herz gestattet, wie sehr treibt er da uns an, dich aufzusuchen! Zeigt er doch nicht bloß dein Angesicht, sondern erweckt auch Sehnsucht nach dir! Ersetzt er uns aber in gewissem Grade deine Gegenwart, so gestattet er uns doch keineswegs, deine Abwesenheit zu ertragen. Es lieben dich alle wegen dieses Briefes und verlangen, von dir geliebt zu werden. Gelobt und gepriesen wird Gott, durch dessen Gnade du solche Vorzüge besitzest. Da64 wird Christus angefleht, dir in deinem Streben, bei ihm bleibende Wohnung zu finden, Winde und Meere günstig zu machen. Da sehen die Leser eine Gattin65, die ihren Gatten nicht zur entnervenden Wollust verführt, sondern seinen Gliedern neue Kraft einflößt. Sie, die mit dir zur Einheit verschmolzen und mit um so stärkeren Geistesbanden dir verknüpft ist, je keuscher diese Bande sind, grüßen wir mit der eurer Heiligkeit schuldigen Hochachtung in dir allein. Da werden die Zedern des Libanon gefällt und in den Bau der Arche mit dem Bindemittel der Liebe gefügt, so daß sie, ohne zu faulen, die Wogen dieser Welt durchschneiden. Da wird die Ehre verachtet, damit man sie erlange, die Welt verlassen, damit man sie erobere. Da werden die kleinen wie die großen Kinder Babylons an die Felsen geschleudert, als da sind die Laster der Menschenfurcht und des weltlichen Stolzes.


3.

Diese und ähnliche höchst erfreuliche und heilige Bilder zeigt dein Brief den Lesern; es ist ein Brief unverfälschten Glaubens, guter Hoffnung, reiner Liebe. Wie flößt er uns deinen Durst, die Sehnsucht und das Schmachten deiner Seele nach den Vorhöfen Gottes ein! Wie atmet er die reinste Liebe! Wie glüht er von dem Reichtume eines aufrichtigen Herzens! Wie dankt er Gott! Welche Gnaden erfleht er von Gott! Zeigt er mehr Freundlichkeit oder mehr Feuer, mehr Licht oder mehr Fruchtbarkeit? Wie kommt es, daß er uns so beruhigt und doch so begeistert, daß er so reichlichen Regen spendet und doch voll Sonnenschein ist? Was, ich bitte dich, soll ich dir dafür zur Vergeltung bieten, als dass ich ganz der deine bin in dem, dem du ganz angehörst? Wenn dies zu wenig ist, nun — mehr habe ich wenigstens nicht. Wenn es mir aber nicht zu wenig scheint, so bist du selbst daran schuld, da du mich in deinem Briefe mit solchen Lobsprüchen zu überschütten beliebt hast; es wäre ein Zeichen von Ungläubigkeit gegen dich, wenn ich es für zu wenig hielte, nun mich selbst dir zum Gegengeschenke zu machen. Ich schäme mich zwar, so viel Gutes von mir zu glauben; doch dir nicht zu glauben, ist mir noch unangenehmer. Nur das bleibt mir übrig: Ich will mich nicht für das halten, was du meinst, da ich es nicht erkenne; ich will aber glauben, daß du mich liebst, weil ich dies fühle und sehr wohl erkenne. Auf diese Weise werde ich weder leichtsinnig sein noch undankbar gegen dich. Und wenn ich mich dir ganz zum Geschenk mache, so ist es nicht zu wenig; denn ich schenke dir den, den du so innig liebst, den, der zwar nicht so ist, wie du meinst, für den du aber betest, daß er ein solcher werde. Und das kannst du nicht genug tun, damit du nicht etwa eine zu geringe Vervollkommnung an mir wünschest, weil du mich für etwas hältst, was ich nicht bin.


4.

Sieh, es ist mein teuerster Freund, mein Vertrautester aus früher Jugend, der diesen Brief deiner Erhabenheit und ausgezeichneten Liebe überbringt. Sein Name66 steht in meiner Schrift „Von der Religion“, die deine Heiligkeit, wie aus dem Briefe ersichtlich ist, sehr gern liest; sie ist dir ja durch die Empfehlung jenes großen Mannes67, der sie dir zugesendet hat, noch angenehmer geworden. Doch möchte ich nicht, daß du diesem meinem vertrauten Freunde Glauben schenkest, wenn er etwa zu meinem Lobe spricht. Denn ich habe bemerkt, daß auch er häufig, nicht in der Absicht zu lügen, sondern aus liebevoller Zuneigung, sich in seinem Urteile täuscht und meint, ich hätte etwas schon empfangen, während ich doch den Mund meines Herzens weit öffnen würde, um es zu empfangen. Und wenn er schon mir ins Angesicht in seiner Freude mehr Gutes als Wahres redet, wer könnte nicht daraus schließen, wie er es erst in meiner Abwesenheit machen werde? Von meinen Büchern aber wird er deinem verehrungswürdigen Eifer eine Abschrift verschaffen. Denn ich wüßte nicht, irgendetwas an die Adresse derer, die außerhalb der Kirche sind, noch an die der Brüder geschrieben zu haben, was sich nicht in seinem Besitze befände. Beim Lesen aber, mein heiliger Paulinus, möge dich das, was die ewige Wahrheit durch meine Armseligkeit spricht, nicht so entzücken, daß du auf das, was ich selbst rede, zu wenig achtest. Denn während du das Gute und Wahre, das mir gegeben ist und das ich nur austeile, eifrig genießest, könntest du sonst für die Sünden und Fehler, die ich selbst begehe, zu wenig beten. Aus dem, was dir bei einiger Aufmerksamkeit mißfallen wird, erkennt man mich selbst; gefällt dir aber durch die dir verliehene Gnade des Heiligen Geistes etwas wohl in meinen Büchern, so ist dafür derjenige zu lieben und zu loben, „bei dem die Quelle des Lebens ist und in dessen Lichte wir das Licht schauen werden“68, „nicht in Gleichnissen, sondern von Angesicht zu Angesicht, während wir jetzt nur in Gleichnissen sehen“69. Bei dem also, was ich selbst vom alten Sauerteig hervorgebracht habe, verurteile ich mich selbst mit Schmerzen, so oft ich es beim Lesen bemerke; habe ich aber etwas gesagt in der Kraft des von Gott geschenkten ungesäuerten Brotes der Reinheit und Wahrheit, so frohlocke ich mit Zittern. Denn was haben wir, was wir nicht empfangen hätten? Aber freilich ist der, der mehr und größere Gaben Gottes besitzt, besser als der, der weniger und geringere besitzt. Wer wollte das leugnen? Hingegen ist es wiederum besser, selbst für eine kleine Gabe Gott selbst zu danken als zu wünschen, für sich selbst den Dank wegen einer großen Gabe in Empfang zu nehmen. Damit ich dies immer von Herzen bekenne und mein Herz nie mit meiner Zunge in Widerspruch stehe, darum bete für mich, o Bruder! Bete, ich bitte dich, daß ich nicht gelobt sein will, sondern lobpreisend den Herrn anrufe und so vor meinen Feinden Rettung erlange70.


5.

Noch aus einem anderen Grunde sollst du diesen Bruder recht herzlich lieben: er ist nämlich ein Verwandter des ehrwürdigen und wahrhaft seligen Bischofs Alypius71, dem du von ganzem Herzen zugetan bist, und zwar mit Recht. Denn wer von diesem Manne hoch denkt, der ist der großen Barmherzigkeit, der wunderbaren Gaben Gottes eingedenk. Als er darum dein Ansuchen gelesen hatte, in dem du das Verlangen ausgedrückt hattest, er möge dir seine Lebensgeschichte aufschreiben, so wollte er es zwar tun aus Rücksicht auf dein Wohlwollen; doch seine Bescheidenheit hielt ihn davon zurück. Da ich ihn so im Kampfe zwischen der Liebe und der Demut sah, nahm ich die Last ihm ab und legte sie auf meine Schultern; er hat mir auch brieflich den Auftrag dazu gegeben. Ich will also mit Gottes Hilfe schleunig den ganzen Alypius dir ins Herz einprägen; fürchtete ich doch dies vor allem, er möchte sich scheuen, alle ihm vom Herrn verliehenen Gaben aufzudecken, damit nicht etwa jemand, der die Sache nicht recht auffaßt — denn jene Schrift wird ja nicht von dir allein gelesen —, zu der Ansicht kommt, er wolle nicht die von Gott den Menschen verliehenen Gnaden, sondern sich selbst preisen; dann aber würdest du, der du die Sache doch zu beurteilen weißt, in deinem Anspruch auf Kenntnis deines Bruders wegen der Schwachheit anderer zu kurz kommen. Ich hätte nun diese Aufgabe bereits erledigt, und du hättest schon jetzt von ihm zu lesen bekommen, wenn nicht unser Bruder72 so plötzlich und unvermutet abzureisen beliebt hätte. Ich empfehle ihn deiner Liebe und Zusprache; erweise dich gegen ihn so freundlich, als ob du ihn nicht erst jetzt kennen lerntest, sondern schon früher zugleich mit mir kennen gelernt hättest. Denn wenn er kein Bedenken trägt, sich deinem Herzen ganz aufzuschließen, so wird ihm durch deine Zusprache ganz oder doch zum größten Teile geholfen werden. Ich möchte nämlich, daß ihm einmal in ausgiebiger Weise durch das Wort derer zugesetzt werde, die einen Freund nicht nach Art der Welt lieben73.


6.

Wenn aber Romanianus nicht persönlich zu deiner Liebe geeilt wäre, so hätte ich beschlossen, seinen Sohn74, der auch zugleich mein Sohn ist und dessen Namen du ebenfalls in einigen meiner Bücher erwähnt finden wirst, mit einem Briefe von mir versehen deinen Händen zu übergeben, damit du ihn mit Worten und besonders durch dein kräftiges Beispiel tröstest, ermahnest und belehrest. Denn ich wünsche lebhaft, daß sich bei ihm das Unkraut in Getreide verwandle, so lange sein Alter noch der grünenden Saat vergleichbar ist, und daß er erfahrenen Menschen das glaube, was er in gefahrvoller Weise selbst zu erfahren wünscht. Vorläufig erkennt deine so wohlwollende und milde Klugheit aus seinem Gedichte und aus dem Briefe, den ich an ihn geschrieben75, was ich an ihm beklage, was ich fürchte, was ich wünsche. Ich zweifle nicht, daß ich mit dem Beistande des Herrn und durch deine Bemühung von so schwerer Sorge befreit werde.—Da du aber viele Schriften von mir lesen willst, so wird sich deine Liebe mir noch verbindlicher machen, wenn du in gerechter Barmherzigkeit verbesserst, was dir nicht gefällt, und mich dafür zurechtweisest. Denn du gehörst nicht zu jenen, von denen ich fürchten muß, dass ihr Öl mein Haupt berühre76. Nicht nur die Brüder, die bei uns wohnen und die, wo immer sie auch wohnen, Gott in gleicher Weise dienen, sondern fast alle, die in Christo uns wohlwollen, grüßen, verehren und ersehnen deine Brüderlichkeit, Heiligkeit und Menschenfreundlichkeit. Ich wage nicht, eine Bitte auszusprechen; wenn dir aber das kirchliche Amt Zeit läßt, so siehst du ja, wonach Afrika mit mir dürstet.

Ausgewählte Briefe

Подняться наверх