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II. (Nr. 4.) An Nebridius

Geschrieben im Jahre 387.

An Nebridius.

Inhalt. Nebridius hatte in einem früheren Briefe Augustinus angefragt, wie weit er in seiner gegenwärtigen Einsamkeit in der Unterscheidung zwischen Geist und Materie fortgeschritten sei. Augustin antwortet, daß die Wahrheit, die er in dieser Beziehung erkannt, sich mit Gottes Hilfe immer tiefer seiner Seele einpräge.


1.

Wider Erwarten habe ich eine eigentümliche Erfahrung gemacht. Als ich nachsah, auf welche von deinen Briefen ich noch zu antworten hätte, da habe ich nur einen gefunden, mit dessen Beantwortung ich noch im Rückstande bin.Du verlangst in ihm, wir sollten bei der vielen Muße, die wir nach deiner Ansicht haben oder die du mit uns wünschest, dir anzeigen, welche Fortschritte wir inder Unterscheidung der geistigen und sinnlichen Natur gemacht hätten. Allein es kann dir nicht unbekannt sein: wenn Irrtümer den Geist je mehr umstricken, je mehr und je liebevoller man sich mit ihnen beschäftigt, so ist dies bei der Wahrheit in erhöhtem Maße der Fall.So schreiten wir zwar vorwärts, jedoch nur allmählich, gleichsam wegen Unreife des Alters. Denn da ein großer Unterschied zwischen einem Kinde und einem Jüngling ist, so wird jemand, der täglich seine Kindheit zu empfinden hat, sich nie für einen Jüngling erklären.


2.

Fasse bitte diese unsere Worte nicht so auf, als hätten wir in diesen Dingen durch die Kraft gesicherterer Erkenntnis eine gewisse Jugendfrische des Geistes erlangt. Denn wir sind noch Kinder, aber, wie man zu sagen pflegt, brave, nicht böse. Denn meistens bringt jene dir wohlbekannte Schlußfolgerung6 unseren umdüsterten und durch die Verstrickung in Sinnlichkeit ermüdeten Geistesaugen eine Erleuchtung, daß Verstand und Einsicht wertvoller seien als unsere Augen und der allen gemeine Anblick. Dies könnte nicht der Fall sein, wenn nicht auch der Gegenstand unseres Erkennens höher stünde als der unseres leiblichen Schauens. Erwäge nun bitte mit mir, ob gegen diese Schlußfolgerung etwas mit Grund einzuwenden ist. Indem ich vorläufig an ihr mich erfreue, Gott um Hilfe bitte und mich allmählich mehr und mehr zu ihm und zur Quelle aller Wahrheit erhebe, erfüllt mich mitunter ein solcher Vorgeschmack der ewigen Dinge, daß ich mich bisweilen wundere, jener Schlußfolgerung zu bedürfen, um zu glauben, was so offenbar gegenwärtig ist, als jeder sich selbst gegenwärtig ist. Denke auch du darüber nach; denn ich muß gestehen, daß du hierin sorgfältiger bist. Auch möchte ich nicht etwa ohne mein Wissen dir noch eine Antwort schuldig sein. Die so schnelle Entlastung von so vielen Geschäften, die mich früher drückten, hat mir nicht eingetragen, was ich davon erhofft hatte7. Übrigens zweifle ich nicht daran, daß du meinen Brief erhalten hast, obwohl ich die Antwort noch nicht in Händen habe.

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