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XIX. (Nr. 33.) An Proculeianus

Geschrieben im Jahre 396.

An den ehrwürdigsten und geliebtesten Herrn Proculeianus.

Inhalt. Proculeianus war donatistischer Bischof von Hippo und hatte bei einem gelegentlichen Zusammenkommen mit einem Mönche des heiligen Augustinus geäußert, er wünsche ein Religionsgespräch mit den Katholiken vor unparteiischen Schiedsrichtern. Augustinus, der schon in Brief XIV (23) den Donatisten ähnliche Vorschläge gemacht hatte, nimmt dieses Anerbieten mit Freuden an, überläßt Proculeianus alle näheren Bestimmungen über Art und Ausführung dieses Religionsgespräches, sucht ihn über eine angebliche Beleidigung, die er von jenem Mönche erfahren, zu beruhigen und schildert mit ergreifenden Worten den traurigen, durch das Schisma hervorgerufenen Zustand des Volkes.


1.

Die diesem Briefe vorausgeschickten Titel brauche ich nicht etwa aus Rücksicht auf die eitlen Einbildungen törichter Leute zu verteidigen. Denn wer von uns sich im Irrtume befindet, das kann vor der eingehendsten Erörterung der Streitfrage manchem ungewiß erscheinen; doch dienen wir einander, wenn einer den anderen vom Irrtume zurückzuführen bestrebt ist, wofern es nur in der guten Absicht geschieht, das Übel der Spaltung zu entfernen. Daß ich mit aufrichtigem Herzen und demütiger, christlicher Furcht dies beabsichtige, das mag zwar vielen Menschen verborgen sein, derjenige aber sieht es, vor dem alle Herzen offen liegen. Was ich also an dir ehre, kannst du leicht verstehen. Nicht den schismatischen Irrtum, von dem ich, wenn es an mir läge, alle Menschen heilen möchte, halte ich für etwas Ehrwürdiges, sondern deine Person erachte ich ohne zweifelndes Schwanken für ehrwürdig; vor allem, weil du durch das Band der menschlichen Gesellschaft mit uns verknüpft bist, sodann, weil sich bei dir einige Zeichen versöhnlicher Gesinnung erkennen lassen, die mir eine gewisse Hoffnung geben, du werdest die Wahrheit, wenn sie dir gezeigt ist, annehmen. Was aber die Liebe anbetrifft, so schulde ich dir davon nicht weniger, als der befahl, der uns geliebt hat bis zur Schmach des Kreuzes.


2.

Wundere dich aber nicht, daß ich so lange deiner Wohlwollenheit gegenüber geschwiegen habe. Ich glaubte nicht, daß du in der Tat jene Ansicht hegtest, wie mir der Bruder Evodius, dem ich Glauben schenken muß, voller Freude berichtete. Nach seinem Berichte nämlich hat deine Wohlwollenheit, als er zufällig in demselben Hause wie du zugegen war und sich zwischen euch ein Gespräch über unsere Hoffnung, das ist über die Erbschaft Christi, entspann, geäußert, du würdest dich, wenn einwandfreie Männer den Vorsitz führten, in ein Religionsgespräch mit uns einlassen. Groß ist meine Freude, daß du meiner Niedrigkeit einen solchen Vorschlag zu machen dich gewürdigt hast; und gern will ich diese günstige Gelegenheit deiner wohlwollenden Gesinnung benützen, um mit dir, so weit mir Gott die Kräfte hierzu verleihen will, zu untersuchen und zu besprechen, welches die Ursache, der Ursprung und die Veranlassung jener so bejammernswerten und beklagenswerten Spaltung gewesen ist in der Kirche Christi, der da gesagt hat: „Meinen Frieden gebe ich euch, meinen Frieden hinterlasse ich euch“116.


3.

Zwar habe ich gehört, du habest dich über den erwähnten Bruder beklagt, weil er dir irgendeine beleidigende Antwort gegeben habe. Fasse aber das bitte nicht als Beleidigung auf. Ich bin überzeugt, daß es nicht aus Übermut geschehen ist — ich kenne ja meinen Bruder —; hat er aber in der Tat aus Eifer für seinen Glauben und aus Liebe zur Kirche ein heftiges Wort, das deine Würde verletzen konnte, fallen lassen, so verdient das nicht den Namen Bosheit, sondern Kühnheit. Er wollte eben Sachwalter und Streiter seiner Partei, nicht aber Kriecher und Schmeichler sein. Denn das ist das Sünderöl, mit dem der Prophet sein Haupt nicht salben lassen will, wenn er spricht: „Der Gerechte soll mich zurechtweisen in Barmherzigkeit und mich rügen, aber des Sünders Öl soll mein Haupt nicht salben“117. Er will also lieber von einem Gerechten mit strenger Milde getadelt als mit schleimiger Schmeichelei gelobt werden. Daher sagt auch der Prophet: „Die euch glücklich preisen, führen euch in Irrtum“118. Deshalb sagt man auch allgemein und mit Recht von einem Menschen, den lügnerische Schmeicheleien anmaßend gemacht haben: ,Der Kopf ist ihm gewachsen’119. Er ist nämlich mit Sünderöl gesalbt, das heißt nicht mit scharfer, strafender Weisheit, sondern mit schmeichelnder, lobender Lüge. Aber das darfst du wiederum nicht so verstehen, als wollte ich sagen, in Bruder Evodius habe dich ein Gerechter zurechtgewiesen. Sonst könntest du ja befürchten, auch ich rede schimpflich von dir, und das möchte ich aus allen meinen Kräften verhüten. Gerecht ist nur der, der gesagt hat: „Ich bin die Wahrheit“120. Bekommen wir also aus dem Munde irgendeines Menschen eine unangenehme Wahrheit zu hören, so werden wir nicht von dem betreffenden Menschen, der vielleicht ein Sünder ist, sondern von der Wahrheit selbst, das heißt von Christus, dem Gesalbten, zurechtgewiesen, damit nicht die Salbung glatter, aber verderblicher Schmeichelei, das ist das Sünderöl, unser Haupt berühre. Sollte indessen Bruder Evodius in der Tat etwas gar zu heftig seine Kirchengemeinschaft verteidigt und in der Aufregung etwas zu kühn gesprochen haben, so müßte man es dem Alter des Mannes und der Wichtigkeit des Streitfalles zugute halten.


4.

Dringend aber bitte ich dich, deines Versprechens eingedenk zu sein, eine Sache von solcher Wichtigkeit, die sich auf das Heil aller bezieht, vor Schiedsrichtern, die du selbst bestimmen magst, mit uns austragen zu wollen. Doch müßten unsere Worte schriftlich aufgenommen werden, damit kein nichtiges Gezänk darüber entstehe; dann kann alles mit Ruhe und Ordnung von uns besprochen und der logische Zusammenhang, falls etwa ein Satz der Erinnerung entschwunden sein sollte, ergänzt werden. Sollte es aber euch lieber sein, so wollen wir zuvor durch Briefe oder durch Besprechung und Lesung an irgendeinem dritten Orte unmittelbar miteinander verhandeln; sonst könnten einige eifernde Zuhörer mehr einen Kampf zwischen uns beiden erwarten, als an ihr Heil bei unserer Besprechung denken. Ist die Debatte dann zum Schluß gekommen, so mag das Volk das Ergebnis erfahren. Ziehet ihr aber die briefliche Unterredung vor, so sollen die Briefe der beiden Bekenntnisse vorgelesen werden, damit man endlich nicht mehr von zwei Völkern, sondern nur von einem Volke reden könne. Ganz wie du willst, befiehlst, wünschest, so nehme ich es mit Freuden an. Hinsichtlich der Gesinnung meines heiligsten und ehrwürdigen Vaters Valerius, der augenblicklich abwesend ist, kann ich mit voller Gewißheit einstehen, daß er mit großer Freude davon hören wird. Weiß ich doch, wie sehr er den Frieden liebt und wie wenig es ihm um eitlen, nichtigen Ruhm zu tun ist!


5.

Ich bitte dich: Was haben wir mit den alten Zwistigkeiten einer früheren Generation zu schaffen? Es soll genug sein, daß die Wunden, die die Gereiztheit ehrgeiziger Männer unseren Gliedern beigebracht hat, bis jetzt fortbestanden haben; jetzt sind diese Wunden vereitert, und wir haben sogar den Schmerz verloren, um dessentwillen man den Arzt zu rufen pflegt. Du siehst, welch große und bedauernswerte Störung in die christlichen Häuser und Familien gedrungen ist. Mann und Weib sind über ihr Bett einig, streiten aber über den Altar Christi. Bei jenem schwören sie sich, miteinander Frieden halten zu wollen, den sie bei diesem nicht haben können. Kinder haben mit ihren Eltern zwar dasselbe Haus, aber nicht dasselbe Gotteshaus; sie wollen die Erbschaft derer antreten, mit denen sie über die Erbschaft Christi zanken. Knechte und Herren zerteilen ihren gemeinsamen Herrn, „der Knechtsgestalt angenommen hat“121, um uns alle durch seine Dienstbarkeit zu befreien. Die Eurigen ehren uns, die Unserigen ehren euch. Die Eurigen beschwören uns bei unserer bischöflichen Krone, bei derselben Krone aber beschwören auch die Unserigen euch. Jedermanns Wort halten wir in Ehren und wollen niemanden beleidigen. Hat uns etwa Christus allein beleidigt, da wir seine Glieder zerfleischen? Die Menschen, die ihre zeitlichen Angelegenheiten mit unserer Hilfe abschließen wollen, nennen uns, falls sie unser bedürfen, Heilige und Gottesdiener, damit sie ihre irdischen Geschäfte beenden: laßt uns also auch einmal das Geschäft unseres und ihres Heiles zum Abschlusse bringen, ein Geschäft, bei dem es sich nicht um Gold und Silber, nicht um Acker und Vieh handelt. Wegen solcher Dinge grüßt man uns täglich geneigten Hauptes, damit wir die üblichen Streitigkeiten unter Menschen beenden; aber über unser Haupt selbst122 besteht ein so schändlicher und verderblicher Zwiespalt. Mögen immerhin die, die uns grüßen, das Haupt vor uns neigen, damit wir Frieden auf Erden zwischen ihnen stiften; unser Haupt hat sich vom Himmel bis zum Kreuz herabgeneigt, und doch haben wir keine Eintracht in ihm.


6.

Ich bitte dich also und flehe dich an: Wenn brüderliche Liebe in dir ist, wie viele rühmen, dann zeige hier deine Güte! Wenn du sie nicht um vergänglicher Ehre willen bloß zur Schau trägst, dann laß dein Herz von Mitleid gerührt werden, entschließe dich endlich, die strittigen Punkte mit uns zu besprechen, verbinde dich mit uns im Gebete und verhandle alles mit Friedfertigkeit! Das arme Volk, das uns so viel Ehre erweist, könnte uns sonst im Gerichte Gottes mit seinen Ehrenbezeigungen zur Last fallen! Möge es vielmehr durch unsere ungeheuchelte Liebe von Irrtum und Spaltung zurückgeführt und mit uns auf den Weg der Wahrheit und des Friedens geleitet werden! Vor den Augen Gottes wünsche ich, daß es dir wohlergehe, ehrwürdiger und geliebtester Herr!

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