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I. Compliance

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Der englische Begriff Compliance bedeutet „Einhaltung“, „Übereinstimmung“, „Befolgung“.[3] In der Medizin beschreibt er die Therapietreue des Patienten, also dessen Bereitschaft, den Anweisungen seines Arztes zu folgen.[4] Bei der Übernahme des Begriffs in das Recht liegt es dementsprechend nahe, unter Compliance – „to be in compliance with the law“[5] – in ganz grundsätzlichem Sinne das Handeln in Übereinstimmung „mit dem geltenden Recht“ zu verstehen.[6] Dabei handelt es sich freilich nur um einen ersten Definitionsversuch, der insbesondere unter zwei Gesichtspunkten der Konkretisierung – und Modifizierung – bedarf (Rn. 3 ff.):

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Beide Gesichtspunkte, die die Aussage, (rechtliche) Compliance betreffe die Befolgung des Rechts (vgl. Rn. 2), konkretisieren (und modifizieren), widerlegen den zu Beginn der Compliance-Diskussion immer wieder geäußerten Einwand, ein solches Verständnis von Compliance sei eine „Binsenweisheit“[7]. Im Recht gehe es stets um Rechtsbefolgung,[8] nämlich die Voraussetzungen rechtmäßigen bzw. die Sanktionierung nicht rechtmäßigen Verhaltens.[9] Insbesondere zu Beginn der Auseinandersetzung mit dem Compliance-Phänomen hat diese sich zwar tatsächlich – auch und insbesondere im Strafrecht – häufig in der Etikettierung bekannter Phänomene mit einem modernen Begriff erschöpft.[10] Mittlerweile ist jedoch – in rasanter Geschwindigkeit – sowohl in der Wissenschaft wie auch der Praxis die Erkenntnis der Notwendigkeit von Compliance angekommen. In jüngster Zeit mehren sich gar die Stimmen, die von einem strafrechtlichen Paradigmenwechsel[11] sprechen. So lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass sich in den letzten beiden Jahrzehnten wohl kein anderer Begriff so rasant und umfassend, aber auch in so durchaus unkritischer Attitüde verbreitet hat, wie derjenige der Compliance.[12]

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Der erste der (Rn. 2) angesprochenen Gesichtspunkte zur Konkretisierung und letztlich Modifizierung des grundsätzlichen Verständnisses von Compliance als „Handeln in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht“, betrifft die „Konformität von Verhalten und Prämisse“.[13] Compliance spielte sich bislang[14] im Umfeld gewinnorientierten Verhaltens von Wirtschaftsunternehmen ab. Da jegliche wirtschaftliche Betätigung stets auch – zunehmende[15] – rechtliche Risiken birgt, bedarf es eines Überwachungssystems, das nicht nur die ökonomischen, sondern insbesondere auch die rechtlichen Risiken antizipierbar, steuerbar und damit letztlich vermeidbar bzw. zumindest minimierbar macht. Dieses Gesamtsystem wird gemeinhin mit dem Begriff der Corporate Governance umschrieben: Es bildet den Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines wirtschaftlichen Unternehmens.[16] „Compliance“ stellt ein Mittel innerhalb dieses Gesamtsystems der Überwachung von Körperschaften dar. Während der Begriff der Corporate Governance – aus der Perspektive der „Regulierer“[17] – für die Gesamtheit der Maßnahmen zum guten und verantwortungsvollen „Führen der Körperschaft“ steht, bildet sein Unterbegriff Compliance – unter dem Blickwinkel der regulierten Unternehmen[18] – gewissermaßen dessen rechtliches Fundament: Unternehmen und ihre Organe haben sich bei der Ausübung ihrer unternehmensbezogenen Tätigkeit im Einklang mit dem geltenden Recht zu bewegen.[19] Darauf beschränkt Compliance sich aber nicht.[20] Denn es ist mittlerweile anerkannt, dass es in der Realität der Unternehmenswirklichkeit nicht lediglich um eine Rechtsbefolgung und damit Rechtskonformität, sondern vielmehr um „Regelkonformität“, und damit eine Konformität von unternehmerischem Verhalten und Regel-Prämisse geht. Tatsächlich ist es für das Verständnis des Inhalts des Compliance-Begriffs in grundsätzlicher[21] Hinsicht vollständig unerheblich, welche Qualität diese Regeln haben; dass es sich bei ihnen tatsächlich um Rechtsregeln handelt, ist nämlich gerade nicht erforderlich.[22] Vielmehr kann es sich um formelle Gesetze, branchenspezifische Standards oder auch lediglich ethisch motivierte Absichtsbekundungen handeln.[23] Entscheidend ist insoweit zunächst nur, dass es um eine Vereinbarung von Regeln mit dem Anspruch auf deren Einhaltung geht.[24] Die oben (Rn. 3) genannte Begriffsbestimmung ist mithin zunächst über eine Präzisierung des rechtlichen Bezugspunktes von Compliance zu konkretisieren: Compliance ist nicht (nur) Rechts-, sondern (weitergehend) Regelkonformität, meint also die Übereinstimmung mit – auch rechtlich nicht unmittelbar bindenden – Verhaltensanweisungen.[25]

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Die zweite Konkretisierung des Verständnisses von Compliance als Handeln in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht – in dem unter Rn. 4 präzisierten Sinn – betrifft die Frage, was mit dem in diesem Sinne „geltenden“ Recht gemeint ist. Offenbar ist eine gewisse Undurchschaubarkeit der rechtlichen Anforderungen Entstehungsbedingung für Compliance. Denn jedenfalls bislang findet Compliance nur dort statt, wo die Anforderungen des Rechts nicht ohne Weiteres für jedermann nachvollziehbar und damit – im Rahmen präventiv rechtskonformen Verhaltens – antizipierbar sind. Überall dort hingegen, wo der Normappell klar und eindeutig und deshalb vom Normadressaten internalisiert ist, bedarf es offenbar keiner Compliance.[26] Ob bei dieser Erkenntnis tatsächlich stehengeblieben werden kann, wird eine der zukünftig zu diskutierenden Fragen sein (vgl. dazu Rn. 36).

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Von dem (Rn. 2 ff.) skizzierten grundsätzlichen Compliance-Verständnis ist der Begriff der Compliance im organisatorischen Sinn[27] und ein maßnahmenorientiertes Begriffsverständnis[28] zu unterscheiden.[29]

Handbuch Wirtschaftsstrafrecht

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