Читать книгу Handbuch Wirtschaftsstrafrecht - Udo Wackernagel, Axel Nordemann, Jurgen Brauer - Страница 124

1. Die Entwicklung in den USA

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Im Zuge der Watergate-Affäre initiierte die U.S. Securities and Exchange Commission (SEC – amerikanische Börsenaufsichtsbehörde) ein sog. disclosure program, das Unternehmen für die Anzeige interner Bestechungsvorgänge Strafmilderung in Aussicht stellte. Der Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) von 1977, der die sich an den Watergate-Skandal anschließende Wirtschaftskrise in gesetzgeberischer Hinsicht abschloss, verpflichtete Unternehmen zur Vornahme interner Kontrollen, um weitere Bestechungsfälle zu vermeiden.[2] In Umsetzung der Gesetzesvorgaben entstanden auf Unternehmensseite zahlreiche codes of conduct, die – wie auch die Kooperation mit den Behörden – mittlerweile einen wesentlichen Faktor bei der Bemessung zivilrechtlicher Sanktionen darstellen.[3] Die weiter gestiegene Bedeutung dieser Bemühungen unterstreicht auch das sog. „FCPA Pilot Program“, das im Jahr 2016 vom DOJ vorgestellt worden ist.[4]

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In den 1980er Jahren führte eine Vielzahl bedeutsamer Wirtschaftsskandale u.a. zum Erlass des Insider Trading and Securities Fraud Enforcement Act, der Wertpapierhandelsunternehmen Maßnahmen zur Verhinderung von Insidergeschäften vorschreibt. Innerhalb der Rüstungsindustrie führten Bestechungsvorwürfe insbesondere gegenüber staatlichen Stellen zur Einführung eines Programms des Departement of Defense, das Unternehmen die Einführung eines internen Kontrollsystems empfahl und – wie auch der Insider Trading and Securities Fraud Enforcement Act – dementsprechende unternehmensinterne Vorkehrungen mit Strafmilderung belohnte.[5] Die in dem Programm bereits enthaltenen Elemente – Festlegung schriftlicher Standards, regelmäßige Überprüfung, Einrichtung einer Meldestelle, Durchführung von Audits, Ergreifen von Disziplinarmaßnahmen sowie Kooperation mit den Behörden[6] – sind sämtlich in die Strafzumessungsrichtlinien (vgl. noch Rn. 20) eingegangen. Die im Zuge der Vorwürfe gegen die Rüstungsindustrie gegründete und noch heute aktive Defense Industry Inititative on Business Ethics and Conduct[7] stellt ein prominentes Beispiel für die bereits in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts immens gewachsene Bedeutung der Entwicklung und Einhaltung von Business Ethics dar.[8] Obwohl zahlreiche Unternehmen sich der Etablierung von business codes, ethic codes und ähnlicher Unternehmensrichtlinien anschlossen,[9] blieb doch die effektive praktische Umsetzung damals die Ausnahme.[10]

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Während zunächst nur vereinzelt die Errichtung eines Compliance-Programms staatlich vorgeschrieben wurde und der Aspekt der freiwilligen internen Regelung guter Unternehmensführung im Vordergrund stand,[11] geriet seit Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zunehmend die staatliche und insbesondere auch strafrechtliche Kontrolle von Unternehmen in die Diskussion.[12] Im Zuge der Reform des Strafzumessungsrechts Mitte der 80er Jahre ging die Idee der Compliance-Programme in das Strafrecht ein. Mit der Einführung der Sentencing Guidelines im Jahre 1991[13] fand dann die endgültige Berücksichtigung der Compliance-Idee im Strafrecht statt. Freilich hat die Diskussion sich mittlerweile aus dem Kontext bloßer Strafzumessung gelöst; Criminal Compliance ist zum zentralen Aspekt der Strafverfolgung geworden, dessen Bedeutung kaum überschätzt werden kann.[14]

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In Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 wurde mit dem sog. USA Patriot Act[15] die verpflichtende Einführung von Compliance-Programmen in bestimmten Unternehmen festgelegt.[16] Im Jahr 2002 schließlich erfolgte durch den Sarbanes-Oxley Act,[17] insbesondere in Folge der Zusammenbrüche von Worldcom und Enron, eine immense Verschärfung der Unternehmenskontrolle. Mit dem Gesetz findet die endgültige Verschmelzung zivil-, verwaltungs- und strafrechtlicher Unternehmenskontrolle statt.[18] Auch die jüngste Weltwirtschaftskrise hat bereits zu einer weiteren Verschärfung staatlich regulierter Compliance geführt.[19]

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Insgesamt zeichnet die US-amerikanische Compliance-Landschaft sich heute durch ein Geflecht unterschiedlichster Compliance-Regelungen aus. Ein Compliance-Gesamtsystem besteht nicht und ist angesichts der unterschiedlichen Regelungsbereiche auch kaum sinnvoll.[20] Vielmehr haben sich im Laufe der Jahrzehnte die verschiedensten sachspezifischen Regelungssysteme herausgebildet, deren Fundament – auch im Strafrecht – ganz wesentlich ein System der Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft bildet. Es liegt auf der Hand, dass die zunehmende Möglichkeit, Compliance-Programme als Verteidigungseinrede geltend zu machen, den Kooperationswillen auf Seiten der Unternehmen fördert (beachte noch die folgende Rn.). Diese Entwicklung, die sich so in Deutschland mittlerweile wiederholt, stellt aber auch einen Bruch mit dem traditionellen Strafrechtsverständnis im Sinne eines Subordinationsverhältnisses zwischen Staat und Bürger[21] dar, der nicht zu unterschätzen ist (vgl. dazu noch ausführlicher Rn. 41, 49).

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In den USA hat die (unterbliebene) Implementierung von Compliance-Programmen – auch strafrechtliche – Konsequenzen für Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter. Während die (staatlichen) Vorgaben für Compliance-Programme sich an die Unternehmen richten, wenden die im Unternehmen umgesetzten Compliance-Programme sich an den einzelnen Unternehmensmitarbeiter. Und obwohl die Auswirkungen von Compliance-Programmen nur bei den Sentencing Guidelines für Unternehmen, nicht hingegen bei den Richtlinien für natürliche Personen normiert sind, hat die Rechtsprechung die (in casu: mangelhafte) Umsetzung eines Compliance-Programms bereits im Rahmen der Strafzumessung (scil. strafschärfend) berücksichtigt.[22] Das Strafrecht stellt in den USA mittlerweile ein konsequent genutztes Mittel zur Unternehmensreform dar.[23] In der Sanktionspraxis gewinnt die Staatsanwaltschaft dabei zunehmend an Bedeutung, ist es ihr doch möglich, Compliance-spezifische Sanktionen bereits im Ermittlungsverfahren zu verhängen.[24] Die von manchen Unternehmen sicherlich als notwendiges Übel betrachtete Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden findet dabei freilich ohne die Absicherung durch die im gerichtlichen Verfahren geltenden prozessualen Regeln statt. Insgesamt lässt der US-amerikanische Compliance-Ansatz sich begreifen als ein System staatlich regulierter Selbstregulierung. Dabei lässt sich nicht leugnen, dass der verstärkte Einsatz des Strafrechts zu einer neuen Unübersichtlichkeit und einer gewachsenen Unsicherheit hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter geführt hat.[25] Insofern wird sicher nicht nur die von Unternehmensseite zu erwartende Kooperationswilligkeit,[26] sondern auch die Überzeugungskraft der Compliance-Idee insgesamt von der konsequenten und luziden Sanktionspolitik der staatlichen Behörden abhängen.[27]

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