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II. Criminal Compliance

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Geht es bei Compliance in einem ganz grundsätzlichen Sinne also um Regelkonformität (vgl. Rn. 2 ff.), so hat „Criminal Compliance“ als „kriminalitätsbezogene Compliance“[30] in grundlegender Hinsicht zunächst einmal die Einhaltung strafrechtlich relevanter Regeln zum Gegenstand. Compliance-Bestrebungen sind zumindest im Ergebnis stets gerichtet auf die Vermeidung rechtlicher Verantwortlichkeit, und sei es auch nur um der Erreichung des Endzieles der okönomischen Gewinnmaximierung willen.[31] Maßnahmen zur Regelbefolgung müssen daher rechtliche Verantwortlichkeit antizipieren können.[32] Dabei hat Criminal Compliance die Vermeidung gerade strafrechtlicher Sanktionen zum Ziel. Vertritt man insoweit – wie die h.M.[33] – ein weites Verständnis und zählt in diesem Kontext auch das Ordnungswidrigkeitenrecht zum Strafrecht (im weiteren Sinne), so hat Criminal Compliance also die Vermeidung von Geld- und Freiheitsstrafen (gegenüber dem Individuum), aber auch von Geldbußen (insbesondere auch gegenüber dem Unternehmen) zum Gegenstand.

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Noch vor wenigen Jahren neigte insbesondere die wissenschaftliche Literatur dazu, Compliance gleichzusetzen mit schon bislang bekannten (wirtschafts-)strafrechtlichen Fragestellungen. Criminal Compliance aber ohne Weiteres mit Fragen des Wirtschaftsstrafrechts gleichzusetzen, ist nicht gewinnbringend. Dass viele dieser Fragen von einer konsentierten Lösung entfernt sind – das ist im (Straf-)Recht nichts Besonderes –, vermag an diesem Befund nichts zu ändern. Die Probleme, die bei der Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen bestehen, sind den besonderen Schwierigkeiten des Wirtschaftsstrafrechts, nicht hingegen irgendwelchen Besonderheiten von Criminal Compliance geschuldet.[34] Dass manche Compliance insgesamt für eine inhaltslose Modeerscheinung (vgl. auch Rn. 3) halten,[35] hat seinen Grund denn auch darin, dass dem Begriff häufig mehr oder weniger willkürlich alles zugeordnet wird, was den aktuellen Beschäftigungsgegenstand der Strafrechtswissenschaft bzw. den Beratungsgegenstand der Strafrechtspraxis im Wirtschaftsstrafrecht ausmacht. Auch der häufig und zum Teil noch immer anzutreffenden Parallelisierung von Criminal Compliance und Korruptionsprävention[36] ist entschieden zu widersprechen.[37] Um Compliance im Strafrecht einen originären spezifischen Anwendungsbereich zu geben, bedarf es deshalb zunächst der weiteren Begriffskonkretisierung in negativer Hinsicht.

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Im Rahmen der Abgrenzung des Wirtschaftsstrafrechts von Criminal Compliance wurde bereits frühzeitig vorgeschlagen, den Bezugsgegenstand (Criminal Compliance im weiteren Sinne) von spezifischen Compliance-Fragen (Criminal Compliance im engeren Sinne) zu unterscheiden.[38] Das geschieht in einem ersten Schritt so, dass – negativ – klargestellt wird, dass „Compliance im Strafrecht“ sich jedenfalls nicht erschöpft im und gleichgesetzt werden kann mit „Wirtschaftsstrafrecht“ (vgl. Rn. 8). Das ändert freilich nichts daran, dass – jedenfalls bislang – der Beschäftigungsgegenstand von Criminal Compliance „das Wirtschaftsstrafrecht“[39] ist. Von diesem Bezugsgegenstand, der in jüngster Zeit erste Aufweichungen und Erweiterungen erfährt (Rn. 36), lassen sich aber spezifische Fragen der Compliance im Strafrecht unterscheiden.[40] Erst im Anschluss an den grundlegenden ersten Schritt der negativen Abgrenzung der Criminal Compliance von ihrem Bezugsgegenstand des Wirtschaftsstrafrechts kann in einem – deutlich aufwendigeren – zweiten Schritt eine Konkretisierung von Criminal Compliance dann auch in positiver Hinsicht versucht werden (dazu unten Rn. 34 ff.).

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Um (straf)-rechtliche Verantwortlichkeit zu vermeiden, muss antizipiert werden, ob ein bestimmtes Verhalten strafrechtlich relevant ist oder nicht. In diesem Wechsel des Blickwinkels – vom rückwärtsgewandten Blick eines traditionell-reaktiven Strafrechts hin zum vorwärtsgewandten eines im Schwerpunkt modern-präventiven Steuerungssystems – liegt ein Wesensmerkmal und die besondere, häufig kaum zu überwindende Schwierigkeit von Criminal Compliance.[41] In weiten Bereichen des Wirtschaftsstrafrechts (des Bezugsgegenstandes der Compliance, vgl. Rn. 9) lässt sich ex ante eine strafrechtliche Relevanz unternehmerischen Handelns jedoch kaum vorhersagen, während der BGH – sozialpsychologisch naheliegend – aus einer bequemen ex post-Sichtweise und unter dem Eindruck des schließlich ja eingetretenen Schadens (resp. tatbestandsmäßigen Erfolges) stets eher dazu neigen wird, von dessen Vermeidbarkeit und damit im Ergebnis von einer Strafbarkeit auszugehen. Dies verschärft das Problem hier in besonderem Maße.[42] So ist sowohl der Normadressat wie auch der in der Compliance-Beratung tätige Anwalt naturgemäß mit dem im Wirtschaftsstrafrecht häufig uneindeutigen Normappell in – und nicht nach – der konkreten Handlungssituation konfrontiert. Der auf der Hand liegende Einwand, hierbei handele es sich um keine Besonderheit der Criminal Compliance, vielmehr liege die retrospektive Sachverhaltsbeurteilung durch das Gericht in der Natur der Sache, trägt nicht ganz. Denn im Kernstrafrecht gründet die Erwartung, dass der Täter die Verbotsnorm kennt und sie versteht, und sie deshalb befolgt, auf einem meist eindeutigen, ethisch konsentierten und daher vom Normadressaten internalisierten Normappell. Im Wirtschaftsstrafrecht hingegen führen häufig weiche, an der Grenze zur verfassungswidrigen Unbestimmtheit formulierte Tatbestände zu größter Verhaltensunsicherheit. Das Risiko des wirtschaftlich Tätigen ist insoweit ein zweifaches. Nicht nur das ökonomisch-unternehmerische Risiko ist für den Betreffenden (häufig nur schwer) abzuwägen; auch das Risiko, sich strafrechtlich relevant zu verhalten, ist meist deutlich weniger absehbar als in weiten Bereichen des Kernstrafrechts. Wo aber die strafrechtliche Relevanz von Verhalten nicht absehbar ist, lassen sich auch kaum wirksame Maßnahmen zur Vermeidung strafrechtlicher Verantwortlichkeit treffen. Damit ist ein wesentliches Merkmal von Criminal Compliance als Mittel normativen Risikomanagements die Notwendigkeit der Antizipierbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Da in der Praxis regelmäßig die Rechtmäßigkeit eines bestimmten tatsächlichen unternehmerischen Handelns in Frage steht, folgt daraus zunächst die Notwendigkeit, die Frage zu beantworten, ob dieses – im Zweifel unter ökonomischen Gesichtspunkten vernünftige Verhalten – deshalb zu unterbleiben hat, weil im Falle seiner Vornahme die strafrechtliche Sanktionierung droht. Bejahendenfalls sind dann in einem weiteren Schritt diejenigen Handlungsmöglichkeiten zu benennen, die strafrechtlich unbedenklich sind. Das alles macht aber auch recht eindringlich deutlich, dass es gerade die spezifische Komplexität des Rechts ist, die das Phänomen der Compliance paradoxerweise ebenso begründet wie begrenzt: Ohne diese Komplexität bedarf es präventiver Sicherungsmaßnahmen schon gar nicht, gleichzeitig ist es gerade sie, die das wichtigste Ziel von Compliance – die Antizipierbarkeit und Vermeidbarkeit rechtlicher Sanktionen – erschwert.

Handbuch Wirtschaftsstrafrecht

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