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3. Die Sehnsucht eines Sauerampfers

Damit komme ich zu Michael Riggbert. Der einstige Mädchenschwarm, den die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG einst als „Symphonic-Rocker mit dem sozialistischen Sex-Appeal“ titulierte, geht bei unserer ersten Begegnung gleich auf Angriff:

Riggbert: Wir wollten mit Adrian, Riggbert & Theyler damals die Menschen zum Denken anregen. Wir hinterfragten das System und ich wollte es – und das nicht nur mit musikalischen Mitteln wie du noch erfahren wirst – unter allen Umständen zerstören.

Letzteres hat ja wohl nicht geklappt.

Leider, im Gegenteil, der Kapitalismus hat gesiegt - zumindest vorläufig. Und die Rockmusik ist heute nur noch Teil des Systems.

Aber war das die Rockmusik damals nicht auch?

Nein, ich sah uns immer als Anti-Establishment.

Aber ihr habt doch finanziell vom kapitalistischen System profitiert.

Das hätte ich auch in einem sozialistischen System.

Warum bist du dann nicht nach „Drüben“ gegangen?

Das war kein Sozialismus, aber reden wir von was anderem.

Okay. Erstmal möchte ich auch von dir wissen, wie du überhaupt zur Musik gekommen bist.

Auch bei mir war es damals die Musik der Beatles. Ungefähr im Frühjahr 1964 lief „I Wanna Hold Your Hand“ dauernd im Radio und war damals Platz 1 in Deutschland. Und dann kam „A Hard Days Night“, das allerdings nur auf Platz 2 landete.

Du kannst dich ja noch gut erinnern.

Und weißt Du warum? Weil damals Platz 1 der Hitparade von „Petersilien-Paulchen & die Rohrkrepierer“ blockiert war.

Petersilien-Paulchen? Noch nie gehört.

Das Lied hieß jedenfalls „Das kommt vom Rudern, das kommt vom Segeln“.

Ach, du meinst Peter Lauch & die Regenpfeifer? Das war ein ziemlich zotiges und zweideutiges Stück, das deshalb nicht im Radio gespielt wurde. Rudern und Segeln waren nämlich Synonyme für „Pudern“ und „Vögeln“.

Die Eltern eines Freundes besaßen die Single und da habe ich den Quatsch auch erstmals gehört. Wenn so was auf Platz 1 kommt, sagt das schon einiges über die geistige Verfassung der damaligen Gesellschaft aus.

Inwiefern?

Na, das ist doch genau diese verklemmte Geilheit der Spießer, die sich nur in solchen Zweideutigkeiten ausleben konnte. Ich hasste diese Doppelmoral und wollte schon als Jugendlicher diese Heuchler provozieren.

Bleiben wir bei der Kindheit. Ich las mal irgendwo, dass du als Dreijähriger bereits Goethes „Faust“ gelesen und erste Kurzgeschichten verfasst hast.

Sehr schmeichelhaft, aber leider frei erfunden.

Dann hast du jetzt Gelegenheit, die Wahrheit zu erzählen.

Die Wahrheit ist, dass ich mit dem Schreiben von Gedichten in der Grundschule anfing, was aber zunächst mehr der Spaß am Reimen war. Meine Mutter war davon ganz begeistert und ich musste die Gedichte immer vor den Verwandten aufsagen. „Oh, unser kleiner Goethe“, hieß es dann immer. Gedichte mochte ich also schon als Kind, aber als Dreijähriger habe ich noch nicht mal Pixi-Bücher gelesen.

Wäre wohl auch ein bisschen zu viel verlangt.

Das erste Gedicht, an das ich mich erinnere, ist das vom „Mann mit dem Schwamm“, was in einem Schulbuch für das 1. oder 2. Schuljahr stand. Es war ebenso bildhaft wie absurd und ich kann es heute noch aufsagen. Dann mochte ich aus den Schulbüchern noch James Krüss und später besonders das Gedicht „Arm Kräutchen“ von Joachim Ringelnatz.

„Arm Kräutchen“? Nie gehört.

Das Gedicht handelt von einem Sauerdampfer, der „immer nur Eisenbahn um Eisenbahn sah und niemals einen Dampfer“. Schon allein deswegen mochte Ringelnatz, denn welcher Dichter schreibt schon über die Sehnsüchte eines Sauerampfers?

Wie sah es bei der Musik aus?

Damit hatte ich in der Grundschule noch nicht so viel am Hut außer dem, was damals im Radio lief und das waren meist deutsche Schlager.

Wie war das Verhältnis zu deinen Eltern?

Gut. Meine Mutter interessierte sich auch ein wenig für Musik und Malerei. Meinen Vater sah ich selten, der war viel auf Geschäftsreise. Das Verhältnis war eher kumpelhaft.

Dein Vater ist gebürtiger Engländer, richtig?

Ja, deshalb wuchs ich zweisprachig auf.

Was sich als Glücksfall für Adrian, Riggbert & Theyler erwies, denn du dadurch musstest du nicht mit diesem schrecklichen „Denglisch“ abmühen wie beispielsweise Frank Bornemann von Eloy.

Ja, schrecklich, nicht? Insgesamt waren meine Eltern für diese Zeit sehr liberal und ich erinnere mich nicht daran, dass ich jemals verprügelt wurde.

Besaßen deine Eltern musikalische Vorlieben?

Ja, beispielsweise US-amerikanische Sänger wie Perry Como, Ray Conniff oder Tony Bennent. Das war immerhin eine anspruchsvolle Alternative zur deutschen Schlagermusik, allerdings auch ziemlich schmalzig, wie ich fand. Musik, die vorzugsweise in Fahrstühlen oder auf Flughäfen im Hintergrund vor sich hin säuselte und garantiert niemanden störte.

Mit elf Jahren bist du dann auf das Gymnasium gewechselt. Wenn ich richtig recherchiert habe, war es wie bei Adrian das Hindenburg-Gymnasium.

Ja, benannt nach diesem Steigbügelhalter für Adolf Hitler. Als Elfjähriger wusste ich natürlich noch nicht, dass er mit den Nazis paktierte, das wird in Deutschland gerne verdrängt. Und an der Schule herrschte ein gewisser Kommissgeist und manche Lehrer waren sehr repressiv.

Ich erinnere mich an eine Lehrerin, über die Gerüchte im Umlauf waren, dass sie beim „Bund Deutscher Mädel“ war.

Es gab einen Werklehrer, der gerne mal während des Unterrichts seinen Arm um die Mädchen legte und einem Jungen namens Thomas mal die Nase blutig schlug. Und eine Musiklehrerin verteilte die sogar die Noten 7 und 8.

Du machst Witze.

Oh nein, ich erinnere mich noch gut daran, wie sie einem Mitschüler in einer Stunde die Note 8 gab und in der nächsten Stunde eine 1. Leider stand er dadurch immer noch insgesamt bei 5.

Hat dir diese Dame nicht die Musik verleidet?

Glücklicherweise nicht. Ich hatte zunächst sogar einen Stein bei ihr im Brett, weil sie meine Stimme mochte und mich deshalb in den Schulchor aufnahm. Allerdings haben wir dann das übliche Volksliederzeug gesungen wie dieses unsägliche „In einen Harung jung und schlank“ mit diesem albernen „sit-tata-tiralala“. Da bin ich dann irgendwann nicht mehr hingegangen.

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