Читать книгу Sex, Drugs & Symphonies - Bernd Franco Hoffmann - Страница 17

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9. Feuer und Flagge

Adrian: Dieses Konzert vergesse ich nie. Ich kann es auch nicht, weil dadurch praktisch alles mit Adrian, Riggbert & Theyler anfing. Ich besuchte dasselbe Gymnasium wie Michael. Er ging in die Parallelklasse und da ist er mir schon mal aufgefallen. Ich habe sicher unbewusst gedacht, dass er ein interessanter Typ ist, weil er damals schon eine gewisse Ausstrahlung besaß.

Von dem Bandauftritt erfuhr ich erst ein paar Tage vor dem Schulfest, als der Name auf dem Plakat zu lesen war: „The Electrics (Schulband)“ stand da einfach. Ich staunte, denn für diese doch sehr konservative Schule war es sehr außergewöhnlich, dass es eine Rockband gab.

Und du wolltest sicher auch gerne in einer Rockgruppe spielen.

Allerdings. Ich war verärgert und zugleich deprimiert, dass ich von dieser Schulband nichts wusste. Mann, vielleicht hätte ich da ja mitspielen können, dachte ich noch. Gut genug war ich allemal. Aber ich stand vor einem Riesenproblem.

Deine Furunkel?

Nein, ich besaß kein Keyboard. Ich wünschte mir eine Orgel und am liebsten eine der Firma Farfisa, die damals neben Bontempi die günstigsten Modelle anbot. An eine Hammond-Orgel war natürlich nicht zu denken. Von meinem Taschengeld hätte ich mir gerade mal eine Mundorgel leisten können.

Ich schwärmte für Keith Emerson von The Nice, deren zweites Album „Ars Longa Vita Brevis“ gerade erschienen war. So eine Musik, in der Orgel und Piano exzessiv und einfallsreich im Rockkontext eingesetzt wurden, schwebte mir auch vor. Doch bisher hatte ich keine Gleichgesinnten getroffen.

Wie hast du dieses Fest erlebt?

An diesem Tag herrschte den ganzen Tag eine gewisse Jahrmarktsatmosphäre. Nachmittags strömten dann Schüler, Eltern und Lehrer in die festlich geschmückte Aula, die ungefähr Platz für 1000 Personen bot. Das Programm startete mit den üblichen Festreden und einer ellenlangen Schulchronik, die ein Heimatforscher stotternd vortrug. Dann folgte eine ebenso holprige Rede des stellvertretenden Bürgermeisters, dessen Versprecher häufiger waren als seine Sätze. Danach spielte ein junges Cello-Duo das „Herbstlied“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy und die Theater-AG einen Auszug aus „Alice im Wunderland“.

Die Instrumente von Michaels Band waren da schon aufgebaut sowie eine kleine Verstärkerwand, was sehr beeindruckend aussah. Die Spannung wuchs bei mir minütlich. Mal sehen, was die drauf haben, dachte ich mir. Und vielleicht bestünde ja nach dem Konzert eine Chance zum Mitspielen. Dann war es soweit: Die Band wurde angekündigt und eine ältere Schülerin sagte so was wie: „Und jetzt für die Freunde der Beatmusik: The Electrics.“

Erinnert mich an Uschi Nerke vom „Beat-Club“.

Fragt sich nur, ob damals überhaupt „Freunde der Beatmusik“ anwesend waren, die Schule war wie gesagt sehr konservativ. Jedenfalls stürmte danach die Band auf die Bühne und als ich Michael sah, dachte ich noch: Ach, der ist auch mit dabei, der macht also Musik, sieh an.

Ich muss gestehen, dass mich die Präsenz von Michael sofort beeindruckte. Er sah für sein jugendliches Alter schon sehr gut aus und war für die damalige Zeit schon ziemlich lässig gekleidet. Seine Haare überdeckten bereits die Ohren und er machte auf mich den Eindruck, als wüsste er genau, was er tat. Er wirkte auf mich wie ein junger, aber schon sehr selbstbewusster Pop-Dandy.

„Dandy“ von den Kinks war auch ihr erster Song, wie mir Michael erzählte. Michael gab mir eine Songliste mit, er konnte sich noch an alle Titel erinnern.

Lass mal sehen (bekommt den Zettel überreicht und studiert). Das mit „Dandy“ stimmt, wobei die Band den Titel eher runterrotzte, was anschließend entsprechend verhaltenen Beifall auslöste.

Dann kam Riggberts Komposition „Nights“. Wie klang der Song?

Es war ein ziemliches wildes Instrumentalstück, so eine Art psychedelischer Rock'n'Roll, was das Publikum völlig ratlos machte.

Michael meinte, er hätte sich dabei an den Kinks orientiert.

An den Kinks? Bullshit! Ich fand das Stück trotzdem toll, weil Michael aus der Gitarre wirklich interessante Klänge herausholte. Das klang nicht dilettantisch, sondern sehr souverän. Und dabei schaute er in die Menge, als wollte er den Leuten sagen: „Da habt ihr’s!“

Der Typ hat’s ja echt drauf, dachte ich. Ich beneidete ihn, dass er auf der Bühne stehen durfte.

Dann kam „Help“ von den Beatles.

Was die Band hervorragend rüberbrachte. Auch Michael überzeugte mit seiner Stimme. Und zum ersten Mal kassierte das Quartett einen satten Applaus.

Dann Michaels Eigenkomposition „Nothing“.

Komposition? Hat er dir das nicht erzählt?

Was denn?

Der Applaus für „Help“ war gerade verebbt, da verkündete Michael: „And now: ‚Nothing‘“.

Ja und dann?

Ja und dann passierte …nichts. Die Band stand stumm da und spielte keinen Ton. Das Lied war einfach nur eine Minute Stille, eben „Nichts“. Danach sagte er, das wäre ein Tribut an John Cages „4.33“. Das bestand ja auch nur aus Stille.

Wie reagierte das Publikum?

Blieb ebenfalls still, keine Hand rührte sich. Kein Mensch im Publikum kannte natürlich diesen John Cage.

Riggbert: „Nothing“ baute ich noch am letzten Probentag ein, obwohl Olaf, Achim und Erwin dachten, ich wäre jetzt komplett durchgedreht.

„Ein Lied, das nur aus Stille besteht? Was soll der Unsinn?“, fragte Olaf.

„Der Unsinn wird ein Erfolg. Vertraut mir“, erwiderte ich.

Adrian: Das kommt eben davon, wenn man Michael Riggbert vertraut. Michael beendete die peinliche Stille, indem er „One-Two-Three-Four“ vorzählte und die Band sofort mit dem nächsten Stück loslegte. Das war „Come On And Sing“ von den Rattles, was die Verwirrung wieder auflöste. Die Band bot eine absolut mitreißende Version, bei der einige Schüler sogar mitwippten.

Und dann kam „Don’t Fight Against The Father“?

Und damit die Katastrophe. Dabei dachte das Publikum wohl erst, das Stück sei ein Loblied auf die Eltern, weil Michael das entsprechend ankündigte: „Jeder hat eine Mutter und einen Vater. Vor ihnen haben wir Respekt und wir dürfen nie die Stimme gegen den Vater erheben. Darum habe ich dieses Lied geschrieben: ‚Don’t Fight Against The Father’“. Einige Leute applaudierten und riefen sogar „Jawohl!“ oder „Bravo!“. Ich hab’ noch gedacht, diesen Schwulst meint er wohl nicht ernst.

Dann trommelte der Drummer mit Filzschlegel einen Bolero-Rhythmus, wozu Michael eine Feedback-Gitarre beisteuerte. Er war völlig in seinem Element, während seine Mitstreiter etwas konsterniert wirkten. Und bald war wohl jedem klar, dass es hier eben nicht um ein Loblied auf Papi und Mami ging, denn zu diesem infernalischen Krach brüllte Michael Wörter wie „Pigs“, „Capitalism“ und „Revolution“ ins Mikro. Riggbert zischte diese Worte wie eine Schlange hervor.

Sozusagen ein trojanisches Pferd der Musik.

Ja, und ich erinnere mich noch an Textfragmente, die in heftiger Weise das militärische Gebaren der USA kritisierten und eindeutig Stellung für Vietnam, genauer gesagt für den Vietcong bezogen.

Die Stimmung im Saal wurde immer unruhiger. „Was geht hier vor?“, rief bereits jemand aus dem Publikum. Aber das war noch nicht alles: Wie ich jetzt erst entdeckte, war vor der Bühne ein Diaprojektor aufgebaut. Dann – mitten im Song – ging Michael zu diesem Projektor und projizierte auf einem großen weißen Leinentuch verschiedene Bilder zum Thema Vietnamkrieg – darunter Fotos von Bombenabwürfen, verletzten vietnamesischen Kriegsopfern und schießenden Soldaten. Das letzte Dia zeigte dieses berühmte Bild, wo ein Vietnamese per Kopfschuss erschossen wird. Das Bild war dann auf der Leinwand konstant zu sehen.

Viele Zuschauer wendeten sich mit Grausen ab und Eltern hielten den jüngeren Kindern die Hand vor Augen. Währenddessen hörte Michael beim Solo des anderen Gitarristen wieder auf zu spielen und ging zum Bühnenrand, wo in einer vertieften Halterung eine große US-Flagge aufgesteckt war.

Ich hatte mich schon die ganze Zeit gefragt, was die Flagge sollte. Nun, in dem Moment bekam ich die Antwort, die hat er nämlich kurzerhand angezündet. Im Nu war die ganze Bühne völlig verqualmt. Die Musik dröhnte immer lauter, und dazu ratterten von irgendwoher die Rufe: „Ho-Chi-Minh, Ho-Chi-Minh, Ho-Chi-Minh!“ – die kamen wohl von einem Tonband. Es war das totale Inferno. Damit eroberten sozusagen die 68er das Hindenburg-Gymnasium. Und dann war plötzlich Schluss mit dem Spuk.

Hörte die Band auf zu spielen?

Nein, der Hausmeister zog den Stecker der Anlage. Danach stürmte der Schuldirektor auf die Bühne und entschuldigte sich unterwürfig bei den anwesenden Honoratioren für diesen, seiner Meinung nach, „schändlichen Auftritt“. Was dann geschah, lässt du dir am besten wieder von Michael erzählen.

Sex, Drugs & Symphonies

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