Читать книгу Sex, Drugs & Symphonies - Bernd Franco Hoffmann - Страница 19
Оглавление11. Kein Freund von Keith Emerson
Was hast du damals gedacht, als dich Wolfgang so unvermittelt ansprach?
Riggbert: Wolfgang war schon damals so großgewachsen, dass ich zu meinem Ärger zu ihm aufschauen musste. Was will denn dieses pickelgesichtige Riesenbaby von mir? Ich weiß, das klingt jetzt gemein, aber wenn jemand so eine Akne im Gesicht hat, dann du siehst als erstes eben die Akne und nicht seine vielleicht …äh innere Schönheit. Aber innere Schönheit war bei Wolfgang sowieso nicht vorhanden.
Wolfgang erzählte mir, dass er in der Jugend sehr unter der Akne gelitten hat.
Darüber haben wir nie gesprochen, und es hat auch keine Rolle gespielt – zumindest nicht für mich.
Adrian: Michaels skeptischer Blick verunsicherte mich zunächst ein wenig, denn ich kannte ihn ja gar nicht. Nach dem Konzert zu urteilen, wollte er sich ja anscheinend gegen alles und jeden auflehnen. Aber ich war fest entschlossen, es zu versuchen: „Ich hab dich auf dem Schulfest gesehen und fand dich super. Was hältst du davon, wenn wir eine Band gründen?“
Ich erinnere mich noch, wie er entgeistert fragte: „Etwa mit dir?“.
„Wieso nicht? Ich denke, dass wir gemeinsam Großes auf die Beine stellen könnten“, antwortete ich.
Dann erzählte ich ihm, oder besser gesagt, ich rasselte aufgeregt herunter, dass ich schon seit mehreren Jahren Klavier spielen würde und selbst schon einige Stücke komponiert hätte. Und das mein großes Vorbild Keith Emerson wäre.
Riggbert: Ich war zunächst ungläubig, als mir Wolfgang von sich erzählte. So richtig konnte ich ihn noch nicht einschätzen und dass er Keith Emerson verehrte, fand ich jetzt auch nicht so verlockend.
Das überrascht mich jetzt, weil eure Musik doch Elemente von The Nice enthält.
Das war zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht beschlossene Sache. The Nice waren ja als Quartett gestartet mit David O’List als Gitarristen, der ja auch dieses wilde Solo auf „America“ spielt. Doch O’List stand bis zu seinem schnellen Rauswurf absolut im Schatten dieses egomanischen Emerson, und auf verrückte Keyboarder hatte ich absolut keine Lust.
Ich war der Frontmann, ich sah mich als Gitarristen und Leader und wollte nicht mit einem durchgeknallten Organisten um die musikalische Herrschaft konkurrieren.
Dabei besaß Wolfgang zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht mal eine Orgel. Ich wollte aber jeden Fall weiter Musik machen, und irgendwie lösten Wolfgangs Worte doch etwas in mir aus. Vielleicht war das ja wirklich die Gelegenheit. Und mal sehen, ob er wirklich so gut war.
„Okay, dann lass uns mal treffen“, meinte ich.
„Wann?“
„Na, von mir aus übermorgen.“
Damit gab ich mir Zeit, etwas Musik vorzubereiten. Wolfgang sagte dann, dass wir uns am besten bei ihm treffen würden, denn da stünde sein Klavier und ich könne ja meine Gitarre mitbringen.
Wie verlief das erste Treffen zwischen euch?
Adrian: Ich war sehr aufgeregt und wählte eine Eigenkomposition aus, die bereits Elemente von „Prelude To The Power“ enthielt, das ja auf unserem ersten Album zu finden ist. Aber damals hatte ich dafür noch keinen Namen, weil Michael den Text ja erst später dazu schrieb. Glücklicherweise waren meine Eltern nicht zu Hause, sodass wir etwas lauter spielen konnten.
Riggbert: Ich suchte mir eine Komposition aus, die ich auf Noten verfasst hatte. Ich wollte nämlich nicht einfach nur so rumjammen, sondern sofort konkret arbeiten. Ich erinnere mich noch, dass ich vor dem vierstöckigen Mietshaus stand, klingelte und mir Wolfgang öffnete.
Er war alleine zu Hause und führte mich in sein Zimmer, wo das Klavier stand. Während ich noch meine Gitarre auspackte, fing Wolfgang an zu spielen, was mich schon sehr beeindruckte und was er wohl auch beabsichtigte.
Es klang sehr klassisch und schon ziemlich virtuos. Ich dachte, hoppla, das ist ja ein ganz anderes Niveau als mit den Dilettanten Achim, Olaf und Erwin. Seine ausschweifende Spielerei besorgte mich auch ein wenig, denn ich fürchtete, von ihm musikalisch an die Wand gedrückt zu werden.
Michael erzählte mir, dass er sich beim ersten Treffen vor deiner Dominanz fürchtete, weil du ihm so übereifrig vorgekommen bist.
Adrian: Michael und sich fürchten? Der Typ platzte doch vor Selbstbewusstsein, was uns – wie du noch erfahren wirst – oft in die Bredouille brachte. Mir gegenüber erwähnte er davon nichts. Vielmehr lobte er mich für mein Spiel geradezu überschwänglich. Ich fühlte mich natürlich geschmeichelt. Das war eigentlich das erste Lob, das ich von einer anderen Person hörte. Doch es ging ja darum, dass wir – heute würden wir sagen als Songwriter-Team –zusammenarbeiten wollten. Also schlug ich vor, dass wir uns mit den Kompositionen beschäftigen.
Riggbert: Das war der entscheidende Moment, denn jetzt musste sich zeigen, ob wir harmonierten. Wolfgang spielte mir ein Thema vor, das wirklich sehr interessant klang und dennoch genügend Raum ließ, damit ich mit meiner Gitarre einsteigen konnte. Es entwickelte sich daraus ein reizvolles Wechselspiel von Tasten- und Saiteninstrument.
Adrian: Ich muss wirklich sagen, durch Michaels Beitrag und sein Gitarrenspiel bekam das Stück sofort mehr Raffinesse und Fülle. Wir merkten schnell, dass wir gut miteinander harmonierten. Und wir waren beide überzeugt, dass sich die Musik in einer Aufbruchsstimmung befand.
Bands wie die Beatles, Moody Blues oder Pink Floyd hatten ein Tor der anscheinend unbegrenzten Möglichkeiten aufgestoßen. Und durch dieses Tor wollten wir gehen, um unseren eigenen Sound zu entwickeln.
Riggbert: Als ich dann meine Komposition vorspielte, fiel Wolfgang sofort ein geniales Piano-Riff dazu ein. Ich dachte: Mannomann, hieraus könnte ja wirklich eine sehr vielversprechende Zusammenarbeit entstehen.
Ich muss jetzt mal kurz einhaken. Deutsche Bands spielten zu diesem Zeitpunkt in der internationalen Rockmusik ja kaum eine Rolle. Was habt ihr denn gedacht, erreichen zu können?
Ich wollte auf jeden Fall eine Musik machen, die über das gängige Songschema – also Strophe, Refrain, Bridge, Strophe und so weiter – hinausging. Über die Nationalität dachten wir nicht nach. Obwohl, da gebe ich dir Recht, die Rockwelt damals von britischen und angloamerikanischen Bands dominiert wurden.
Das würden wir jedoch ändern, denn wir waren besser als alle anderen, davon war ich schon nach dem ersten Treffen überzeugt. Wir beschlossen zunächst regelmäßig zusammenzuspielen und das mindestens dreimal die Woche. Ich fand dann ein paar Tage später einen Job als Bürobote, wo ich von morgens sechs Uhr bis abends 16 Uhr arbeitete und ganz gut verdiente. Das war mein eigenes Geld, von dem ich etwas sparen konnte.
Michael war ja nach dem ersten Treffen sehr begeistert.
Adrian: Ich auch. Bereits nach dem ersten Treffen sah ich das klare Ziel vor Augen, mit Michael eine Band zu gründen. Es klappte musikalisch von Woche zu Woche besser mit uns beiden. Michaels Stimme und auch sein Gitarrenspiel beeindruckten mich. Er hatte tolle musikalische Ideen und besaß eine großartige Stimme.
Ich war entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen. Es war nach einigen Wochen, da saß ich in meinem Kinderzimmer wie immer am Klavier, während sich Michael wie immer mit seiner Gitarre lässig in meinem alten Polstersessel wälzte.
Ich drehte ich mich zu ihm um und fragte mit feierlichem Ernst, ja ich beschwor ihn förmlich: „Willst du wirklich ernsthaft Musik machen und mit mir eine Band gründen? Eine Band, in der wir beide die Fäden in der Hand halten und unsere Vorstellungen von einer außergewöhnlichen Musik umzusetzen?“
„Ja, aber das machen wir doch schon“, antwortete Michael lässig.
„Das ist doch bisher alles Kinderkram. Ich will weiter gehen. Ich will, dass die Musik unser Lebensinhalt wird. Ich will die Schule abbrechen und mir auch einen Job suchen. Dann habe ich endlich das Geld, um mir eine Orgel zu kaufen. Wir könnten uns einen Proberaum mieten und uns vollkommen der Musik widmen. Dann sind auch meine Eltern nicht mehr genervt von unserem „Gedudel“, wie mein Vater immer sagt. Was meinst du?“
Riggbert: Als mir Wolfgang von seinen Absichten berichtete, erschrak ich zunächst. Sicher, wir verstanden uns musikalisch wirklich sehr gut. Die Songs, an denen wir arbeiteten, hörten sich verdammt vielversprechend an. Und dass diese Songs und Symphonien hielten, was sie versprachen, sollte ja noch die ganze Welt erfahren. Wir teilten unsere Leidenschaft für progressive und experimentelle Musik.
Und obwohl wir viel und intensiv über Musik sprachen, blieb mir Wolfgangs Persönlichkeit verborgen. Ich wusste nicht so recht, wie ihn einschätzen sollte. Er schien nicht viele Freunde zu haben, jedenfalls erzählte er mir nichts davon und das war bei mir schon anders. Ich hatte auch schon ein paar Freundinnen gehabt, nichts Ernstes, sondern nur Rumgeknutsche auf Feten. Aber Wolfgang schien außer der Musik überhaupt nichts zu interessieren.
Ein Fanatiker also, aber das war ich ja auch. Zwischendurch, wenn er wieder verbissen was auf seinem Keyboard ausprobierte, fragte ich mich schon mal: Wer bist du eigentlich, Wolfgang Adrian? Aber ich war schließlich einverstanden, weil ich überzeugt war, dass wir die Welt aus den Angeln heben würden.
Adrian: Als ich meinen Eltern von meinen Plänen erzählte, fielen die natürlich erst mal aus allen Wolken. Aber dann stimmten sie tatsächlich zu. Es war ihnen ja sowieso egal, was ich tat. Ich fand dann recht schnell einen Job in einem Industrielager, wo ich hauptsächlich Schrauben und Muttern sortierte oder mit dem Hubwagen leere Paletten transportierte. Ein Idiotenjob, aber ganz gut bezahlt. Es ging mir nur darum, endlich eine Orgel kaufen zu können. Dafür wäre ich sogar bereit gewesen, Scheiße zu schaufeln. Einen Proberaum fanden wir noch vor Jahresende.
Jahresende heißt im Jahr 1968?
Adrian: Richtig. Durch unsere Jobs konnten wir uns das leisten, das wäre als Schüler vom Taschengeld nicht möglich gewesen. Das Risiko machte sich also bereits bezahlt. Zudem steuerten meine Eltern mir tatsächlich etwas für die Orgel bei, sodass ich mir zu Weihnachten eine gebrauchte zweimanualige Vox Supercontinental holen konnte. Das war zwar keine Hammond, aber doch klanglich ein erheblicher Fortschritt. Mit dem Klavierunterricht bei Frau Graumeier war es allerdings vorbei, als ich ihr mitteilte, dass ich in einer Rockband spielen würde.
„Das ist Teufelszeug“, meinte sie dazu, aber ich war sowieso schon gut genug.
Riggbert: Zum Neujahrstag 1969 sind wir dann überglücklich in unseren Proberaum eingezogen, der sich natürlich, wie so oft, in einem Gewerbegebiet befand. Und natürlich mit alten Teppichen behangen war, die aber nicht muffig rochen.
Mit meiner Gitarre, der Vox-Orgel und zwei Verstärkern war unser finanzieller Rahmen erstmal ausgeschöpft. Hinzu kam ein altes Tonbandgerät, an dem ein kleines Mikro angeschlossen war. Damit nahmen wir zunächst unsere Musik auf.
Adrian: Natürlich träumte ich als Keyboarder davon, mir ein Fender Rhodes oder ein Mellotron zuzulegen, aber das war für mich damals unerschwinglich. Jetzt war erstmal harte Arbeit mit billigem Equipment angesagt.
Unser Leben bestand in den nächsten Wochen nur aus der täglichen Arbeit und den abendlichen Proben. Und wir haben fast das gesamte Wochenende gespielt und komponiert. Wir waren wie besessen, und das gefiel mir.
Riggbert: Rückblickend war es eine wunderbare und aufregende Zeit. Wir probierten musikalisch eine Menge aus, bis sich dann allmählich eine Richtung entwickelte, ohne dass wir uns auf einen gewissen Stil festlegten. Wir packten vielmehr alle möglichen Stile rein, um durch ungewöhnliche Arrangements ungewöhnliche Musik zu schaffen. Dabei standen natürlich Rock'n'Roll, Jazz und Klassik im Vordergrund.
Adrian: Die Musikwelt wurde zu dieser Zeit immer aufregender. Inzwischen gab es einige US-amerikanische Bands, die uns ebenfalls inspirierten wie Buffalo Springfield, Blood, Sweat & Tears oder Ars Nova. Bands, von denen wir zuerst im deutschen SOUNDS lasen, den wir uns regelmäßig holten. Da wurden Platten wie „Anthem Of The Sun“ von Grateful Dead oder „Shine On Brightly“ von Procol Harum geradezu euphorisch besprochen. Die haben wir uns dann geholt und zusammen angehört.
Wir wollten aber nicht wie The Nice einfach klassische Sachen nachspielen, also sozusagen verrocken, sondern wie Moody Blues unsere eigenen Symphonien schreiben aber härter, virtuoser und aggressiver. Wir stellten bald fest, dass uns dafür etwas ganz Entscheidendes fehlte: ein Drummer.
Riggbert: Was wir bisher spielten, klang schon ganz gut, aber es fehlten einfach der Groove, der Swing und die Power. Und wir wollten ja Rockmusik machen, und keine Liedermacher werden wie Bob Dylan oder Dieter Süverkrüp.
Aber weil wir uns als was Besonderes betrachteten, brauchten wir natürlich auch einen besonderen Drummer. Eben jemanden, der nicht wie üblich nur den Takt klopfte, sondern zu unseren Songs opulent, aber auch mit genügend Kraft trommeln konnte.
Einer, der Synkopen, Ghostnotes und den Off-Beat beherrschte.
Halt so eine Mischung aus dem Jazzvirtuosen Buddy Rich, dem Drum-Monster Ginger Baker und dem Dauerwirbler Keith Moon, damit wir unser eigenes Drei-Mann-Symphonie-Orchester wurden. Da wir zu dieser Zeit keine Kontakte zur Szene besaßen, falls es in unserem Heimatstädtchen überhaupt sowas gab, waren wir ziemlich isoliert. Wir besuchten zwar einige Konzerte von Amateurbands, aber da war kein Schlagzeuger dabei, der uns vom Hocker gerissen hätte, sondern diese üblichen Vier-Viertel-Takt-Klopper.
Und wir erkannten dabei, dass wir so viel besser waren als diese ganzen Amateure. Wir gaben schließlich eine Anzeige in der örtlichen Tageszeitung auf. An den Text erinnere ich mich noch gut: „Ambitioniertes Rock-Duo (Orgel, Gitarre und Gesang) mit eigenen Songs sucht ambitionierten Drummer mit einer Mischung aus Keith Moon, Buddy Rich und Ginger Baker zwecks Erweiterung zum Trio“.
Dazu gaben wir die Telefonnummer meiner Eltern an und warteten ab. Und dann meldete sich Stefan Theyler?
Adrian: Nein, es meldete sich überhaupt niemand. Ich wurde panisch und fürchtete schon, dass unser Anspruch viel zu hoch ist. Was hatten wir uns nur erwartet? Keith Moon, Ginger Baker und Buddy Rich in einer Person – wer diese anmaßende Anzeige las, dem fielen vor Angst doch die Trommelstöcke aus der Hand.
Riggbert: Ich fand es gar nicht anmaßend, sondern klar und deutlich. Nach einer Woche meldete sich allerdings immer noch niemand. Wolfgang wurde immer nervöser. Er dachte wohl schon, der Traum vom Rockstar wäre vorbei, bevor er überhaupt anfing. Aber ich blieb cool und schaltete dann noch mal die gleiche Anzeige. Und dann meldete sich drei Tage später tatsächlich jemand am Telefon und meinte: „Hallo, ich heiße Stefan Theyler. Ich bin derjenige, den ihr sucht.“