Читать книгу Sex, Drugs & Symphonies - Bernd Franco Hoffmann - Страница 9

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1. Schlüsselerlebnis eines Schlüsselkindes

Ich beginne die Geschichte mit Wolfgang Adrian, dem einst gefeierten „King Of Keyboards“. Ich gebe zu, ich fühle mich zunächst etwas beklommen, dieses einst weltberühmte Idol zu treffen. Adrian wirkt auf mich ernst und misstrauisch, wird aber sofort redselig, wenn es um die Musik geht. Ich drücke die Tastatur des Aufnahmegerätes und die unglaubliche Geschichte beginnt:

BFH: Über eure Kinder- und Jugendzeit ist ja kaum was in den Archiven zu finden. Ich möchte deshalb eure Geschichte von Anfang an hören.

Adrian: Dann bist du wirklich der erste.

Im englischen Musikmagazin MELODY MAKER vom August 1973 war zu lesen, dass dein Urgroßvater Hofpianist beim russischen Zaren war. In der BRAVO stand in einem der ersten Artikel überhaupt über euch, dass du bereits als Zweijähriger „Alle meine Entchen“ auf der Melodika spielen konntest. Stimmt das?

Nein und ich weiß nicht, wie dieser Unsinn entstanden ist. Dieser Blödsinn stammt jedenfalls nicht von mir.

Dann erzähl mir doch, wie bei dir alles anfing.

Nun ja, mein Vater besaß ein Klavier, das er nach dem Krieg wiederum von seinem Vater erbte. Mein Großvater spielte tatsächlich Klavier, aber bestimmt nicht für den russischen Zaren. Von ihm habe ich dann wohl auch das musikalische Talent geerbt. Von meinem Vater kann ich das nicht behaupten, der war Buchhalter. Deshalb diente das gute Stück bei uns im Wohnzimmer auch nur als Unterlage für diverse Schrankdeckchen und andere Staubfänger. Jedenfalls fing ich so im Alter von acht Jahren mit dem Spielen an.

Bevor wir dazu kommen, möchte ich noch einige Umstände deiner Kindheit erfahren. Du warst ja ein Einzelkind, was in den 1950er-Jahren eher ungewöhnlich war. Weißt du eigentlich, warum deine Eltern keine weiteren Kinder wollten?

Keine Ahnung, darüber wurde nie gesprochen. Ist das denn so wichtig?

Für die persönliche Entwicklung eines Kindes schon, wie ich finde.

Meine Eltern besaßen eben nicht viel Familiensinn, die hätten auch gut für sich bleiben können.

Warst du kein Wunschkind?

Wunschkind? Gab’s den Begriff damals überhaupt? Damals kamen Kinder einfach so auf die Welt, wenn Mann und Frau geheiratet haben oder? So dachte ich jedenfalls als Kind.

Hast du Geschwister vermisst?

Anfangs schon, weil ich mich oft so alleine fühlte. Meine Eltern haben wenig mit mir gesprochen und sahen mich wohl eher als lebende Puppe, um sich nach außen zumindest als Kleinfamilie zu präsentieren. Bei einer kinderlosen Ehe hätten die Leute damals sicher komisch geguckt.

Abgesehen davon, dass der Begriff „Familienplanung“ noch nicht so verbreitet war.

Nee, es wurde eher planlos gevögelt. Ich suchte anfangs immer die Zuneigung meiner Mutter, die mich aber oft abwies. Von meinem Vater wollte ich gar nichts, wir konnten nichts miteinander anfangen. Meistens verbarg er nach der Arbeit sein Gesicht hinter der Zeitung.

Du musst ja emotional völlig verkümmert gewesen sein.

Vielleicht hätte ich ja kriminell werden müssen, dann wären sie vielleicht aufmerksam geworden, aber wahrscheinlich hätten sie mich dann in ein Erziehungsheim abgeschoben. Untereinander waren sich meine Eltern aber stets einig und bildeten mir gegenüber eine emotionale Festung, gegen die ich nicht ankam.

Du hast dich also als Kind alleine gefühlt?

Ja, auch weil ich wohl kein richtiges Urvertrauen aufbauen konnte, was meine Rolle bei Adrian, Riggbert & Theyler sicher in gewisser Hinsicht beeinflusste.

Als ich in die Grundschule kam, fing meine Mutter außerdem an, wieder halbtags als Verkäuferin zu arbeiten. An manchen Tagen arbeitete sie sogar bis abends. Dadurch war ich als Schlüsselkind noch mehr allein zu Hause.

Freunde hattest du nicht?

Ich spielte schon mit den anderen Jungs aus der Nachbarschaft. Aber mir fiel es dennoch immer schwer, Kontakte zu knüpfen.

Wie hast du denn die Musik für dich entdeckt?

Ich war, wie gesagt, acht Jahre alt, als es mir zu Hause allein wieder langweilig war. Ich weiß bis heute nicht wieso, aber ich setzte mich einfach vor das Klavier auf den Hocker und klappte vorsichtig den Deckel auf. Und zum ersten Mal sah ich diese weißen und schwarzen Tasten vor mir.

Instinktiv fing ich an, diese Tasten mit meinen kleinen Fingern langsam runterzudrücken. Erst wahllos und vorsichtig, bis ich nach einiger Zeit ein paar passende Töne zusammen bekam. Dann fing ich sogar an, „Alle meine Entchen“ und „Hänschen klein“ zu spielen. Das ging einfach so nach Gehör. Nun, du siehst, „Alle meine Entchen“ habe ich schon gespielt, aber nicht als Zweijähriger auf der Melodika. Jedenfalls spielte ich von nun an immer regelmäßiger auf dem Klavier, wenn ich allein zu Hause war, und das war ich ja oft. Ich erfand schon immer gerne Melodien, die ich als kleiner Junge vor mich hin summte. Und durch das Klavier erwachten diese Melodien in meinem Kopf plötzlich zum Leben.

Das war also sozusagen als Schlüsselkind für dich das Schlüsselerlebnis.

Nett formuliert, aber das waren natürlich noch keine komplexen Sinfonien, sondern Lieder, die von Schlagern inspiriert waren. Eben solche, die ich vom Fernsehen kannte oder im Radio hörte.

Du bist also ein echtes Naturtalent.

Na ja, das Klavierspiel ging mir jedenfalls leicht von der Hand. Und meine Mutter bekam das mit, als sie mit meinem Vater in der Küche saß, während ich im Wohnzimmer auf dem Klavier klimperte.

Ich hörte, wie meine Mutter zu meinem Vater sagte: „Hör dir das mal an, der Junge sollte Klavierunterricht bekommen. Dann hat er endlich mal eine Beschäftigung.“

Das war doch sehr vorrauschauend von deiner Mutter.

Aber auch eigennützig. Ich denke, dass meine Mutter darin eine Möglichkeit sah, vor mir Ruhe zu haben, damit ich nicht ständig um Zuneigung quengelte.

Und dein Vater?

Der grummelte hinter seiner Zeitung nur: „Wenn’s nicht zu teuer wird.“

Du bekamst dann also Privatunterricht?

Ja, bei einer älteren Dame namens Frau Graumeier. Den Vornamen weiß ich nicht, aber Frauen, die verheiratet waren, besaßen damals scheinbar sowieso keine Vornamen. Bei meinen Eltern stand auch immer „Karl-Heinz Adrian“ auf dem Klingelschild. Ich sehe Frau Graumeier noch vor mir, mit ihrer altmodischen Brille, dem runden Gesicht und den grauen, streng nach hinten gekämmten Haaren - wie diese Schauspielerin aus diesem schrecklichen Stummfilm „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“.

Sozusagen klassischer Typ alte Jungfer?

Ob sie mal verheiratet war oder ein Sexualleben besaß, stellte ich mir lieber nicht vor. Wichtig war, dass sie mir musikalisch einiges beigebrachte - vor allem die richtige Körperhaltung beim Klavier spielen, das half mir schon sehr. Obwohl sie eine strenge Person war, kam ich mit ihr ganz gut klar.

Vielleicht war sie ja für dich eine Art Mutterersatz?

Ganz sicher nicht, ich war ihr emotional nicht sonderlich zugeneigt. Aber sie hielt mich für talentiert und sie musste bei mir nicht bei null anfangen. Ich kam gut voran und lernte rasch nach Noten spielen.

Bald flitzte ich die Tonleitern rauf und runter. Die leichteren Stücke von Chopin, Händel oder Bach waren für mich überhaupt kein Problem. Ich zählte schnell zu ihren besten Schülern. Aber die Dame war natürlich schrecklich konservativ.

Konservativ in musikalischer Hinsicht?

Was wohl sonst? Über Politik habe ich mich als Achtjähriger nicht mit ihr unterhalten. Ich erinnere mich daran, dass sie offenbar diesen Jerry Lee Lewis im Fernsehen sah und entsetzt war. „Das ist kein Klavierspielen, sondern musikalische Barbarei“, meinte sie verächtlich. Ich solle bloß nicht auf die Idee kommen, mir so was anzuhören oder gar auszuprobieren, das wäre dem Spiel nur abträglich.

Beim Jazz sah die Sache schon anders aus, da schätzte die alte Dame durchaus Pianisten wie Errol Garner, Duke Ellington oder Oscar Peterson. Und ich lernte bei ihr auch Dave Brubecks Klassiker „Take Five“.

Und wie fandst du Jerry Lee Lewis?

Ihre verächtlichen Kommentare machten mich natürlich erst neugierig. „Great Balls Of Fire“ mochte ich nie besonders, dafür aber „High School Confidential”, obwohl ich als Kind vom Text immer nur „Ha-Tu-Ha” verstand. Das war noch vor dem Englischunterricht auf dem Gymnasium. Insgesamt war Lewis aber kein Pianist, dem ich nacheifern wollte.

Gab es für dich schon Pianisten, die Vorbilder waren?

Damals noch nicht. Bei meinen Eltern lag leider nur die für diese Zeit typische Schlagerkollektion herum. Das hab ich mir dann auch angehört. Einiges davon fand ich ganz witzig wie „Spaghetti“ von Teddy Parker.

„Spaghetti“? Nie gehört.

Ich denke, du bist Musikexperte.

Ist das überhaupt Musik?

Lassen wir das. Ich erinnere mich auch an dieses schreckliche Lied von Bobbejaan, das hieß: „Ich steh an der Bar und ich habe kein Geld“. Den Text fand ich schon als Kind absolut deprimierend.

Wieso?

Das Lied handelt ja von einem Mann, der von allen ausgenutzt, von seiner Braut betrogen wird und am Ende nicht mehr leben will. Ich weiß noch, wie trostlos dieses Lied auf mich wirkte.

Was dich als Achtjähriger so bedrückte, war in Deutschland 1960 wochenlang in den deutschen Top-Ten.

Ja, furchtbar. Bevor die Beatles aufkamen, tummelte sich sowieso ein Haufen Schrott in den Hitparaden wie „Kalkutta liegt am Ganges“ von Vico Torriani oder „Wir wollen niemals auseinander geh‘n“ von Heidi Brühl.

Zurück zu deiner Kindheit: Als du 1963 mit elf Jahren auf das Gymnasium gewechselt bist, blicktest du also schon auf drei Jahre Klavierunterricht zurück?

Wenn du das sagst. Ich war bis dahin noch bei Frau Graumeier, die für mich technisch immer schwierigere Stücke auswählte. Aber ich wollte nicht mehr die Werke alter Meister nachspielen. Ich wollte selbst komponieren, denn schließlich konnte ich ja schon perfekt Noten lesen und spielen. Inzwischen hatten meine Eltern das Klavier in mein Zimmer bringen lassen.

Und stimmen lassen?

Das machte ich selbst, so gut war ich schon.

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