Читать книгу Sex, Drugs & Symphonies - Bernd Franco Hoffmann - Страница 20

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12. Ein Kasper namens Keith

In den 1970er-Jahren war Stefan Theyler das Maß aller Schlagzeuger und brachte sicher eine ganze Generation zum Drumming. Theyler galt innerhalb der Band immer als der unbekümmerte große Junge, der einfach nur glücklich war, wenn er trommeln, mit schnellen Autos fahren und hübschen Mädchen flirten konnte. Das wäre jedoch zu pauschal gedacht, denn Theyler offenbarte auch fanatische, düstere und dramatische Facetten seiner Person.

Stefan, auch du müsstest mir jetzt erst mal helfen, mit ein paar Mythen aufzuräumen. Ich las mal, du hättest das Trommeln beim örtlichen Schützenverein gelernt.

Theyler: Wo stand das denn?

Im MUSIK JOKER.

Im MUSIK JOKER? (überlegt) Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Diese Musikzeitung aus dem Axel-Springer-Verlag, die in gleichen Teilen über Schlagersänger wie Jürgen Marcus und Rockbands wie Deep Purple berichtete – absolut bizarr. Ich erinnere mich auch noch daran, dass ’n Artikel behauptete, Kiss wären Nazis wegen der angeblichen SS-Runen im Logo. Dabei sind die Kiss-Mitglieder Paul Stanley und Gene Simmons sogar Juden. Das waren keine SS-Runen im Logo, sondern zwei Blitze.

Wie kann denn so eine Falschmeldung entstehen?

Ein Journalist vom MUSIK JOKER hat uns tatsächlich mal interviewt. Wir waren damals auf Tour, vermutlich in Deutschland, und wahrscheinlich mal wieder breit wie ’ne Bahnschranke. Ich weiß noch, dass der Typ mich total nervte und mich fragte, woher ich so schnell wirbeln könnte. „So was lernt man nur im Tambourkorps eines Schützenvereins“, antwortete ich. Ich wollte ihn damit verarschen. Ich wusste nicht mal, was ’n Tambourkorps ist.

Hast du als Kind überhaupt Musik gehört?

Anfangs nur, was auch meine Eltern hörten. Ich stamme als Einzelkind aus ’nem Arbeiterhaushalt. Mein Vater arbeitete Akkord in ’ner Fabrik, da lief natürlich nach Feierabend manchmal das Radio, um sich zu entspannen. Klar wusste ich, dass es die Beatles, Elvis Presley und Ivo Robic gab, aber ich erinnere mich nicht, dass es mich sonderlich interessierte.

Da fand ich Fußball damals spannender. Eine Zeitlang war ich auf unserem Bolzplatz der Torwart. Ich schwärmte für die fliegenden Männer wie Wolfgang Fahrian, Manfred Manglitz und Hans Tilkowski.

Aber dann kam der Tag, an dem sich alles für dich veränderte, wie ich nachlesen konnte.

Ja, und danach spielte Fußball keine Rolle mehr. Ich war 15 Jahre alt, ’n mittelmäßiger Realschüler und es war an ’nem Samstagnachmittag im Herbst 1967. Das weiß ich tatsächlich noch genau. Ich saß allein im Wohnzimmer und schaute Fernsehen. Es lief der „Beat-Club“, und da spielte ’ne Band namens The Who den Titel „Pictures Of Lily“.

Die Musik empfand ich ziemlich strange. Aber da saß ein junger Typ hinter den Trommeln, der dauernd vor sich hinkasperte und scheinbar nur nebenbei spielte – es war natürlich Keith Moon. Und Moon blickte dabei immer zwischendurch in die Kamera, als wolle er zu mir sagen: „Das kannst du auch!“

Klar konnte ich das. Ich war wie elektrisiert und lief sofort zu meiner Mutter, die in der Küche Kartoffeln schälte oder sowas und sagte: „Ich werd Trommler“, den Begriff Schlagzeug kannte ich damals noch gar nicht.

Und was sagte Muttern dazu?

Gar nichts, die verstand überhaupt nicht, was ich meinte.

Und dann hast du dir mit Muttis Töpfen ein Schlagzeug gebaut?

Nee, mit ’ner großen Persil-Waschtrommel als Floor-Tom und ’ner Quality-Street-Bonbondose als Snaredrum. Beides stellte ich nebeneinander und dann trommelte ich jeden Tag – und das stundenlang.

Wie haben das denn deine Eltern ausgehalten?

Gar nicht, ich ging damit allen gehörig auf den Wecker. Wenn mein Vater nach der Arbeit nach Hause kam, kam er jedes Mal in mein Zimmer und schrie: „Ruhe jetzt!“. Und die Nachbarn beschwerten sich natürlich auch ständig. Doch ich hörte nicht auf zu trommeln. Ergebnis: Nach ein paar Tagen feuerte mein Vater kurzerhand die Trommeln in den Müll. Ich war am Boden zerstört.

Das wäre wohl beinahe das Ende deiner Musikerlaufbahn gewesen?

In der Tat, denn was sollte ich jetzt machen? ’N richtiges Schlagzeug kaufen war damals nicht drin. Selbst ’n eher minderwertiges Kit von Billig-Marken wie Tromsa oder Trixon kostete damals rund 1000 Mark. Und wo sollte ich jetzt üben? Doch ich hatte Glück. Mein Freund Frank, dem ich davon erzählte, besuchte damals den Konfirmandenunterricht. Er erzählte mir von ’nem Keller in ’nem evangelischen Gemeindehaus. Dort stünde schon längere Zeit tatsächlich ’n altes Schlagzeug herum, das keiner nutzen würde.

„Wenn du willst, frage ich mal nach, ob du es haben kannst“, meinte Frank.

Und du konntest es haben?

Ja, und die Küsterin war sogar sehr nett, obwohl ich ja gar nicht zur Gemeinde gehörte. Ich war weder evangelisch noch katholisch, denn meine Eltern hatten mit Religion überhaupt nichts am Hut und ich auch nicht.

Eine gute Voraussetzung, um bei ART zu spielen.

Ja, ART hätte auch die Abkürzung für „Atheistisches Rock-Terzett“ sein können (lacht). Jedenfalls fragte mich die Küsterin auch nicht nach ’ner Weltanschauung, sondern wollte wohl ’nem Jungen wie mir einfach ’nen Gefallen tun.

„Das Ding benutzt ja eh keiner mehr“, meinte sie. Und wem es einmal gehörte, wusste offenbar auch niemand mehr. Und dann sah ich auch, warum: Zwar war das Set von der renommierten Firma Gretsch, aber ziemlich heruntergekommen. Es war wohl mal von ’nem Jazzschlagzeuger gespielt worden, denn es hatte ’ne sehr kleine Basstrommel, bei der die Fußmaschine schon ziemlich abgenutzt war, dazu ’ne Snare und ’n olles Becken. Aber insgesamt gesehen war es doch brauchbar, wenn auch etwas wackelig.

Hauptsache, ich konnte drauf trommeln. Und das tat ich dann jeden Tag nach den Hausaufgaben im Keller des Gemeindehauses, wo ich mir jedes Mal den Schlüssel bei der Küsterin abholte.

Dann spieltest du also Schlagzeug, ohne dabei Musik zu hören?

Na, das änderte sich natürlich schlagartig, denn jetzt war ich förmlich vom Musikfieber befallen. Ich wollte mehr wissen, besonders was das Schlagzeugspiel betraf. Also wünschte ich mir Weihnachten ’67 ’nen Plattenspieler und kaufte mir vom Weihnachtsgeld meiner Oma die Beatles-LP „A Hard Days Night“.

Die Platte hab’ ich auf ’nem kleinen Tonbandgerät aufgenommen, das ich in den Keller mitnehmen konnte. Und zu den Beatles trommelte ich wie ’n Irrer. Allerdings war ich von Ringo Starrs Schlagzeugspiel wenig begeistert, da passierte mir einfach zu wenig. Das war kein Schlagzeuger für ’nen Schlagzeuger, wenn du weißt, was ich meine. Was natürlich Quatsch war, denn Ringo ist eigentlich super und spielt wirklich knifflige Sachen.

Du meinst, er hat zu wenig gewirbelt?

Ich wollte als Drummer einfach präsenter sein - wie eben Keith Moon. Ich versuchte beispielsweise zu den Beatles-Liedern bei den Breaks mehr zu wirbeln, als es Ringo machte und hatte das schon ganz gut drauf.

Wenn ich aber wirklich weiter kommen wollte, musste ich Unterricht nehmen. Das war gar nicht so einfach, weil es damals praktisch keine Schlagzeuglehrer gab. Aber ich fand schließlich doch ’nen guten Lehrer, der mir ’ne Menge beigebrachte. Ich lernte Grundlagen wie Rudiments sowie den Unterschied zwischen Traditional Grip und Matched Grip.

Du beherrscht ja beide Schlagtechniken.

Und ich kann sowohl links- als auch rechtshändig spielen, was mir größtmögliche Flexibilität ermöglichte. Ich lernte, was ’n Drum Key ist, wie ’n Drum-Set aufgebaut wird und so weiter. Und ich machte schnell Fortschritte.

Wie hast du das als Schüler finanziert?

Ich ging zu unserem Kaufmann um die Ecke, um nach ’ner Aushilfstätigkeit zu fragen. Und dann konnte ich tatsächlich dreimal nachmittags bis abends nach der Schule aushelfen – hauptsächlich Ware einräumen und Dosen stapeln. Damit bekam ich das Geld für den Unterricht zusammen und mein Leben veränderte sich total.

Ein Leben, das nur noch aus Musik bestand?

Absolut. Für mich gab’s nur noch vormittags die Schule, den Job beim Kaufmann, zwischendurch ’n paar Schularbeiten und dann nachmittags und abends nur Schlagzeugspielen. Ich war praktisch kaum noch zu Hause, sondern immer im Gemeindezentrum, um zu üben.

Schon nach ‘nem’ halben Jahr verbesserte sich mein Schlagzeugspiel enorm, obwohl ich immer noch dieses alte Schrott-Kit besaß. Mein Lehrer, ’n erfahrener Jazz-Drummer, bezeichnete mich tatsächlich als „außergewöhnliches Talent“. Ich lernte auch nach Noten zu spielen, wovon ich später bei der komplexen Musik von Adrian, Riggbert & Theyler enorm profitierte.

Wir befinden uns jetzt ungefähr im Herbst 1968. Du gingst noch zur Schule?

Ja, wie schon gesagt auf eine Realschule. Ich kam gerade so mit, obwohl ich nur das Nötigste tat und fast immer nur Schlagzeug spielte. Weil meine Noten aber ausreichend waren und meine Eltern keine besonderen Ansprüche hatten, konnte ich relativ ungestört meiner Leidenschaft nachgehen. Dennoch stand für den kommenden Sommer der Schulabgang bevor, doch mich interessierte überhaupt kein Beruf, vielleicht noch Lokführer, Leuchtturmwärter oder Totengräber.

Aber irgendwas musste ich ja machen, zumal ich ja auch Geld verdienen wollte, um mir ein größeres Schlagzeug zu kaufen. Ich beherrschte durch den Unterricht fast alle Stile und hatte mir schon ’ne gewisse Virtuosität angeeignet. Doch dann kam der nächste Tiefschlag in meinem noch jungen Drummerleben. Ich musste nämlich von einem auf ’n anderen Tag aus dem Gemeinderaum raus, weil daraus ’n Seniorencafé werden sollte. Und plötzlich stand ich wieder vor dem Nichts.

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