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8. Gütiger Vater Ho-Chi-Minh

Jetzt bin ich natürlich gespannt, wie ein dreiwöchiger Schweden-Urlaub alles verändert.

Meine Eltern mieteten ein Ferienhaus, in der wir allerdings im Fernsehen nur schwedische Sender empfangen konnten. Eines Nachmittags stellte ich eher aus Langeweile zufällig den Fernseher an und da lief eine schwedische Jugendsendung, in der eine Band namens The Fugs auftrat.

Es gab zunächst einige Statements der Mitglieder, die ich vom Sinn her nicht so richtig verstand. Dazwischen legten diese Typen aber einen Auftritt hin, der mich sprachlos machte. Die Band spielte eine Art anarchistischen Progressiv-Punk. Vielleicht vergleichbar mit Frank Zappas „Mothers Of Invention“ oder den Motor City Five.

The Fugs gelten als Vorläufer von Frank Zappa und Velvet Underground – und sogar des Punkrock.

Was ich damals nicht wusste. Aber schon lustig, denn die Musik von Adrian, Riggbert & Theyler hat ja überhaupt nichts mit Punk zu tun. Vielmehr avancierten wir ja zum bevorzugten Hassobjekt der Punk-Bewegung.

Aber mich faszinierte bei dem Song die damals ungewöhnliche Instrumentierung. Bei einem Song spielte beispielsweise ein Mitglied neben dem Schlagzeuger noch Kesselpauken. Und als die Band dann die sehr rohe Vietnam-Kritik „Kill For Peace“ spielte, war ich wirklich hingerissen. So eine kraftvolle Wut-Musik wollte ich auch machen.

Bei den legendären „Essener Songtagen“ im Jahr 1968 haben The Fugs sogar ein Schwein als ihren amerikanischen Präsidentschaftskandidaten vorgestellt.

Und wahrscheinlich wäre dieses Schwein ein besserer Präsident gewesen als der bigotte Kommunistenhasser Ronald Reagan, der in Nicaragua so viel Unglück angerichtet hat.

Jedenfalls war ich inspiriert wie nie zuvor. Ich schnappte mir sofort Papier und Bleistift, um dann in einem Rutsch einen Anti-Vietnamkrieg-Song runter zu schreiben. Dabei schwirrten mir die Bilder vom Vietnamkrieg im Kopf: Wie das US-Militär Vietnam mit Napalm bombardiert und unschuldige Zivilisten ermordet, nur um die angebliche Gefahr durch den Kommunismus zu verhindern. Und da gab es Bilder von der US-Studentenbewegung, die sich im Oktober 1967 zu Hundertausenden vor dem Pentagon versammelten, um gegen diesen schmutzigen Krieg zu demonstrieren. Ein Krieg, der sich gegen das kommunistische Nordvietnam unter Ho-Chi-Minh richtete. Hon-Chi-Minh war ein Mann, den ich in den folgenden Jahren immer mehr bewunderte.

Was hat dich an ihm so fasziniert?

Er war ein Mann, der die marxistisch-leninistische Theorie täglich praktizierte und in einer Hütte neben dem Regierungsgebäude lebte. Ho-Chi-Minh wirkte auf den Bildern damals auf mich wie ein gütiger Vater, zu dem die Menschen aufschauen konnten.

Meine Gitarre hatte ich in Schweden dabei. Die Musik krachte schon in meinem Kopf herum und in zwei Stunden war das Stück „Don’t Fight Against The Father“ auf meiner Gitarre fix und fertig komponiert. In dem Text bezeichnete ich die USA als blutdurstiges Schweinesystem – womit ich nichts gegen Schweine sagen will. Alles diente meinem Ziel, diesen spießigen Lehrern meine unverhohlene Verachtung entgegenzuschleudern und ein musikalisches Inferno zu entfachen. Als ich aus dem Urlaub zurückkam und wir wieder probten, stellte ich den anderen das Stück vor. Es besaß ein längeres Intro, bei dem Erwin wie bei den Fugs Kesselpauken spielen sollte, dann steigerten sich die Strophen in ein mitreißendes Thema – so wie bei „Shangri-La“ von den Kinks.

Und die Band war begeistert?

Nein, entsetzt. „Du bist wohl total irre“, meinte Erwin, „was ist das denn für ein kranker Mist?“

Achim war der gleichen Meinung: „Ein Anti-Kriegs-Lied muss nun wirklich nicht sein.“

„Bist du etwa Kommunist?“, fragte Olaf misstrauisch.

„Wie kommst du denn darauf?“, erwiderte ich.

„Na, die Amerikaner schützen uns doch in Vietnam vor dem Kommunismus. Wenn du gegen die Amerikaner bist, musst du ja Kommunist sein“, schlussfolgerte Olaf. „Blödsinn“, erwiderte ich, „die Amis verfolgen nur ihre eigenen Interessen und ermorden dabei das vietnamesische Volk.“

„Pro-Kommunismus hin oder Anti-Krieg her, das Stück spielen wir jedenfalls nicht“, erklärte Erwin bestimmt.

„Dann steige ich aus“, erwiderte ich.

„Das kannst du nicht machen, nächste Woche ist der Auftritt“, erwiderte Olaf entsetzt.

„Ja und? Spielt halt ohne mich“, zuckte ich mit der Schulter.

„Du weißt ganz genau, dass das nicht geht. Du bist mittlerweile in unserer Musik zu präsent“, meinte Achim.

„Viel zu sehr präsent – leider, das haben wir jetzt davon“, erklärte Olaf.

„Okay, ich schlage euch einen Kompromiss vor. Ich übernehme als Komponist für diesen Song die volle Verantwortung“, erklärte ich großspurig.

„Er übernimmt die volle Verantwortung. Hört hört“, höhnte Olaf.

„Das nennst du Kompromiss? Ich nenne das Größenwahn“, meinte Achim.

„Nenn es, wie du willst, entweder wir spielen den Song oder ich steige aus.“

„Ich hab’ aber gar keine Kesselpauken“, jammerte Erwin und damit waren wir schon wieder einen Schritt weiter.

„Egal, dann holst du dir ein paar Mallets und trommelst auf der Stand-Tom.“

„Häh, was sind denn Mallets?“, meinte Erwin.

Ja, was sind Mallets?

Das sind Filzschlegel, die auf dem Schlagzeug universal einsetzbar sind. Die hat sich Erwin dann besorgt und genau das gespielt, was ich ihm vorschrieb. Ich trommelte es ihm förmlich vor. Und damit war endgültig klar, dass alles so gemacht wurde, wie ich es wollte.

Klingt, als wärst du damals ein ziemlicher Diktator gewesen.

Mir ging es dabei immer um die Musik, aber ich wollte schon damals nicht nur die Musik sprechen lassen. Und ich wollte noch einen Schritt weiter gehen und den Leuten etwas bieten, was heute ein so genanntes Multimedia-Spektakel wäre.

Und was du dann mit Adrian, Riggbert & Theyler realisiert hast.

Richtig. Ich ging in die örtliche Bibliothek und machte heimlich mit meinem kleinen Fotoapparat einige Repros von Fotos, die damals in den Tageszeitungen und Magazinen erschienen. Daraus ließ ich Dias entwickeln.

Dann entdecke ich im Fernsehen zufällig eine CDU-Wahlwerbung, in dem eine Studentengruppe doch tatsächlich „Ho-Chi-Minh“ rief. Jeden Abend wartete ich nach der Tagesschau, bis diese Werbung endlich mal wieder lief und ich sie mit dem Tonband aufnehmen konnte.

„Was willst du denn damit?“, wunderten sich meine Eltern.

„Das brauche ich für den Politikunterricht“, schwindelte ich. Dann schnitt ich die Ho-Chi-Minh-Parolen mit meinem Tonband mühsam hintereinander, so dass ein rund zweiminütiger Loop entstand. Dann kaufte ich in einem Militärshop die US-Flagge. Das Schulfest fand nach meinem 17. Geburtstag im September 1968 statt. In der Aula war das offizielle Programm mit Reden, Theaterstücken und Musik vorgesehen. In der letzten Woche vor dem Auftritt probten wir dann fast täglich. Am Tag des Auftritts fuhr uns Olafs Vater, der einen Kaufmannsladen besaß, mit seinem „Ford Transit“ zur Schule. Wir benötigten den Platz, weil wir neben den Instrumenten auch das Tonband, den Dia-Projektor, die Leinwand und die riesige US-Flagge mitschleppen mussten.

„Was willst du eigentlich mit dem Kram?“, fragte Olaf noch argwöhnisch.

„Lass dich überraschen, das gibt einen unvergesslichen Knalleffekt“, erwiderte ich. Über den Auftritt sprichst du aber besser mit Wolfgang. Er saß ja im Zuschauerraum.

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